Cake

Eine Filmkritik von Rajko Burchardt

Der Oscar muss warten

Es gibt durchaus gute Momente in Cake, etwa gleich zu Beginn. Da sitzt Claire (Jennifer Aniston) im Kreise ihrer Selbsthilfegruppe. Trauerarbeit steht auf dem Programm, weil die junge Nina (Anna Kendrick) sich das Leben nahm. Alle Mitglieder sollen nun ihre Gefühle ausdrücken, sollen ein bisschen so tun, als ob Nina noch im Raum sei. Gruppenleiterin Annette (Felicity Huffman) hat sich daher demonstrativ neben ein gigantisches Foto der Verstorbenen gesetzt und möchte ihre Patienten von Selbstvorwürfen freisprechen. Das geht so lange gut, bis Claire an der Reihe ist. Verständlicherweise steht ihr nicht der Sinn nach psychopädagogischer Beschäftigungstherapie, also erzählt sie lieber ein wenig über die unappetitlichen Umstände von Ninas Freitod. Das findet die Gruppe natürlich super, ein weiteres Mal wird Claire sie nicht besuchen. Aber der Ton ist angeschlagen, das Interesse an dieser Figur geweckt.
Kurz darauf sehen wir Claire in ihrem schicken kalifornischen Haus. Sie leidet an starken chronischen Schmerzen. Wirft sich eine Tablette nach der anderen ein. Kippt noch mal ordentlich Alkohol nach. Am Tag bringen sie die körperlichen und seelischen Folgen eines Autounfalls um den Verstand, nachtsüber obendrein um den Schlaf. Nur gelegentlich lindert sanftes Schwimmen die Qualen, ganz ungestört unterm Mondscheinlicht. Zumindest so lange kein umherstreunendes Opossum auftaucht und Claire vom Rande des Pools aus beobachtet. In solchen Tiermomenten finden ja oft noch die unempfindlichsten Filme zu sich. Einen Augenblick lang gönnen sie ihren Plots und Pointen ein Innehalten, lassen auf Zufriedenheit für die Figuren hoffen. Unwahrscheinliche Alltagspoesie, das muss man mögen. Und in Cake wird es der einzige tatsächlich intime Moment bleiben. Alles andere ist leider Behauptung, Arthausformel, Drehbuchseitengeraschel.

Jennifer Aniston trägt den Film, kann aber nichts dafür. Jetzt auch endlich einmal bei den ganz großen Preisverleihungen mitspielen zu wollen, sei ihr vergönnt. Sie hat diese Verwandlung nicht gebraucht, sie hat sie eben gewollt. Hat sich also Kilos angefuttert, ein bisschen unattraktiv schminken und akkurat Narben aufpinseln lassen. Sie reichen vom Oberschenkel bis zum Hals, wollen verdeutlichen, dass Claire eine gezeichnete Frau ist. Mit großem Schauspiel hat das erstmal noch nichts zu tun, diese Monster-Methode nach Charlize Theron. Schon gar nicht aber ist sie erforderlich, um Anistons Talent angemessen zu würdigen: Sie bringt – ironischerweise vielleicht – eben genau jene Sensibilität in die Rolle, mit der sie auch die tollen Figuren ihrer oft unterschätzten Komödien zu etwas Besonderem machte. Wenn das bislang viele nicht haben sehen wollen, ist es deren Verlust. Eine Oscar-Nominierung gab es für Cake trotz zahlreicher Kampagnen jedenfalls auch nicht.

Der Film gibt Aniston überraschend wenig zu tun. Einen Großteil verwendet er darauf, die Wunden der traumatisierten Claire zu lecken. Und lediglich einen minimalen, sie wieder auf die Beine zu bringen. Es wird viel gelitten und viel geflucht, zu Herzen aber geht es nicht. Bewegung kommt nur gelegentlich und dann über Widerstreit in den Film. Claires mexikanische Haushälterin Silvana (Adriana Barraza) ist der einzige Mensch, den die ehemalige Anwältin noch nicht aus ihrem Umfeld vergrault hat. Sie hilft ihr, illegale Schmerzmittel zu besorgen, sie zwingt Claire zur Flucht aus dem Trott. Ihre resolute und zugleich fürsorgliche Art bildet das emotionale Zentrum des Films, was ein Problem ist für eine Geschichte, die ganz um ihren Star herum konstruiert scheint. Und die es auch versäumt, andere Nebenfiguren nicht nur zu funktionalisieren. Sam Worthington tritt nach halber Laufzeit als Witwer in die Handlung, doch bleibt er ebenso ein Mann ohne Eigenschaften wie Claires vertriebener Gatte Jason (Chris Messina).

Den undankbarsten Part aber übernimmt Anna Kendrick. Sie wandelt als Geist der verstorbenen Nina durch Claires Tagträume, spielt also eine Figur, die vorsorglich gleich ganz von jeder Souveränität befreit ist. Um dennoch einen Zweck zu erfüllen, verbalisiert diese Nina, was der Film offenbar selbst nicht imstande ist zu sagen: Claire, die Menschen benutzt, Claire, die sich ihren Dämonen stellen muss, Claire vor allem, die bitte einen Kuchen backen soll (freilich zur Illustration des symbolträchtigen Titels). Das geht eine ganze lange Weile so, ehe Cake sich noch dem dramaturgischen Diktat des Schicksalsdramas beugen darf. Die Höhe- und Wendepunkte riechen Meilen gegen den Wind, der bedeutungsschwangere Schlussmoment ist Drehbuchkurs Stufe 1. Klingt böse für einen Film, der es gut mit sich und seiner Hauptdarstellerin meint. Aber der Jennifer Aniston eben auch davon abgehalten hat, einen anderen, bestimmt ungleich besseren Film drehen zu können. Der Oscar muss warten.

Cake

Es gibt durchaus gute Momente in „Cake“, etwa gleich zu Beginn. Da sitzt Claire (Jennifer Aniston) im Kreise ihrer Selbsthilfegruppe. Trauerarbeit steht auf dem Programm, weil die junge Nina (Anna Kendrick) sich das Leben nahm. Alle Mitglieder sollen nun ihre Gefühle ausdrücken, sollen ein bisschen so tun, als ob Nina noch im Raum sei. Gruppenleiterin Annette (Felicity Huffman) hat sich daher demonstrativ neben ein gigantisches Foto der Verstorbenen gesetzt und möchte ihre Patienten von Selbstvorwürfen freisprechen. Das geht so lange gut, bis Claire an der Reihe ist.
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