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Felice kehrt nach 40 Jahren in seine Heimatstadt Neapel zurück und erkennt Dinge, die er so früher nie wahrgenommen hat. Ein atmosphärisch dicht erzähltes Drama um Identität und Herkunft und ein Leben in der Gunst der Mafia.

Nostalgia (2022)

Eine Filmkritik von Melanie Hoffmann

Vom Zauber der Sehnsucht

Das kennt so ziemlich jeder: Man kommt in seine Heimatstadt, in die Straße, in der man Radfahren gelernt hat, sieht seine alte Schule wieder und plötzlich fühlt man sich wie in einer anderen Welt. So geht es auch Felice (Pierfrancesco Favino).

Lange ist es her, dass Felice in seiner Heimat war. Vor vierzig Jahren ist er in den Libanon ausgewandert, fand dort sein Glück beruflich und privat. Doch seine Mutter Teresa (Aurora Quattrocchi) ist alt und krank und er möchte sie sehen, vielleicht zum letzten Mal. Zurück in den Gassen des verwinkelten Neapolitanischen Bezirks ist er auf einer Reise in seine eigene Vergangenheit. Er verhilft seiner vom Vermieter übervorteilten Mutter zu einer besseren Wohnung, sorgt für gutes Essen und neue Kleidung. Aber er will seinen alten Stadtteil noch genauer erkunden. Wieso hat sich hier rein gar nichts geändert?

Doch Felice sieht auch die zwielichtigen Figuren, die dort unterwegs sind. Schnell bemerkt er, dass er und auch seine Mutter beobachtet werden. Neapel ist die Heimat der Camorra, einer der ältesten kriminellen Organisationen Italiens. Felice erinnert sich an die Zufluchtsorte seiner Kindheit und sucht den Priester Don Luigi (Francesco Di Lena) auf, auch wenn er bald gesteht, dass er vom katholischen Glauben abgekommen ist. Dennoch wird Don Luigi ein Freund und eine Bezugsperson für ihn, eine von wenigen. Den große Paten im Viertel nennt hier fast jeder „Malommo“ – schlechter Mensch. Für viele Missstände scheint er verantwortlich zu sein, und bald findet Felice heraus, dass es sich um seinen alten Schulfreund Oreste (Tommaso Ragno) handelt. Die beiden haben noch eine Rechnung miteinander offen.

In die Vergangenheit einzutauchen,  verschlingt einen manchmal wie ein Labyrinth. Mario Martone ist es gelungen, genau dieses Gefühl einzufangen. Mit viel Liebe beschreibt er die Gassen Neapels und erzeugt eine so dichte Atmosphäre, dass man das Benzin der Vespas förmlich riechen kann, und den Müll, aber auch das Essen, den Wein, den Weihrauch in der Kirche. Viele Gefühle erlebt Felice stellvertretend für den Zuschauer, in seiner Mimik kann man ganze Welten ablesen.

Anfangs wirkt die Erzählung noch etwas behäbig, doch lässt man sich auf den eigenen Rhythmus ein, der sich nach dem Leben in der heißen Stadt richtet, so wähnt man sich bald selbst inmitten des Viertels Sanità von Neapel. Auch Felice braucht nur wenige Tage, um aufzutauen und wieder eins zu werden mit seiner alten Heimat.

Wie es ist, mit der Camorra zu leben, ist in vielen italienischen Städten nur unter einem dünnen Vorhang versteckt. So offenbaren sich auch Felice nach und nach die Geheimnisse der Stadt. Die filmischen Rückblenden, die seine Erinnerungen sind, werden immer länger und länger. Mit dem Zuschauer immer auf Augenhöhe, werden Zusammenhänge klar. Das eher offene Ende lässt zwar etwas ratlos zurück, doch auf diese Weise trägt man den Film noch lange in seinen Gedanken.

Nostalgia (2022)

Nach 40 Jahren kehrt Felice nach Neapel zurück, um sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Er ist im dortigen Sanità-Viertel geboren. Felice entdeckt die Orte wieder und lernt erneut die Sprache der Nachbarschaft kennen. Die Vergangenheit droht ihn erneut zu verschlingen.

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Meinungen

Ma · 15.06.2023

Ich habe den Film ganz anders verstanden. Felice (''der Glückliche'), von seiiner Frau gedrängt, besucht seine Heimatstadt nach 40 Jahren wieder. Erstaunt darüber, wie wenig sich dort geändert hat, erkundet er aufs Neue die Orte seiner Kindheit. Übermannt von Nostalgie, ignoriert er alles Negative und glaubt, immer noch dazuzugehören. Denn ein Junge aus Neapel würde seine Freude nie verraten. Aber warum wird er dann von Anderen abgelehnt?