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In einer gewaltigen audiovisuellen Versuchsanordnung versucht sich Rithy Panh an einer Annäherung an ein Jahrhundert voller Krieg, Gewalt und Vernichtung und lässt den Zuschauer angesichts der schieren Masse irritiert zurück.

Irradiated (2020)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Triptychen von Gewalt, Krieg und Vernichtung

Die Vertreibung und der Tod seiner Familie durch die Roten Khmer sind so etwas wie das Lebensthema von Rithy Panh. Immer wieder greift er in seinen Filmen die Gräuel des maoistisch-nationalistischen Regimes von Pol Pot auf und versucht so den Schrecken zu bannen, der sich tief in seiner Seele eingebrannt hat. 

In Irradiés tauchen zwar in einigen Bildsequenzen Szenen aus Kambodscha auf, doch der Film geht viel weiter und versucht sich an einer Metageschichte vor allem des 20. Jahrhunderts über Krieg, Gewalt, Verstümmelung, Tod und Vernichtung. Der Film nimmt den Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki zum Ausgangspunkt und reiht die Schrecken des Grabenkampfes im Ersten Weltkrieg, die Konzentrationslager der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg, den Napalmhagel in Vietnam, die Killing Fields in Kambodscha und den Völkermord in Ruanda beinahe unterschiedslos nebeneinander. Hinzu kommen Bilder von Experimenten an Mensch und Tier, wie diese möglichst grausam und effizient gefoltert und zu Tode gebracht werden. „Ich weiß, wo der tiefste Punkt der Erde liegt. Es ist der Mensch“, heißt es an einer Stelle des Films — und diese Worte bringen die niederschmetternde Botschaft des Films auf den Punkt.

Und als würde die schiere Menge der auf der Leinwand gezeigten Leichen, Grausamkeiten und Verstümmelungen nicht ausreichen, hat sich Rithy Panh dazu entschieden, für einen Großteil des Films das Bild in drei Segmenten aufzuteilen. Diese laufen mal synchron, dann wieder versetzt, kommentieren oder rahmen einander und potenzieren so den Bildraum um ein Vielfaches. Selbst wenn die Bilder für sich genommen noch irgendwie aushaltbar wären, ist es vor allem diese Aufspaltung und Vervielfältigung, die dem Film etwas Unentrinnbares gibt. Kein Ruhepunkt für die Augen, keine Flucht, kein Wegsehen ist mehr möglich, die Bestrahlten (so die Übersetzung des Titels in Anspielung auf die Strahlenopfer der ersten beiden Atombombenabwürfe) sind nicht nur die Bürger von Hiroshima und Nagasaki, sondern auch wir, das Publikum.

Nimmt man dann noch die Off-Texte — vorgetragen von einer Erzählerin und einem Erzähler — hinzu, dann legen sich weitere Bedeutungsschichten und -ebenen über die sowieso schon ebenso komplexen wie abgründigen Archivmaterialien, aus denen der Film zum größten Teil besteht. Zumal Bild und Ton einander nur selten direkt kommentieren, sondern auf eher indirekte Weise Assoziationsräume eröffnen. 

Rithy Panhs Irradiés ist einer jener Filme, bei denen man unentschieden ist, ob nicht das Museum der bessere Ort wäre, um sich dem Werk auszusetzen. Die Komplexität der Komposition schreit förmlich danach, sich diesen Film mehrmals anzusehen — und zugleich genau dies auf gar keinen Fall zu tun. Auch wenn der Film am Ende zumindest einen kleinen Hoffnungschimmer für die gepeinigte Menschheit bereithält. So richtig glauben mag man dem aber angesichts des gerade Gesehenen und Erlittenen nicht.

Irradiated (2020)

Sorgfältig setzen die Hände eines Mannes ein Modellhäuschen zusammen, in dem er wie in einem Schrein eine gerettete Kostbarkeit platziert: ein Familienfoto. So beginnt eine Reise in den Schmerz. Die Dreiteilung der Leinwand rhythmisiert die Bilder. Jede Tragödie ist einzigartig, doch die Wiederholung erzeugt jenes dumpfe Rauschen, vor dem es kein Entrinnen gibt. Irradiés ist gemacht von Menschen, die körperliche und psychische Irradiationen von Krieg überlebt haben, und jenen ans Herz gelegt, die glauben, gegen solche immun zu sein.

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