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Volker Kutschers Romane über den Kriminalpolizisten Gereon Rath hat es dank seines Lokal- und Zeitkolorits in die Bestsellerlisten geschafft. Nun haben sich Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries zusammengetan und daraus eine Serie gemacht — und die schafft es sogar ins Kino.

Babylon Berlin (TV-Serie, 2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Im Taumel der Weimarer Republik

Am Anfang von Babylon Berlin sitzt Gereon Rath (Volker Bruch) auf einem Stuhl und hört eine hypnotisierende Stimme: Er soll zurückgehen, an den Anfang, dorthin, wo alles begann. Die Bilder taumeln nach Berlin ins Jahr 1929, der „Blutmai“ steht noch bevor. Gereon Rath wurde aus Köln in die Hauptstadt versetzt, dort war er bei der Mordkommission, hier arbeitet er bei der Sitte. Mit seinem Kollegen Bruno Wolter (Peter Kurth) hebt er bei einer Razzia ein Fotostudio aus, in dem anstößige Bilder angefertigt werden. Aber Rath hat noch ein weiteres Ziel: Es gibt ein Bild, an dessen Negativ er unbedingt kommen will – und dessen Hintergründe sind eines der Geheimnisse in Tom Tykwers, Achim von Borries’ und Hendrik „Henk“ Handloegtens Serie, von der die ersten vier Folgen vorab zu sehen waren.

Gereon Rath ist in Babylon Berlin zudem die Figur, mit der der Zuschauer anfangs einen Blick auf das unbekannte, das vergangene Berlin wirft und die ihn zu den anderen Figuren führt, die diese Geschichte bald bevölkern: Zu Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries), eine Stenotypistin, die jeden Morgen versucht, im Polizeipräsidium – „die rote Burg“ genannt – eine Arbeit zugeteilt zu bekommen. Falls es für sie nichts gibt, muss sie wieder gehen und ihr Geld anders verdienen. Denn sie braucht jeden Pfennig, damit sie die Miete zahlen kann für die Zimmer, die sie mit ihrer kranken Mutter, ihren Schwestern, ihrem nichtsnutzigen Schwager und dessen Kindern bewohnt. Charlotte gibt es auch schon in den Romanen von Volker Kutscher, auf denen Babylon Berlin basiert. Sie ist ein Beispiel dafür, wie Tykwer, von Borries und Handloegten die Buch-Reihe als Ausgangspunkt für ihre Serie genommen haben, sich in der Adaption aber sehr viele Freiheiten gelassen haben. Denn im Gegensatz zur Charly im Buch, die bereits bei der Polizei arbeitet, ist Charlotte hier eine ehrgeizige Frau, die auf eine Anstellung bei der Polizei hofft. Eine Aufsteigerin, die – das wird in den ersten vier Folgen deutlich – bereit ist, auf einige Angebote einzugehen, damit sie ein besseres Leben hat. Hier versprechen die ersten vier Folgen eine nicht nur gut gespielte, sondern auch sehr interessante Figur. Gleiches gilt für Greta (Leonie Benesch), die in Gereon Raths Reihenauftakt Der nasse Fisch lediglich zweimal als Mitbewohnerin von Charlotte erwähnt wird. In der Serie nun kommt sie gerade erst nach Berlin und versucht, dort eine Zukunft zu finden – und es deutet sich an, dass aus ihr eine wichtige Figur wird.

In diesen Figuren zeigt sich zudem auch schon der größte Unterschied zu dem Buch – und womöglich auch der größte Verdienst dieser Adaption: Babylon Berlin ist als opulentes Sittengemälde der Spätzeit der Weimarer Republik angelegt. Mit den Figuren bewegt man sich durch verschiedene Milieus, mit Charlotte geht es in die Nachtclubs, in denen die vielbeschworenen wilden Zwanziger zu spüren sind in großartigen Massenszenen, perfekt choreografiert und geschnitten zu dem vielversprechenden Soundtrack. Hier findet sich auch einer der bisherigen Höhepunkte der Serie: Die beeindruckende Schlusssequenz der Pilotfolge spielt im Moka Efti, dem legendären Berliner Tanztempel, in dem die berauschte Menge tanzt. Hier passt jedes Ausstattungsdetail, jede Bewegung, ohne dass jemals der Eindruck steht, hier würde verzweifelt versucht werden, ein Lebensgefühl nachzustellen. Vielmehr verbindet sich der Rausch mit einer Gegenwärtigkeit, die diese Serie in vielen Szenen authentisch wirken lässt. Dann tritt die Sängerin Nikoros (Severija Janušauskaité) auf, eine androgyne Erscheinung im Frack, die ein Lied anstimmt, das man so schnell nicht wieder vergessen wird.

Beständig taucht die Serie in verschiedene gesellschaftliche Schichten ein. Sie erzählt von kleinen Beamten und Exil-Russen, von Frauen, die ums Überleben kämpfen, von Männern, die weiterhin von einem starken deutschen Reich träumen und Vorboten des aufziehenden Nationalsozialismus sind; aber auch von Männern, die traumatisiert sind vom Krieg, wie Gereon Rath, der unter dem „Shell Shock“-Syndrom leidet, auch „Kriegszittern“ genannt. Hier baut sich sukzessive ein Epochenbild auf, das beständig Lust auf mehr macht.

Tatsächlich lässt sich nach den ersten vier Folgen festhalten, dass Tykwer, von Borries und Handloegten sehr viel gelungen ist: die Besetzung insbesondere der bisher zentralen Figuren passt gut in die Zeit und besteht aus Schauspieler_innen, die noch nicht aus zahlreichen anderen Rollen bekannt sind. Das Set-Design spiegelt die Milieus wider, Berlin darf endlich auch einmal dreckig sein. Und die überwiegend selbstkomponierte Musik verspricht einen guten Soundtrack. Außerdem haben sie den recht konventionellen Krimi-Plot der Buchvorlage aufgebrochen und eine neue narrative Struktur entwickelt, die zudem andere Akzente mitbehandelt. Hier wird es nicht nur um Gold gehen, das von Russland aus nach Deutschland geschmuggelt werden soll, so viel ist klar. Vielmehr deutet sich vieles schon in Ansätzen an: die Bedrohung der Demokratie durch den Nationalsozialismus, der schwelende Antisemitismus, Spuren der „schwarzen Reichswehr“ und eines trotzkistischen Kampfverbandes. Daher lassen die ersten vier Folgen hoffen, dass Babylon Berlin nicht nur das teuerste Serienprojekt aller Zeiten, sondern auch eines der besten Serienprojekte seit langer Zeit wird.

(Sonja Hartl)

Ab 13. Oktober zeigt Sky die 16 Folgen der ersten beiden Staffeln. Eine Ausstrahlung in der ARD ist für 2018 vorgesehen.

Babylon Berlin (TV-Serie, 2017)

Am Anfang von Babylon Berlin sitzt Gereon Rath (Volker Bruch) auf einem Stuhl und hört eine hypnotisierende Stimme: Er soll zurückgehen, an den Anfang, dorthin, wo alles begann. Die Bilder taumeln nach Berlin ins Jahr 1929, der „Blutmai“ steht noch bevor.

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Meinungen

steff · 14.11.2018

Als begeisterter Leser von Volker Kutschers Romanserie bin ich von der Serie maßlos enttäuscht. Das Buch "Der nasse Fisch" wurde vollkommen entstellt. Die Charaktere wurden sinnlos umgeschrieben und filmisch "vergewaltigt". Man kann nur sagen "Die Deutschen können's nicht". Sie können keine 1a-Vorlage original umsetzen. Das Ergebnis ist eine maßlose Selbstüberschätzung des Autoren-und Regieteams. Man sitzt vorm TV und fragt sich immer wieder "was soll das?". Tyckwer hat es tatsächlich geschafft aus einer tollen Vorlage eine sehr schwache Kopie zu inszenieren. Warum er das getan hat bleibt wohl sein Geheimnis. Sinn macht das nicht.

wignanek-hp · 19.10.2018

Die Serie ist das beste, was ich seit langem an deutschen Produktionen gesehen habe. Endlich durften sich drei der kreativsten Köpfe einmal austoben, ohne dass man ihnen große Vorschriften gemacht hat, was die Massenkompatibilität angeht. Das hat sich ausgezahlt. Ich wünsche den Öffentlich-Rechtlichen weiterhin soviel Mut, aus der Tatort und Rosamunde-Pilcher-Routine auszubrechen. Die Zuschauer honorieren mutiges Fernsehen. Was die Abweichungen von der Vorlage angeht, so hat die Geschichte dadurch nur gewonnen. Sie ist dichter geworden, näher dran an den Zeitumständen. Und die Atmosphäre ist autentisch, sowohl von den Figuren als auch von der fantastischen Ausstattung. Ich freue mich schon auf die 2. Staffel und natürlich auf die 3., die es ja wohl auch geben wird.

Ch. Schwarz · 05.10.2018

Die beiden Hauptdarsteller gefallen mir gar nicht. Faszinieren mich nicht. Ansonsten gut gemacht. Aber etwas durcheinander. Schade, die Bücher sind besser.

J. Schulze · 01.10.2018

Eine typisch deutsche Verfilmung.
Es langatmig, zuweilen sind die Darsteller schlecht zu verstehen.
Im Grunde vermisst man eigentlich die Werbeblöcke der Privaten.
Bis man endlich nach einer Stunde vor dem TV eingeschlafen isr.