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Eine Musiklehrerin, der eine große Karriere als Solistin versagt blieb, setzt alles daran, einen begabten Schüler auf den Weg zu bringen, auf dem sie selbst scheiterte. Ina Weisse hat mit „Das Vorspiel“ ein ambivalentes Drama realisiert, das in seiner Vielschichtigkeit fasziniert.

Das Vorspiel (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Zwischentöne und Kadenzen

Ina Weisses Film „Das Vorspiel“ reiht sich ein in eine ganze Reihe von Filmen der letzten Zeit, in denen es unter anderem um das Lehrerin/Schüler-Verhältnis im musikalischen Bereich geht: Jan Ole Gersters „Lara“ erzählt von einer Musikerin, deren Perfektionismus sie von ihrem eigenen Sohn entfremdete, Sabrina Saremis „Prélude“ (was ja soviel wie Vorspiel bedeutet) war ebenfalls einer solchen Beziehung gewidmet, fokussierte sich aber mehr auf den Schüler als auf die Lehrerin. Was diese Konstellation so zwingend macht, dass innerhalb kurzer Zeit gleich drei solcher Filme auf die Leinwände drängen, darüber kann man allenfalls spekulieren. Zum einen spiegeln sich im musikalischen Wettstreit die Prinzipien der Leistungsgesellschaft unter einem Brennglas wieder, allenfalls leicht verbrämt durch das Deckmäntelchen von Kunst und Kultur. Und zum anderen scheint es so, dass — womöglich in Ermangelung anderer realer Role Models, dies eine jener seltenen Konstellationen ist, in denen Frauen mehr Macht zugebilligt wird als (jungen) Männern. Jedenfalls ist es schon auffällig, wie sehr sich die Grundkonstellation dieser drei Filme deutschen Ursprungs ähneln.

Die Geigerin Anna (Nina Hoss), der selbst eine große musikalische Karriere versagt blieb, arbeitet als Musiklehrerin an einem Gymnasium mit Musik-Schwerpunkt. Als sie bei einer Aufnahmeprüfung für die Schule den jungen Violinisten Alexander (Ilja Monti) vorspielen hört, ist sie überzeugt davon, ein Ausnahmetalent vor sich zu haben, den sie entsprechend ihrer Vorstellungen formen kann, damit dieser vielleicht das erreicht, was ihr selbst versagt blieb. Gegen den Widerstand einer Kollegin (Sophie Rois) setzt sie die Aufnahme des jungen Geigers durch und feilt wie besessen an dessen Perfektionierung. Doch das bleibt nicht ohne Folgen für ihre eigene Existenz, die sie sich nach den Enttäuschungen über das eigene musikalische Versagen mühsam aufgebaut hat. Vor allem ihr Sohn Jonas (Serafin Mishiev), der selbst lieber Eishockey als Geige spielt, bekommt das zu spüren und entwickelt eine regelrechte Abneigung gegen den Lieblingsschüler seiner Mutter, was schließlich zu einem Zwischenfall führt, der verstört.

Mit feinem Blick für die verschiedenen Facetten, Brüche und Kadenzen innerhalb der Verbindungen, die Annas Leben in unterschiedlicher Weise bestimmen und prägen, fächert Ina Weisse einen ganzen Reigen von Emotionen auf, die sich hinter der äußerlich beherrschten Fassade von Annas Existenz auftürmen. Das ist die Beziehung zu ihrem Mann Philippe (Simon Abkarian), der in einer eigenen Werkstatt liebevoll Instrumente restauriert, die heimliche Affäre, die sie mit ihrem Kollegen Christian (Jens Albinus) unterhält, die Verbindung zu ihrem Sohn, der nicht so ganz ihren Wünschen entspricht, da dessen musikalisches Talent begrenzt erscheint und lediglich angedeutet, die Verletzungen eines weit zurückliegenden Konfliktes mit ihrem Vater. Aus diesem komplexen Geflecht entstehen alsbald unübersehbare Spannungen, die aber ausgerechnet Anna selbst, die im Zentrum dieser Konstellation steht, nicht sehen kann oder nicht sehen will.

In gewisser Weise erscheint Anna wie eine Art Vorstufe zu Jan-Ole Gersters Lara — eine Frau, die in ihren eigenen Augen versagt hat und die nun versucht, all ihre unerfüllten Wünsche und Sehnsüchte auf andere, jüngere Menschen zu übertragen. Noch nicht zynisch geworden, doch womöglich auf dem besten Weg dahin, auch wenn Anna dann doch charakterlich anders erscheint als die verbitterte Lara.

Doch Das Vorspiel funktioniert auch ohne Bezugspunkte zu anderen Filmen bestens: als fein ziselierte Studie einer Frau im Zwiespalt zwischen Disziplin und Kontrollverlust, zwischen der Suche nach Perfektion, eigenen Versagensängsten und Minderwertigkeitsgefühlen, als feinnerviges Schauspiel-Kino par excellence (Nina Hoss erhielt für ihre Rolle beim Filmfestival in San Sebstian die Silberne Muschel als beste Darstellerin) und als sensibles Drama, das seine Konflikte und Wendepunkte mit nahezu musikalischer Feinheit eher andeutet als auserzählt. Ein Werk mit vielen Zwischentönen.

Das Vorspiel (2019)

Anna lebt mit dem Instrumentenbauer Horn und ihrem Sohn Jonas in Berlin und unterrichtet an einem Musikgymnasium. Als der 12-jährige Geiger Alexander in ihr Leben kommt, entfernt sie sich zunehmend von Mann, Sohn und Liebhaber. Am Tag einer entscheidenden Zwischenprüfung kommt es zur Katastrophe.

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Meinungen

Martin Wolf · 03.08.2022

Ich musste beim Ansehen irgendwie an "Black Swan" denken. In etwa ähnliches Thema, aber Black Swan hat es geschafft, ernst UND unterhaltsam zu sein. Deutsche Filme sind immer noch entweder ernst ODER unterhaltsam; dazwischen liegt der große deutsche Void, ein Burggraben der Einfallslosigkeit.
Aber auch das Ernste will nicht recht gelingen. "Furztrocken", um Annas Vater hier mal zu zitieren, trifft es eher. Die Figuren schweigen sich stundenlang an, der Ehemann lässt sich recht emotionslos Hörner aufsetzen, der Liebhaber lässt sch emotionslos ewig hin halten, Konzerte haben die Stimmung von mündlichen Abfragen an der Tafel im Matheunterricht, ihr Sohn bringt einen Mitschüler emotionslos fast um und die Mutter nimmt es emotionslos hin. Und das Allerbeste: der Film hört einfach auf. Kein Spannungsbogen, kein Finale, keine Aussprache, keine Heldenreise, keine Entwicklung der Figuren. Ich habe nur mit großer Mühe eine "fein ziselierte Studie" oder einen "feinen Blick für die verschiedenen Facetten" von irgendjemandem gesehen. Die Schauspieler holen aus dem Drehbuch alles raus was geht, das muss man jedem einzelnen lassen. Aber das Drehbuch erscheint mir - mal wieder - in der Hauptsache auf Förderfähigkeit durch die deutsche Filmförderung ausgelegt worden zu sein.

Silli · 29.06.2022

Der Film hat mit der Vorankündigung - und dem Thema, das man eigentlich erwartet - herzlich wenig zu tun. Es geht nur am Rande um die professionelle Ausbildung eines talentierten jungen Musikers, sondern beinahe ausschließlich um die Neurosen einer Frau und deren Familie. Wie hier Frau Pirlich schon bemerkte, hat der Unterricht im Film nichts mit einem tatsächlichen Instrumentalunterricht zu tun - das ist alles komplett abwegig. (Zum Vergleich lese man das Buch Piano Lessons von Anna Goldsworthy - hierin erfährt man, was einen guten Unterricht ausmacht!).
Eine Vernachlässigung ihrer Familie durch die Hauptfigur kann ich nicht erkennen, eher ist der Sohn einfach komplett verzogen, und sowohl die Lehrerin als auch ihr Mann sind gescheiterte Künstler, die mit ihrem Frust nicht fertig werden und ihrem Leben keinen Sinn geben können.
Warum das so ist, erschließt sich ebenfalls nicht. Wieviele Menschen würden ein solches Leben ersehnen - ein Instrumentenbauer (was für ein schöner Beruf!) und eine Geigenlehrerin, die zudem noch die Möglichkeit hat, Konzerte zu spielen! Ein Sohn, der beide Talente geerbt hat und nur etwas in die richtige Bahn gelenkt werden müsste.
Stattdessen Leere, Frustration, neurotischer Nonsens...

Leider erfüllt der Film in keinster Weise die Erwartungen.

Erdmuthe Pirlich · 05.06.2022

Leider hat die Regisseurin wenig von Musikunterricht und Musik machen verstanden. Der Unterricht ist einfach hanebüchen - damit käme heute kein Instrumentallehrer mehr durch! Und das Konzert, wo Nina Hoss der Bogen wegfliegt - absurd und jenseits jeglicher Realität.

Was soll das??

Die Figuren sind hölzern, sehr deutsch im Sinne von verkloppt. Schade…

Sonni · 05.02.2022

Der Film ist ok. Nina Hoss eine glänzende Schauspielerin. Was stört, ist, dass die Unterhaltungen auf französisch nicht mit Untertitel übersetzt sind. So geht von der Handlung bzw. von dem, was sich anbahnt, einiges verloren. Schade.