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Mit ihrem satirischen Blick auf die Kunstwelt und bissige Vergleiche zwischen westlicher Welt und Nahem Osten konnte sich Kaouther Ben Hania eine Oscar-Nominierung sichern. Doch wird „The Man Who Sold His Skin“ der damit einhergehenden Erwartungshaltung gerecht?

Der Mann, der seine Haut verkaufte (2020)

Eine Filmkritik von André Pitz

Die Würde des Menschen ist tätowierbar

„Weißt du, was schlimmer ist, als Teil des Systems zu sein? Vom System ignoriert zu werden”, sagt der Künstler Jeffrey Godefroi (Koen De Bouw) am Ende von „The Man Who Sold His Skin“ über die Perversionen des Kunstbetriebes. Was er meint, ist jedoch der Umgang der westlichen Welt mit Geflüchteten aus dem Nahen Osten. Man sollte meinen, dass Regisseurin und Drehbuchautorin Kaouther Ben Hania nach gut 104 Minuten Laufzeit in der Lage sein sollte, ein weniger plattitüdenhaftes Fazit zu ziehen. Immerhin hat sie mit ihrem jüngsten Werk eine Oscar-Nominierung für den besten internationalen Film eingeheimst (und gegen Thomas Vinterbergs „Der Rausch“ den Kürzeren gezogen) – sofern man das als Qualitätsmerkmal sehen kann. Trotzdem ist „The Man Who Sold His Skin“ eine durchaus unterhaltsame und provokative satirische Betrachtung der Kunstszene sowie der Ignoranz der westlichen Welt. Zu oft stolpert der Film jedoch über seine im Verlauf immer weiter eskalierenden Metaphern.

Dabei beginnt alles ganz einfach: in Syrien mit Sam Ali (Yahya Mahayni) und Abeer (Dea Liane) und der Liebe, die beide füreinander empfinden. Doch sie dürfen nicht zusammen sein. Abeers Familie will endlich die Heirat mit einem Diplomaten, der in der syrischen Botschaft in Belgien arbeitet, eintüten. Trotzdem genießen beide in der Enge eines Eisenbahnwaggons den zunächst größten, an wahre Freiheit grenzenden Moment in liebevoller Einigkeit. Sam Ali will die Freiheit, die Revolution. Und scheitert. Das syrische Regime beginnt, ihn zu verfolgen. Er flüchtet mit der Hilfe seiner Schwester in den Libanon und muss Abeer zurück in den Händen des Diplomaten lassen.

Dort schlägt er sich tagsüber mit Arbeit in einer Hühnchenschlachterei durch und schleicht sich abends ohne Einladung auf eine Vernissage nach der anderen. Denn dort gibt es immer ein reichhaltiges Buffet. Eines Abends fliegt er auf, soll rausgeschmissen werden. Doch er sticht gerade noch rechtzeitig Jeffrey ins Auge, der ihn auf einen Drink einlädt. Schnell wird klar, dass der geheimnisvolle Künstler mehr mit Sam Ali vor hat. Er bietet ihm einen in seinen Worten fliegenden Teppich an, mit dem man frei reisen kann. „Ich will deinen Rücken!” – ein regelrecht mephistophelisches Angebot, Körper gegen Freiheit.

Der Deal: Sam Ali lässt sich ein Schengen-Visum auf den Rücken tätowieren und bekommt im Gegenzug ein tatsächliches Visum mit absoluter Reisefreiheit organisiert. Gleichzeitig muss er als nun lebendes Kunstwerk jedoch auf Fingerschnippen für Ausstellungen bereitstehen. Der Exzess der westlichen Welt wird wortwörtlich auf dem Rücken der Geflüchteten ausgetragen. Die Würde des Menschen ist zwar nicht antastbar, aber offensichtlich tätowierbar.

Spätestens an dieser Stelle verabschiedet sich das Drehbuch von jeglicher Form der Subversion. Wer zwischendrin mal kurz aufs Handy schaut, muss keine Angst haben, etwas zu verpassen. Denn The Man Who Sold His Skin setzt zwar auf „show”, aber in noch viel größerem Maße auf „tell”.

Jeffrey spricht schnörkellos über seine Intention: Er will mit seinem lebenden Kunstwerk Kritik daran üben, dass in unserer Welt Menschen zu Waren geworden sind – Dinge, die einen in Dollar ausdrückbaren Wert haben, mit denen gehandelt werden kann. Doch der Exzentriker bedient sich für seine Kunst letztlich selbst der Mechanismen, die er vermeintlich kritisiert. Er bricht damit sein eigenes Wertversprechen an die Menschen. Kaouther Ben Hania inszeniert das klar erkennbar, geht jedoch mit reihenweise platt-deskriptiven Drehbuchzeilen lieber auf Nummer sicher.

Zu oft brechen Momente wie diese den Fluss des Films. Sie zeugen von wenig Vertrauen in die eigene Ausdruckskraft und die Intelligenz des Publikums. Zu oft werden in ihrer Ruhe wirkmächtige Momente von plumper Exposition und Plattitüden irreparabel gebrochen. In seinen schlechtesten Momenten bewegt sich The Man Who Sold His Skin deshalb im Fahrwasser von Dan Gilroys Die Kunst des toten Mannes, schafft es in lichten Momenten jedoch auch in Richtung Ruben Östlunds The Square zu steuern und für Lacher zu sorgen. So wird auf Sam Alis tätowiertem Rücken zu klassischer Musik ein eitriger Pickel ausgedrückt, während im Museum nur ein Schild mit der Aufschrift „Das Werk wird gerade restauriert” zu sehen ist. Doch das Lachen bleibt im Halse stecken, während die Absurditäten der Kunstwelt als Akte der absoluten Entmenschlichung offenbart werden.

Dennoch, lauert die eigentliche Unmenschlichkeit nicht in Syrien, wo ein irrer Diktator Krieg gegen seine eigene Bevölkerung führt? Kaouther Ben Hania ist sich da offenbar nicht so sicher, lässt ihren Protagonisten letztlich zurück in seine Heimat kehren und dort seine Freiheit finden. Der Vergleich ist offensichtlich: Die westliche Wohlstandsgesellschaft mit all ihrer Ignoranz ist genauso schlimm wie repressive Gesellschaftsordnungen in Teilen des Nahen Ostens. Nur leider wird der Film dieser komplexen Gegenüberstellung nicht in ausreichendem Maße gerecht. Es fehlt an einem soliden argumentativen Fundament. Und so bleibt The Man Who Sold His Skin ein schön anzusehender Film mit interessanten Ideen, die jede Zuschauer*in jedoch letztlich für sich selbst durchdenken muss.

Der Mann, der seine Haut verkaufte (2020)

Die Reise von Sam Ali, einem Syrer, der vor dem syrischen Krieg in den Libanon geflohen ist, in der Hoffnung, sich schließlich seiner Geliebten in Paris anzuschließen.

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