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Liebe zur Literatur zu verfilmen, ist ein schwieriges Unterfangen. Doch genau davon erzählt Joanna Rakoffs Roman „Lieber Mr. Salinger“. Wie ist der Adaption das gelungen?

Mein Jahr in New York (2020)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Die Liebe zur Literatur

Am Anfang wendet sich Joanna (Margaret Qualley) direkt an die Zuschauer: Vorgeblich sei sie nach New York gekommen um ihre Freundin zu besuchen. Aber sie will hier bleiben, weil sie Schriftstellerin sein will. Und Schriftsteller leben in schäbigen Apartments und schreiben ihre Romane in Cafés. So will es das Klischee und Joanna will dieses Klischee leben. Also lässt sie Berkeley und ihren Freund Karl hinter sich, wohnt vorerst bei ihrer Freundin und sucht sich einen Job. Sie landet in der literarischen Agentur von Margaret (Sigourney Weaver), die sich vor allem um einen Klienten kümmert, dessen Wohlergeben auch viel von Joannas Zeit in Anspruch nehmen wird: Jerry lebt abgeschieden in New Hampshire, Briefe an ihn muss Joanna mit Standardfloskeln beantworten, außerdem seine Anrufe möglichst schnell an Margaret weiterleiten. Auf gar keinen Fall darf sie seine Adresse herausgeben oder Kontakt zu ihm aufnehmen. Erst beim Hinausgehen aus dem Büro dämmert Joanna, wer mit Jerry gemeint ist: J.D. Salinger, der seit 1953 äußerst zurückgezogen in Cornish, New Hampshire lebt und gerade durch diese Zurückgezogenheit Raum für Spekulationen über sein Schreiben und seine Person eröffnet.

Es ist das New York der 1990er Jahre, das in jedem Bild in Philippe Falardeaus My Salinger Year zu sehen ist. In der Agentur wird noch mit Schreibmaschine geschrieben und Margaret hofft, dass diese Computer-Sache bald vorbei sein wird. Die Menschen lesen Zeitungen und Bücher, Joanna schreibt Lyrik und will Dichterin werden. Sie findet das schäbige Apartment, von dem sie träumt, sie teilt es sich mit ihrem aufstrebenden Schriftsteller-Freund und will selbst schreiben, doch es gelingt ihr nicht. Stattdessen beschäftigt sie sich mit den Briefen, die Salinger erhält – und wagt es schließlich, auf einige zu antworten.

Es ist sehr schwierig, die Liebe zur Literatur zu verfilmen – aber sie zeichnet Joanna Rakoffs autobiographisch grundierten Roman Lieber Mr. Salinger aus. Philippe Falardeau findet in seiner Adaption einige gute Lösungen: die Briefe, die an Salinger geschrieben werden, werden von den jeweiligen Absender*innen direkt in die Kamera gesprochen. Dadurch werden die unterschiedlichen Motive deutlich, die Anliegen, aber auch die Vereinnahmung, gegen die sich Salinger erwehrt hat.

Etwas kitschig ist indes eine Sequenz geraten, in der Joanna von Salingers Franny & Zooey erzählt und dazu Tanzpaare durchs Waldorf Astoria – noch so ein New Yorker Sehnsuchtsort – tanzen, teilweise fiktiv, teilweise aus Joannas Leben. Doch bei allem Kitsch: So kann Literatur sein, sie kann helfen, etwas über das eigene Leben zu erkennen.

Hier gelingt dem Film auch ein wunderbarer Verweis: Salingers Romane werden seither von jungen Leuten – insbesondere männlichen Heranwachsenden – stark identifikatorisch gelesen. Er ist der Autor, der die Jugend versteht; dieses Renommee hatte er bis zu seinem Tod 2010, obwohl er seit 1965 keine neuen Texte publiziert hat. Einmal sitzt Joanna an einem Mittagstisch und spricht über Saving Agnes von Rachel Cusk. Und hier ist es wieder, dieser Moment, dass man auf Literatur trifft, die etwas über das eigene Leben aussagt: ein Debütroman, der eine ganz bestimmte Gruppe Leser*innen anspricht, weil er von ihrem Leben, ihren Erfahrungen, ihren Lebenswelten zu erzählen scheint. Der Autor bzw. die Autorin ist lediglich die Projektionsfläche, denn es sind die Bücher, durch die man ein Stückchen weiter zu sich selbst findet.

Der Film erzählt weniger von Salinger als von Joanna: Schon in Rakoffs Buch ist Salinger vor allem aufgrund seines Nimbus präsent, er ist eine Projektionsfläche, jedoch ist es natürlich reizvoll über eine legendäre Agentur, deren berühmten Klienten und ebenso legendäre Agentin zu lesen. Zumal die Geschichte in der Zeit passiert, in der Salinger der Publikation seiner Geschichte Hapworth 16, 1924 zugestimmt hatte (die niemals stattgefunden hat). Im Film ist er nicht zu sehen. Er ist eine Stimme am Telefon, ein Mann, den man allenfalls von der Seite oder von hinten sieht. Denn dieses ist die Coming-of-Age-Geschichte einer Autorin.

Vieles wird nur angedeutet in diesem Film – über Joannas Hintergrund zum Beispiel ist nur wenig zu erfahren. Aber das fehlt auch nicht, denn sie steht auch für die vielen jungen Frauen, die einst von einer Schriftstellerkarriere träumten. Viele haben es nicht geschafft, sie haben diese Träume aufgegeben für einen sicheren Job, für einen Mann, für die Träume eines anderen. In My Salinger Year wird deutlich, wieso diese Entscheidungen getroffen werden. Deshalb ist es ein wenig schade, dass er in dem Moment aufhört, in dem Joanna zwar zu erreichen versucht, wovon sie träumt. Aber auch dort werden weitere Hindernisse kommen.

My Salinger Year ist ein Film über die Liebe zur und ein Leben mit Literatur – bisweilen ein wenig kitschig, aber er transponiert die Atmosphäre das Romans sehr gut auf die Leinwand: es ist eine Zeit, in der Bücher noch mehr Kultur als Geschäft waren, aber doch immer auch ein Geschäft.

Mein Jahr in New York (2020)

My Salinger Year porträtiert die ambitionierte junge Schriftstellerin Joana (Margaret Qualley), die als Assistentin der Literaturagentin Margaret (Sigourney Weaver) arbeitet. Ihr Job ist es, die Fanpost von Kultautor J.D. Salinger, dem Stolz der Agentur, zu beantworten.

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