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Die Begegnung mit einem Nachbarn lässt in dem zurückgezogen lebenden Trond an einen Sommer vor vielen Jahren entstehen — ein Sommer, der für ihn vieles veränderte. Nur: Kann er seinen eigenen Erinnerungen überhaupt trauen?

Pferde stehlen (2019)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Helden der Geschichte

„Ob ich mich in diesem Buche zum Helden meiner eignen Leidensgeschichte entwickeln werde oder ob jemand anders diese Stelle ausfüllen soll, wird sich zeigen.“ Dieser Anfang von Charles Dickens David Copperfield ist es, der Trond (Stellan Skarsgård) noch heute beschäftigt. Ist er es, der Held seines Lebens? 

Die ersten Bilder deuten darauf hin: Er hat sich einen langgehegten Traum erfüllt und sich ein abgeschiedenes Haus in Norwegen gekauft. Es ist der Winter 1999, er genießt die Ruhe, die Einsamkeit, freut sich darauf, den Jahrtausendwechsel alleine tief schlafend im Bett zu verbringen. Dann begegnet er eines Nachts seinem Nachbarn Lars (Bjørn Floberg), der seinen Hund sucht und Trond schließlich eine Geschichte erzählt, wie er einst einen Schäferhund erschossen habe. Es sei der erste Schuss gewesen, den er jemals abgefeuert habe. Trond ist irritiert, man sieht es ihm an. Es folgt ein kurzer Flashback, man sieht einen blonden Jungen, verkleidet in einem Kleid seiner Mutter, der ein Gewehr in Händen hält. Trond ist überzeugt, dass Lars gelogen hat, er ist überzeugt, dass er Lars kennt: Einst hat er einen Sommer mit seinem Vater in dessen Hütte in Norwegen verbracht – und dabei ist er Trond begegnet.

Damit beginnt eine Reihe Rückblicke, die nach und nach die Ereignisse jenes Sommers 1948 erzählen, die nicht nur Tronds, sondern auch Lars‘ Leben für immer verändert haben. Damals hat Trond seinen Vater (Tobias Santelmann) zum letzten Mal gesehen. Er fragt sich, ob er damals hätte erkennen müssen, ob er damals vielleicht bereits ahnte, dass sein Vater aus einem Leben verschwinden würde. Und er bereut so manches, was er in diesem Sommer getan und unterlassen hat.

In seiner fünften Zusammenarbeit mit Stellan Skarsgård hat Regisseur und Drehbuchautor Hans Petter Moland mit Out Stealing Horses (Ut stog stjæle hester) einen sehr ruhigen, nahezu kontemplativen Film gedreht, der sich insbesondere mit der Rolle der Erinnerungen in unseren Leben beschäftigt. Mit der Frage, wie die Menschen, die aus unserem Leben verschwunden sind, es weiterhin prägen. Ob sie eventuell die Helden unseres Lebens sind. 

Die Beziehung zwischen Trond und seinem Vater ist schwierig. Auf der einen Seite bewundert der Sohn seinen Vater, er will sich ihm nahe fühlen. Auf der anderen Seite aber spürt er Konkurrenz und Eifersucht, er ahnt, dass er seinem Vater niemals richtig nahekommen wird. Im Verlauf dieses Sommers erfährt er, dass er so manches nicht von seinem Vater weiß – und sein Vater ist sehr bemüht, seinem Sohn beizubringen, dass er manche Dinge loslassen muss, um ein ruhiges, ein zufriedenes Leben zu führen. 

Ebenso wie die Romanvorlage von Per Petterson ist auch Out Stealing Horses sehr langsam erzählt – und nicht immer tragen die Schauspieler und die Bilder diese Langsamkeit, zumal sich Moland auch nicht vollends auf sie verlässt, sondern Trond häufig aus dem Off erzählen lässt. Sicherlich sind dies seine Gedanken, aber gerade bei einer Figur, zu deren vorherrschenden Charaktereigenschaften gerade nicht Beredtheit gehört, wären weniger Worte besser gewesen. Zumal weder die Geschichte noch die Erzählform derart komplex ist, dass man sie nicht ohne erklärenden Kommentar aus dem Off verstehen könnte. 

Am Ende lässt sich dann festhalten, dass  man die Frage, ob Trond zum Helden seines Lebens geworden ist, nicht eindeutig beantworten kann. Sicherlich hat er sich entschieden, welche Art Mann und welches Leben erführen will. Aber dennoch lässt nach Sichtung dieses zweistündigen Films auch nicht verleugnen, dass die Vergangenheit mehr als einen Schatten auf dieses Leben geworfen hat. 

Pferde stehlen (2019)

November 1999: Der 67 Jahre alte Trond lebt alleine und freut sich darauf, den bevorstehenden Jahreswechsel ins neue Jahrtausend alleine zu verbringen. Doch dann entdeckt er, dass er einen Nachbarn hat, den er aus dem Jahre 1948 kennt — in diesem Sommer wurde er 15 Jahre alt. 

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Meinungen

Erich Fischer · 03.12.2022

Gemütskranke Skandinavier taumeln auf ständig wechselnden Zeitebenen (1999, 1948, 1943) langatmig von einem Schicksalsschlag zum anderen. Durch die wüst verschachtelte Reihenfolge der eher episodenartigen Gschichtln mit ihrem unübersichtlichen Whoiswho kennt sich der Zuseher erst am Ende halbwegs aus. Ich weiß z.B. noch immer nicht, ob der Vater von Jon und Lars an seinem gebrochenen Haxen durch den von Trond und seinem Vater aus Ablenkung infolge Brünftigkeit verursachten Unfall beim Holzstapeln gestorben ist, jedenfalls war er nach dem Krankentransport 1948 für immer weg - oder hab ich da etwas verschlafen? Dass er 1943 aus übler Laune einen Widerstandskämpfer an die Nazis verpfiffen hatte, ergab auch keine sichtbare Bedeutung für die übrige Handlung. Und welchem dramaturgischen Zweck dient der Unfall mit dem Gewehr am Anfang, man erlebt keine klaren Folgen für die Zukunft, außer dass der kindlich unschuldige Täter danach in einer Szene deprimiert ist und keinen Appetit hat, für den viel späteren Streit über die Hofübergabe zwischen den verbliebenen Brüdern ist ja wohl anderes ursächlich.

Über Schauspieler und Kamera gibt es nichts zu meckern. Aber wenn ein Plot nur rudimentär und so unnötig wirr ist, muss der Film in den Augen vieler Rezensenten deshalb gleich großes Kino sein, das kann ich nicht nachvollziehen, ich finde ihn einfach affektiert und keine Empathie hervorrufend.