Log Line

Phyllis Nagy erzählt in „Call Jane“ vom Kampf einer aktivistischen Gruppe in den 1960er und 70er Jahren. Ein Kampf, den es jetzt wieder zu kämpfen gilt.

Call Jane (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Gestern, heute, morgen

Es wäre schön, wenn wir „Call Jane“ lediglich als spannend gemachtes period piece über eine vergangene, abgeschlossene Phase der Menschheitsgeschichte rezipieren könnten. Als einen Film über ein überwundenes Unrecht. Über Fehler, aus denen wir alle etwas gelernt haben – und die sich deshalb nicht wiederholen. Leider ist das aber nicht möglich. Vielmehr ist dieses Werk angesichts jüngerer Entwicklungen in den USA wieder hochaktuell und extrem relevant. Denn nach einem 2022 ergangenen Urteil des US-Supreme-Court ist Abtreibung in den USA kein Grundrecht mehr – was dazu führt, dass ungewollt Schwangere in Teilen des Landes zu Kriminellen werden (müssen), wenn sie über ihren eigenen Körper entscheiden wollen.

Die New Yorker Regisseurin Phyllis Nagy, geboren 1962, nimmt uns auf Basis eines Skripts von Hayley Schore und Roshan Sethi mit ins Jahr 1968. Bereits in ihrem Leinwanddebüt Mrs. Harris – Mord in besten Kreisen (2005) hat sie mit beachtlicher Besetzung (darunter Annette Bening, Ben Kingsley und Cloris Leachman) eine auf realen Begebenheiten beruhende Geschichte erzählt; zudem hat sie mit dem von ihr verfassten Drehbuch zur Patricia-Highsmith-Adaption Carol (2015) ihr feines Gespür für die Schilderung des (Innen-)Lebens und der allmählichen Befreiung weiblicher Figuren in einem historischen Setting demonstriert.

In Call Jane fängt Nagy die politische und gesellschaftliche Stimmung in einer Zeit des politischen und gesellschaftlichen Umsturzes sehr treffend ein. Die mit ihrem Ehemann Will (Chris Messina) und ihrer adoleszenten Tochter Charlotte (Grace Edwards) in einer republikanisch geprägten Vorstadt von Chicago lebende Hausfrau Joy Griffin (Elizabeth Banks) tanzt in der Küche zu den Klängen von Velvet Underground; mehr Rebellion ist in ihrem Alltag indes nicht denkbar. Als ihre erneute Schwangerschaft durch eine Herzmuskelerkrankung plötzlich eine Lebensbedrohung darstellt, wird ihr ein Abbruch untersagt: Ein aus rauchenden, Anzug tragenden Ärzten bestehendes Gremium erklärt ihr, dass das leider illegal sei. „There’s always insanity“, lautet einer der Ratschläge, die Joy im Anschluss erhält – sie müsse nur beweisen, dass sie suizidal sei. Ein anderer Vorschlag, den ihr eine Frau erschreckend beiläufig macht, ist, „einfach“ den Treppenlauf herunterzufallen, um eine Fehlgeburt herbeizuführen.

Schon hier wird deutlich, wie desolat und fremdbestimmt die Situation für Frauen damals war. Wenn Joy versucht, im Namen ihres (unwissenden) Mannes in ihrer Hausbank einen Scheck einzulösen, um damit eine illegale Abtreibung zu bezahlen, setzt Nagy dies beinahe wie in einem audiovisuellen Spionage-Abenteuer in Szene. „Power to the People“ ist als Graffiti an einer Außenwand zu lesen; Joy fühlt sich in diesem Moment jedoch noch völlig machtlos. Ein Aushang an einer Bushaltestelle bringt sie schließlich mit dem Jane-Kollektiv zusammen: Eine Untergrundgruppe von Frauen, angeführt von Virginia (Sigourney Weaver), die ungewollt Schwangeren mit der Hilfe eines jungen Arztes (Cory Michael Smith) gegen Bezahlung eine Abtreibung unter hygienischen und sicheren Bedingungen ermöglicht.

Die Janes gab es wirklich. Seit Ende der 1960er Jahre bis 1973 führten sie etwa 11.000 sichere Abtreibungen durch und gaben den betroffenen Frauen so das Recht auf den eigenen Körper zurück. Call Jane zeigt, wie sich die Mitglieder organisieren, welche Vorkehrungen getroffen werden müssen und welche (juristischen) Risiken mit der Aktion verbunden sind. Zur Sprache kommt dabei auch, dass die Gruppe in ihrem Handeln zunächst noch immer von einem Mann – dem behandelnden Arzt – abhängig ist und dass sie anfangs nur wohlhabenden (und somit fast ausschließlich weißen) Frauen helfen kann. Wie diese Probleme in großer Runde diskutiert werden und wie durch Mut und Beharrlichkeit nach Auswegen gesucht wird, ist eindrücklich zu verfolgen – nicht zuletzt dank der hingebungsvoll spielenden Elizabeth Banks und deren Co-Stars. Am Ende scheint das Ziel erreicht; der Platz für neue Aufgaben scheint verfügbar. Dass sich die Geschichte nun wiederholt, sollte uns klar machen, wie wichtig es ist, dass Filme wie dieser an Vergangenes erinnern, um uns eine Orientierung fürs Heute und Morgen zu bieten.

Call Jane (2022)

In einer Zeit, als Abtreibung noch verboten ist, sucht eine Frau, die ungewollt schwanger geworden ist, Hilfe bei einer Gruppe von Frauen aus der Vorstadt

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen