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Seit über 20 Jahren wollte Gus Van Sant einen Film über den Cartoonisten John Callahan machen – nun ist der Film mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle fertig. Und es stellt sich vor allem eine Frage: Findet Van Sant wieder zu alter Form zurück?

Don't worry, weglaufen geht nicht (2018)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Der lange Weg zur Nüchternheit

Eines Morgens ist John Callahan (Joaquin Phoenix) aufgewacht und hatte keinen Kater. Aber er wusste, er hat nicht viel Zeit, bis die Schmerzen und das Zittern einsetzen. Also macht er sich auf den Weg zu dem nächstgelegenen Alkoholladen.

Er trinkt. Er trinkt schon lange. Und er kann ohne Alkohol nicht mehr sein. Betrunken war er auch, als er zu einer Partybekanntschaft ins Auto gestiegen ist und einen Unfall hatte, seit dem er im Rollstuhl sitzt. Aber das ist kein Grund, mit dem Trinken aufzuhören. Dieser Moment kommt eines Tages, einfach so in seiner Wohnung. Er beschließt, er will nicht mehr trinken und geht zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker.

Von John Callahans langem Weg zur Nüchternheit erzählt Gus Van Sant in seinem Biopic Don’t worry, He Won’t Get Far on Foot, das auf der gleichnamigen Autobiographie des Cartoonisten aus Portland basiert. Dieser Titel stammt aus einem Cartoon Callahans, in dem drei Sheriffs in der Wüste einen leeren Rollstuhl sehen und der eine zum anderen genau diesen Satz sagt. Das ist der Humor Callahans, makaber, böse und gemein, er macht sich lustig über Behinderungen und Benachteiligungen. Dieser Humor durchzieht diesen Film, er sorgt immer wieder für laute und leise Lacher, dabei versteht es Joaquin Phoenix in der Hauptrolle aber auch, die oftmals dahinter liegende Nervosität und Unsicherheit erkennen zu lassen.

Sicherlich wird der Humor Callahans nicht jedem gefallen, fraglos aber ist Joaquin Phoenix sehr überzeugend. Die Rolle eines Mannes, der nach dem Unfall gelähmt ist und nur einen Arm vollständig bewegen kann, ist für ihn eine Herausforderung, die ihm sehr guttut: Eigentlich ist er ein Schauspieler, der seinen Körper meist sehr klar und expressiv einsetzt, hier aber muss er sich weit mehr auf seine Mimik verlassen. Und das verleiht ihm eine wohltuende Zurückhaltung, ohne dass das Charisma leiden würde.

Ohnehin ist die Besetzung dieses Films eine seiner großen Stärken: Die AA-Meetings finden hier in dem Haus des wohlhabenden Sponsors Donnie (Jonah Hill) statt – und sie sind das Herz dieses Films. Nicht nur hat diese Gruppe der Süchtigen kein Mitleid mit Callahan, sie entlarven seine „Gründe“, aus denen er trinkt, gnadenlos als Vorwände und Entschuldungen und lassen sein Selbstmitleid nicht zu. Dabei ist diese Therapiegruppe ein Kosmos an schrägen, herzlichen Figuren, ein Querschnitt durch die Bevölkerung und u.a. mit Udo Kier, Kim Gordon und Beth Ditto sehr gut besetzt. Hervorzuheben ist indes Jonah Hill, der hervorragend als Callahans Sponsor ist und endlich einmal nicht den komischen Dicken geben muss, sondern sein ganzes Können entfaltet. Auch in anderen Situationen finden sich immer wieder überraschende Besetzungen – nur Rooney Mara bleibt als Callahans Physiotherapeutin/Freundin Annu ein wenig fremd. Anfangs erscheint sie fast als eine Vorstellung, aber leider stellt sich heraus, dass sie sehr real ist. Hier sind verschiedene Frauenfiguren in Callahans Leben in einer verschmolzen und diese Verbindung geht letztlich nicht vollends auf.

Zu der guten Besetzung kommt ein ebenfalls gelungener Score von Danny Elfman, der viel mit Bebop arbeitet, dessen Tempo gut zu der Kameraarbeit von Christopher Blauvelt passt – und letztlich auch zu dem Lebensstil von Callahan, der immer wieder mit einem elektronischen Rollstuhl durch Portland regelrecht rast und mehr als einmal damit umfällt.

Vor allem aber vermeidet Gus Van Sant eine blinde Feier des 12-Stufen-Plans der Anonymen Alkoholiker sowie die üblichen Sentimentalitäten und die Konventionalität der Geschichte eines Mannes, der seine Alkoholsucht besiegt, indem er sich klugerweise gegen eine lineare Erzählweise entschieden hat. Stattdessen nimmt er wie schon in Milk verschiedene Reden als Ausgangspunkt, um zunächst von einer Preisverleihung in die Vergangenheit zu springen und dann zwischen der Zeit des Trinkens und des Nüchternwerdens zu wechseln. Damit erforscht er die Psyche seiner Hauptfigur und entwickelt ein spannendes Porträt eines Mannes, der schließlich seinen Weg in die Kunst findet. Daher lässt sich letztlich bei Don’t worry, He Won’t Get Far on Foot vor allem eines konstatieren: Der kluge Geschichtenerzähler Gus Van Sant ist wieder da!

Don't worry, weglaufen geht nicht (2018)

Obwohl er 1972 bei einem Autounfall beinahe sein Leben verloren hätte und im Rollstuhl gelandet ist, sieht es John Callahan überhaupt nicht ein, das Saufen aufzugeben. Doch als er sich endlich in Behandlung begibt, um sein Alkoholproblem in den Grifft zu bekommen, entdeckt er seine künstlerische Begabung, die sein Leben verändern wird. Gus Van Sants neuer Film, der seine Premiere in Sundance feiern wird und der danach im Wettbewerb der Berlinale 2018 startet, basiert auf der Autobiographie des 2010 verstorbenen John Callahan.

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Meinungen

Christel Hoffmann · 16.08.2018

Bis jetzt hab ich nur gehört im DLF und gelesen über den Film, aber ganz sicher schau ich mir ihn an.