Paranoid Park

Eine Filmkritik von Florian Koch

Ein Skater-Leben für die Half-Pipe

Alex könnte ein typischer Mittelstands-Jugendlicher sein. Äußerlich unscheinbar, verwuschelte Haare; Klamotten, die seine Zugehörigkeit zur Skater-Szene zeigen: Umgedrehtes Cap, weite Hosen, T-Shirts mit stylischen Aufschriften. Alex hat eine hübsche, wenn auch oberflächliche Cheerleader-Freundin, nimmt keine Drogen, trinkt nicht und fällt auch sonst kaum auf. Doch irgendwas befremdet an diesem 16-jährigen Durchschnitts-Teenager. Und nach wenigen Szenen wird einem auch der Grund dafür klar. Alex fehlt der Lebenssinn. Ihn umgibt eine fast gespenstische Teilnahmslosigkeit. Ob Sex, Beziehungsprobleme, die Scheidung seiner Eltern oder quälende Gespräche mit der Polizei. Nichts scheint ihn zu tangieren, das ebene Gesicht bleibt zombiehaft ausdruckslos, die Augen leer. Nur ein Lebensraum stiftet für den Suchenden Sinn: Das Skateboarder-Paradies Paranoid Park.
Mit Paranoid Park beendet Regisseur Gus van Sant vorläufig seine Trilogie über die amerikanische „lost generation“. Normierte, einengende Hollywood-Studioproduktionen wie Good Will Hunting (1997) oder Finding Forrester (2000) veranlassten die ehemalige Independent-Ikone (My Private Idaho ) einst zu dem Wüsten-Aussteiger-Projekt Gerry (2002) mit Matt Damon und Casey Affleck. Doch erst mit Elephant, der eigenwillig-wertfreien Auseinandersetzung mit dem Littleton-Schulmassaker erfand sich van Sant 2003 neu. Es regnete Auszeichnungen, an der Spitze die Golden Palme. Seinem elliptisch-assoziativen, tranceartigen Inszenierungsstil blieb er sich 2005 auch mit Last Days, einer sperrigen Innenansicht in Kurt Cobains letzte Tage vor dem Selbstmord, treu. In Paranoid Park arbeitet van Sant wieder mit den gleichen Inszenierungsmitteln, gibt sich aber wesentlich zugänglicher als in den beiden Vorläuferfilmen. Allerdings verzichtet van Sant in der Verfilmung des gleichnamigen Jugendbuchs von Blake Nelson erneut zu Gunsten einer eindringlichen Innenschau auf eine ereignisreiche äußere Handlung.

Im Mittelpunkt steht besagter Alex (Gabe Nevins, den van Sant über das Internetportal myspace castete), dessen Leben ganz um den Paranoid Park in Portland, Oregon kreist. Dabei musste ihn sein Freund Jared (Jake Miller) erst überreden, dieses illegal errichtete Half-Pipe-Gelände aufzusuchen. Dem Paranoid Park eilt unter „Skatern“ nämlich der Ruf eines „Heiligtums“ voraus, und Alex ging davon aus, mit seinen bescheidenen Skateboard-Künsten bei weitem noch nicht „bereit“ dafür zu sein. Doch gleich beim ersten Besuch erfasst ihn die Magie dieses baufälligen, unter einer Brücke gelegenen Rückzugsraums für ausgestoßene, heimatlose Jugendliche. Er kommt jetzt täglich hierher. Eines Nachts überredet ihn ein älterer Skater auf einen Frachtzug aufzuspringen, um das Freiheits-Surf-Gefühl zu genießen Doch aus dem Genuss wird tödlicher Ernst, als ein Wachmann die beiden erwischt und sie versucht aus dem fahrenden Zug zu werfen. Alex wehrt sich und schlägt mit dem Skateboard auf ihn ein. Der Wachmann fällt unglücklich auf das Nachbargleis und wird von einem vorbeirasenden Zug gespalten. Alex reagiert wie paralysiert, schmeißt sein Skateboard in den Fluss und beschließt den Vorfall zu verschweigen. Nur einem Tagebuch vertraut er seine Gedanken an; doch die Polizei beginnt bereits in der Skater-Szene zu ermitteln.

Der schreckliche Unfall, um den der Film beständig kreist wird dem Zuschauer lange Zeit vorenthalten. Ahnungen über ein unbewältigtes, tragisches Ereignis durchziehen aber bereits die erste Hälfte der Jugendstudie. Alex monologisiert als Off-Erzähler über sein ungelebtes Leben, das für ihn nur im Paranoid Park an Bedeutung gewinnt. Konsequent trennt van Sant diese schwerelos-tranceartigen Sequenzen ästhetisch von den übrigen Alltags-Momenten ab. Eine Teilung, die dem Charakter von Alex entspricht. Eine kleine Super 8 Kamera, geführt von Rain Kathy Li, schafft im Paranoid Park grobkörnig-fließende Bilder, die einen realen Skater-Doku-Touch versprühen. Im Kontrast dazu stehen die glatten, hyperästhetischen Zeitlupen-Aufnahmen, die Kamera-Genie Christopher Doyle abseits dieser selbstvergessenen Momente kreiert. Sie geben der Szenerie eine irreal-schöne Künstlichkeit, die vergleichbar mit Wong Kar Wais 2046 ist. Auch ein weiteres Wong Kar Wai-Stilmittel macht sich van Sant in Paranoid Park zu Eigen. Die filmische Erzählung an Hand der Filmmusik. Das führte auch zu einigen Kritikpunkten, denn die Skaterszene definiert sich von Haus aus mit Punk-Rock von Millencolin oder NOFX. Van Sant greift aber zu einem breiten Spektrum, das von Nino Rota-Kompositionen über Hip Hop bis zu Ludwig van Beethoven reicht. Damit verweigert er sich einer rein authentischen Beschreibung der Skater-Szene und versucht vielmehr der ausdruckslosen Hauptfigur an Hand der Musik und auch des aufdringlichen Soundteppichs eine emotionale Gewichtung zu verleihen. Genial funktioniert dieses Stilmittel bei der wohl stärksten Szene, als Alex noch unter dem Unfallschock stehend nach Hause kommt und sich die Schuld abzuduschen versucht. Sein Kopf hängt müde herunter, Wasser perlt — auf der Tonspur deutlich verstärkt — von den Haaren herab, das Bild dunkelt ab, ein irritierendes Vögel-Zwitschern ertönt; Alex hält sich die Hände vors Gesicht und sackt in der Dusche förmlich zusammen, während die Tropfen wieder lauter werden. Allerdings greift van Sant bei seinem kunstbeflissenen Musikeinsatz auch das ein oder andere Mal daneben. Beim Tod des Wachmanns ertönen pathetische Chöre, während sein abgetrennter Oberkörper weiter auf Alex zuzurobben scheint. Eine widerlich überzeichnete Szene, die zu anderen Schwächen des van Sant-Films führt. Die Zeitlupen-Schulgang-Sequenzen evozieren permanente Déjà-vues von Elephant; die chronologischen Brüche und die bewussten Szenenwiederholungen wirken teilweise überflüssig-manieriert. Wie vermutet bleiben auch die Eltern wieder in der Unschärfe oder werden ähnlich wie Alex im Paranoid Park nur in Rückenansicht gezeigt. Die Negierung einer elterlichen Autorität und die Kurzauftritte der kaum charakterisierten Freunde kennt man leider längst aus anderen van Sant-Werken oder aus Larry Clarks Jugendstudien Kids und Ken Park, der ja ebenfalls im Skater-Milieu spielt.

Nichts desto trotz beeindruckt Paranoid Park mit seiner hypnotischen Bildsprache und der beeindruckend unsentimentalen Einblicke in die Welt eines Sinn suchenden Jugendlichen. Man kann gespannt sein, wie van Sants diesjährige Rückkehr zum Mainstream-Kino mit dem Politiker-Biopic Milk mit Sean Penn und Josh Brolin ausfällt.

Paranoid Park

Alex könnte ein typischer Mittelstands-Jugendlicher sein. Äußerlich unscheinbar, verwuschelte Haare; Klamotten, die seine Zugehörigkeit zur Skater-Szene zeigen: Umgedrehtes Cap, weite Hosen, T-Shirts mit stylischen Aufschriften.
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