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Leo, ein demenzkranker Mann und seine Tochter begleitet Sally Potter einen Tag durch New York. Dabei spielt der Film mit Zeitebenen und Parallelentwürfen von Leos Leben. Was hätte werden können, was war, was er sich wünschte. Der Trip durch seinen zerrütteten Kopf gerät allerdings zur Farce.

Wege des Lebens - The Roads Not Taken (2020)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Niemannsland

Er macht die Tür nicht auf, obwohl es Sturm klingelt. Und er geht auch nicht ans Telefon auf dem seine besorgte Tochter Molly (Elle Fanning) ihn anruft. Leo (Javier Bardem) liegt einfach nur im Bett, dort in seiner kleinen Butze, direkt unter der Bahnhaltstelle in New York. Doch dass er in New York ist, dass weiß er schon gar nicht mehr. Leo hat frontaltemporale Demenz im fortgeschrittenen Stadium und kommt nicht mehr klar.

Das verstehen alle außer Molly, die einfach nicht glauben will, dass ihr Vater schon so verloren ist. Sie, die Journalistin, die eigentlich arbeiten muss, ist gekommen, um mit ihm zum Augen- und zum Zahnarzt zu gehen. Doch Molly unterschätzt die Lage. Und trotzdem versucht sie das Beste daraus zu machen und Leo beisammen und bei Laune zu halten. Ihr Blick von außen sieht einen rätselhaften Mann, der ab und zu etwas sagt, doch es macht keinen Sinn. Hier ist es nun, dass die Zuschauer*innen von Sally Potters Film mitgenommen werden auf The Roads Not Taken, die zunehmend abgleiten ins Innere Leos, ein Mitnehmen auf eine Reise in Leos sich zersetzendes Hirn zwischen Zeiten und Orten, der Realität und dem, was hätte sein können

Und so begibt sich der Film auf eine stark fragmentierte Reise, die immer wieder in die Gegenwart zurückgeht, nur um sich wieder in zwei anderen Geschichten aufzulösen. Zum einen wäre da Leos Leben mit seiner Jugendliebe Dolores (Salma Hayek) in seiner Heimat Mexiko. Die beiden wohnen in einem sonnendurchtränkten Haus und alles könnte schön sein, doch ein großer Schatten liegt über der Beziehung. Es stellt sich alsbald heraus, dass ihr gemeinsamer Sohn Nestor von einem Auto erfasst und getötet wurde und Leo kommt darüber überhaupt nicht hinweg. Als Dolores am Día de los Muertos an seinem Grab trauern will und Leo bittet mitzukommen, verweigert er sich hörbar barsch und die Ehe aber vor allem Leo geraten völlig ins Straucheln.

Ein anderer Strang zeigt Leo als alternden Schriftsteller in Griechenland. Hier sinniert er über Ideen für sein neues Buch und trifft dabei auf zwei junge Frauen, von denen eine ihn begeistert. Immer wieder läuft er den Frauen nach und schüttet ihnen sein Herz aus. Er berichtet davon, wie er seine Frau und seine Tochter, die noch im Babyalter ist, zurückgelassen hat, um schreiben zu können. Als die Frauen weiterziehen, um auf einem Boot zu feiern, steigert sich Leo so sehr in die Situation hinein, dass er ihnen hinterher rudert und dabei vom Weg abkommt.

Doch all diese Erzählstränge so stringent zusammen zu kriegen, das schafft man erst ganz am Ende des Filmes, wenn überhaupt. Auch diese Interpretation könnte in der Tat falsch sein, denn The Roads Not Taken ist eher eine Beschreibung für mächtig wirre Irrpfade, die Sally Potter hier einschlägt und ihr Film findet aus diesen kaum noch heraus. Und so wechseln sich diese Irrungen, denen man gar nicht richtig folgen kann immer wieder ab mit der Jetzt-Zeit, in der selbst so Schauspieler wie Javier Bardem nichts aus ihrer Figur machen können: ist Leo doch vollkommen weg und stottert nur ein paar Worte hier und da. Da kann dann auch Elle Fanning wenig machen, ihre Rolle beschränkt sich auf das besorgte Umsorgen und auf minutiöses nach ihrem Vater Rufen.

Was auch verwundert: Potter ist durchaus für ihre cleveren feministischen Analysen bekannt, doch hier kredenzt sie einen Film, in dem die männliche Hauptfigur in allen seinen (potentiellen) Lebenswegen durchweg nicht in der Lage ist, aktive Entscheidungen zu fällen und mit sich und seinen Gefühlen klar zu kommen und deshalb alle Last, sowohl die psychische als auch die physische auf die Frauen in seiner Umgebung zu werfen. Die Aufopferung Mollys, die bis zum Verlust eines wichtigen Jobs reicht, ist dabei schon mit einem bitteren Geschmack verbunden, aber auch Dolores wird völlig allein gelassen und Leos Ex-Frau Rita (Laura Linney) ist so verbittert über ihn, dass auch hier einiges geschehen sein muss. Am schlimmsten ist jedoch die Griechenland-Sequenz. Was als Moment des Verlorenseins dieses Mannes fungieren soll, entpuppt sich zunehmend als völlig ekelhaftes und grenzüberschreitendes Stalking einer jungen Frau, die vom Alter hier seine Tochter sein könnte.

Und ob dies alles nun Realität oder gesponnen ist: jede dieser Grenzüberschreitungen, jedes überbordende Auferzwingen wird mit einer süßlich-romantisierten Note überzogen und gebilligt. Denn es ist ja ein Mann am Ende seiner Tage und da ist das irgendwie okay.

Wege des Lebens - The Roads Not Taken (2020)

Sally Potters neuer Film folgt einem Tag im Leben von Leo (Javier Bardem) und seiner Tochter Molly (Elle Fanning), an dem er verschiedene Leben durchlebt, die er hätte haben können, während sie darum kämpft, einen Weg für die Zukunft zu finden.

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