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Milla ist 15 Jahre alt und voller Leben. Milla hat aber auch Krebs und keine Ahnung, ob sie ihn besiegen wird. Deshalb will sie alles auskosten, was ihr geboten wird. Da kommt Moses, über den sie eines Tages regelrecht stolpert, gerade recht.

Milla meets Moses (2019)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Der Wahnsinn des Lebens

Es gibt zahlreiche Filme mit Kindern und Teenagern, die an Krebs erkrankt sind und die es manchmal schaffen und manchmal nicht. Der eigentliche Endpunkt, egal ob positiv oder negativ, ist aber nicht von Wichtigkeit. Diese Geschichten sind immer ein Vehikel, Familienstrukturen zu erforschen und nach dem Sinn des Lebens zu fahnden, der sich in diesen zugespitzten Situationen eventuell zeigt. Soweit spielt „Babyteeth“ das Spiel auch mit. Doch Shannon Murphys Film ist ansonsten alles andere als ein trauriger Film über ein Mädchen mit Krebs.

Babyteeth ist eher eine Bombe voller Leben, die einschlägt mit der größtmöglichen Wucht und eines niemals nutzt: (Selbst)mitleid. Nichts würde Milla (Eliza Scanlen) mehr verachten als Selbstmitleid. Für so einen Scheiß hat sie auch keine Zeit. Es gilt ein Leben zu leben, irgendwie. Einen richtigen Zugang hat sie noch nicht gefunden, als sie eines Tages plötzlich Moses (Toby Wallace) auf einem Bahnsteig trifft, der sie umrennt, weil er total zugekifft ist. Moses ist genau, was Milla braucht: Er stinkt, ist ein Streuner, nimmt Drogen und hat ein Dutzend Tattoos, auch im Gesicht. Er ist frech und hat keinen Bock zu funktionieren. Und plötzlich sitzt Moses bei Millas Eltern Henry (Ben Mendelsohn) und Anna (Essie Davis) am Tisch und isst Abendbrot. 

Die sind natürlich nicht begeistert, doch was will man machen, wenn die Tochter eventuell bald stirbt und sich diesen dysfunktionalen Typen als ihren Freund auserkoren hat? Die Situation könnte eine schwierige sein, würden die Beteiligten nicht alsbald erkennen, dass sie irgendwie alle im selben Boot sitzen und nicht einen Ticken besser sind als Moses. Auch Anna und Henry haben Drogenprobleme. Henry ist Psychiater und verzweifelt stumm an der Krankheit seiner Tochter. Also versucht er alle um sich herum, vor allem seine Frau, mit Tabletten zu heilen. Dies macht die Abendbrot-Szene auch zu einer durchaus absurd-komischen Farce, denn Anna hat ganz frisch neue Tabletten verschrieben bekommen und ist völlig high. Mehr sogar als Moses. Wo ist also eigentlich der Unterschied?

Genau diese Haltung macht Babyteeth zu einem wirklich guten Film. Es geht nicht um’s Sterben oder Bedauern, dass das Leben nicht so ist, wie man es sich vorgestellt hat. Es geht um Menschen und deren Umgang miteinander und dieser ist in diesem Film von solch ehrlicher und herzlicher Natur, dass einem manchmal der Mund offen steht, vor allem wenn Milla einfach ohne Rücksicht auf Verluste ihr Leben lebt. So sehr und so ehrlich, dass man sich selbst fragt, warum man es nicht auch so hält. Der Krebs ist nicht der Mittelpunkt, sondern der Katalysator, der alles und jedem dazu verhilft die Dinge jetzt und nicht später anzugehen. Genau das macht das Werk so wichtig und umwerfend, ja fast schon herrlich emotional verheerend.

So verheerend, wie Filme sein müssen, die einen wirklich aufrütteln und berühren. Hinzu kommt, dass Murphys Film in seiner Art, Ton und Ästhetik ebenfalls keinerlei Zeit verliert, sich als ein ganz eigenes Werk mit eigenen Regeln zu präsentieren, ganz so, wie seine Hauptfigur es tut. Mit zahlreichen Zwischentiteln, die mal Einführung ins nächste Geschehen und mal eher Kommentar des Geschehens sind, teilt der Film sich völlig eklektisch in Kapitel unterschiedlichster Länge und erlaubt sich dem Film einen Rhythmus zu geben, der arbiträr erscheint, es aber keinesfalls ist. Es steckt ein System dahinter, das nicht auf Zeit oder gar der Geschichte selbst basiert, sondern auf deren emotionalem Flow. Ähnliches geschieht mit der Ästhetik, die sich ganz natürlich den Gegebenheiten anpasst und mal in türkisen Farbspektren, mal in Orange, dann wieder in Neongelb changierend, aber stets korrekt die Ereignisse sanft mitdiktiert, ohne dabei jemals unangenehm in den Vordergrund zu treten. 

Kurzum, Babyteeth schafft, was keine der anderen tränenerfüllten Krebs-Dramen schafft, so sehr sie sich auch um eine Kultur des carpe diem bemühen. Er stellt sie nicht aus, sondern lebt sie in jeder Sekunde und auf jeder möglichen Ebene aus. Und dies zu seinen ganz eigenen Regeln. 

Mehr Leben, mehr Eigenheit geht wohl kaum. Das Ergebnis ist brillant und so ehrlich, dass es einem das Herz zerreißt. Und das ist gut so.

Milla meets Moses (2019)

Als die schwerkranke Milla sich in den Kleindealer Moses verliebt, ist das der Albtraum ihrer Eltern. Für Milla bedeutet diese erste Liebe allerdings auch, dass sie neuen Lebensmut schöpft, doch dadurch wird ihr bisher streng geordnetes Leben auch ganz schön durcheinander gewirbelt. 

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Meinungen

alex · 22.11.2021

bisschen (zu)viele worte für das, um das es in dem film geht: liebe.

alex · 22.11.2021

bisschen viele worte für nichts anderes in dem film: liebe.