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Wer ist Lars Eidinger? Der größte Schauspieler seiner Generation oder deren nervigster Schaumschläger? Er ist jedenfalls einer, der sich medial auch als DJ, Fotograf, Designer oder Hauptstadt-Partysau in Szene setzt. Reiner Holzemers Nahaufnahme blickt tief in die Seele des Berliner Tausendsassas.

Lars Eidinger - Sein oder nicht sein (2022)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Gestatten, Rampensau.

„Wenn ich so etwas spiele, möchte ich, dass hier absolute Ruhe ist!“, giftet Lars Eidinger während einer Theaterprobe zum „Jedermann“ im Rahmen der Salzburger Festspiele in Richtung des Regiepults von Michael Sturminger. Dann explodiert der Langzeitstar der „Berliner Schaubühne“ (Hamlet/Richard III/Nora/Hedda Gabler) in regelrechter Klaus-Kinski-Gedächtnis-Manier und brüllt den österreichischen Theatermacher aufs Heftigste an. Schließlich verlässt der hochgewachsene Mann in roten Hotpants und mit extravagantem Schuhwerk plötzlich wortlos die Probebühne, auf der mit Edith Clever und Angela Winkler die weibliche Phalanx der jüngeren deutschen Theatergeschichte im Hintergrund stumm versammelt ist.

Ehe er sich beim rüde angepolterten Regisseur nach dieser abrupten Probenunterbrechung gleichfalls staatstragend wie selbstverständlich öffentlich und im Rotlicht-Modus der Dokumentarfilmkamera entschuldigt: Selbstredend unter (Krokodils-)Tränen. Denn „den Eidinger“ scheint es ja sowohl auf den Brettern dieser Welt wie im ambitionierten europäischen Autorenfilm von Maren Ade (Alle anderen) bis Olivier Assayas (Die Wolken von Sils-Maria/Irma Vep) seit jeher lediglich mit wässrigen Augen zu geben. Oder ist das bloß eine dreiste Unterstellung des Autors dieser Zeilen? 

Keine Frage: An der 1976 in West-Berlin geborenen Rampensau des gegenwärtigen Hauptstadt-Regietheaters scheiden sich seit jeher die Geister. Das hatte er bereits in den 1990ern als Eleve der renommierten „Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch“ gelernt, wo er auch nie Everybody’s Darling war, und trotzdem gemeinsam mit Nina Hoss, Mark Waschke, Devid Striesow oder Fritzi Haberlandt einem geradezu legendären Abschlussjahrgang („Die Klasse von `99“) angehörte.

„Ich spiele in diesem Dokumentarfilm Lars Eidinger“, sagt der sorgsam Porträtierte über die spannungsreiche Grundkonstellation dieser ebenso kurzweiligen wie erhellenden Schauspielernahaufnahme. Reiner Holzemers Lars Eidinger – Sein oder nicht sein erzählt im Subtext sehr viel über die meist verschlossene Bühnenwelt von Theaterproben, die der Autor dieser Filmkritik als Ehemann einer Theaterregisseurin wiederum aufs Beste kennt; welche jedoch dem Gros des Publikums auf immer verschlossen sein dürften.

Gerade hier sticht Holzemers präzise Gabe, im richtigen Augenblick zu drehen, in toto heraus, wenn er beispielsweise in grandiosen Passagen den allabendlichen Routine-Zauber-Zirkus hinter, abseits und neben der Bühne in atmosphärisch höchst intime Momente übersetzt, die diskurstechnisch sehr viel über diesen mysteriösen Künstler*innenberuf aufmachen.

Schließlich glänzt Lars Eidinger (oder doch besser: „Lars Eidinger“?) bekanntermaßen in Theatersensembles aufgrund seiner viel gerühmten Spiel- und Improvisationslust immer wieder aufs Neue. Ob als Hamlet mit Tourette-Syndrom oder als Oberfiesling Richard III mit körperlicher Beeinträchtigung: Im ausgesprochen freigeistigen, hochemotionalen und stets körperbetonten Rollenspiel des gefeierten Theaterviehs, der sich für keinen Nonsens zu fein ist, regiert wiederholt die Erkenntnis, dass selbst sein schauspielerndes Gegenüber nie wirklich weiß, wie er oder sie nun ad hoc angespielt wird.

Diese Begabung loben, neben seinen extrem aussagekräftigen Augen, auch die internationalen Großschauspielerinnen Juliette Binoche und Isabelle Huppert, die Holzemer für wenige gesetzte O-Töne gewinnen konnte, ohne dass sie zwingend notwendig gewesen wären. Besonders vielseitig ist der langjährige Wahl-Charlottenburger, der in Berlin-Marienfelde aufwuchs, immer noch und in jeder Hinsicht, so lautet das Zwischenfazit; was auch ein archivarischer Streifzug durch oft schon gehörte wie gesehene Lebensstationen oder Theaterszenen ergänzend illustriert. Auch die umstrittenen Krokodilstränen während der Berlinale-Pressekonferenz zu Persischstunden (2020) dürfen keinesfalls fehlen.

Nur zu Hause gedreht zu werden, das schloss Lars Eidinger gegenüber dem Münchner Porträtspezialisten (Martin Margiela – Mythos der Mode/Dries/Anton Corbijn – Most Wanted) von vornherein aus. Selbiges galt für O-Töne mit seiner Tochter, während er es seiner Frau, der Opernsängerin Ulrike Eidinger, freistellte, ob und wie sie in diesem Porträt vorkommen wolle. Sie entschied sich dafür, überhaupt nicht in Erscheinung zu treten, was durchaus als kleines innerfamiliäres Statement gedeutet werden kann. Wie war das noch gleich mit: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“?

Was bleibt, um einen weiteren Filmtitel mit Lars E. zu zitieren, ist in jedem Fall die Erkenntnis, dass sich Reiner Holzember keineswegs einer kantenlosen Hagiographie verschrieben hat, sondern Lars Eidinger neun Monate lang ganz schön auf die Pelle gerückt ist. Und das mag der selbst ernannte „beste Schauspieler“ (Lars Eidinger über Lars Eidinger) bekanntlich am allerliebsten. Denn ohne eine ihn anstarrendes Publikum ist selbst dieses markante Ein-Mann-Orchester: nichts. Oder in seinen Worten: „Wenn da keiner zuguckt, weiß ich gar nicht, was ich machen soll.“ Der Rest ist Stille.

Lars Eidinger - Sein oder nicht sein (2022)

Lars Eidinger ist mit seiner Liebe zur Improvisation und seiner intensiven, körperbetonten Spielweise einer der talentiertesten und vielseitigsten Schauspieler Deutschlands. In LARS EIDINGER – SEIN ODER NICHT SEIN zeigt Reiner Holzemer zum allerersten Mal Eidinger intensive Arbeitsweise und gibt damit einen spannenden Einblick in den Beruf des Schauspielers sowie in die Welt des Theaters und Filmemachens. (Quelle: https://www.reinerholzemer.com/lars-eidinger?lang=de)

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Meinungen

Christian · 27.03.2023

Danke für diese sehr objektive Betrachtung. In vielen anderen Kritiken lese ich so viel über die Eitelkeit eines narzistischen Künstlers, dabei ging es für mich in dem Porträt viel mehr um das Handwerk, die Sensibilität eines Theaterschauspielers. Und wenn diese mal in Wutausbrüchen kulminieren oder in fragwürdigen Inszenierungen, dann sind viele Kritiker*innen wohl noch nie bei den Proben von wichtigen Theateraufführungen gewesen. Oder haben mal etwas von Gründgens, George und Co gehört. Danke für diese Hinweise und Einblicke.

Frau Hartmann Marion · 23.03.2023

Ich freue mich schon sehr auf den Film. Ein ganz besonderes spannender Mensch und Künstler. Bitte mehr von ihm….