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Ein deutscher Superheld*innen-Film, der abseits vom Pathos der Weltzerstörung seiner großen US-Nachbarn eine eigene Perspektive entwirft: Bringen ZDF und Netflix mit ihrer Koproduktion „Freaks – Du bist eine von uns“ frischen Wind in das Genre und in die deutsche Filmindustrie?

Freaks – Du bist eine von uns (2020)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Superheld*innen in der Vorstadt-Tristesse

Abseits der pathoserfüllten Zerstörungsorgien US-amerikanischer Comic-Verfilmungen wird das Dasein als Superheld*in immer wieder auch in die überschaubare Sphäre eines ganz normalen Alltagslebens versetzt. Mit viel schwarzem Humor zeigte etwa James Gunn bereits in „Super„ (2010), welche erfrischenden Wendungen in der Figur des kostümierten Rächers stecken können. Seither hat die endlose Vervielfältigung der Held*innen in Filmen und Serien auch in den Marvel- und DC-Universen so ziemlich alle erdenklichen Variationen aus der Figur herausgeholt. Lediglich eine deutsche Produktion wie „Freaks – Du bist eine von uns“, die das Leben als Held*in in der deutschen Vorstadt erkundet, hat noch gefehlt – oder?

Nach dem Erfolg deutscher Netflix-Serien wie Dark (2017-2020) oder How to Sell Drugs Online (Fast) (seit 2019) präsentiert nun das ZDF in einer Koproduktion mit dem Streaming-Anbieter einen deutschen Superheld*innen-Film. Unter der Regie von Felix Binder, bekannt etwa von Lerchenberg (2013-2015) und Club der roten Bänder (2015-2017), erzählt Freaks die Geschichte von Wendy (Cornelia Gröschel): In einer Vorstadt schuftet sie in einem Tankstellen-Imbiss, um zusammen mit ihrem Mann (Frederic Linkemann) und Sohn (Finnlay Berger) irgendwie durchzukommen. Als der obdachlose Marek (Wotan Wilke Möhring) ihr unvermittelt, aber sehr eindringlich dazu rät, die blauen Pillen abzusetzen, die Wendy von ihrer Therapeutin (Nina Kunzendorf) bekommt, seit sie als Kind einst ihre ganze Schule zerlegt hat, öffnen sich ihr ein völlig neues Leben und völlig neue Kräfte.

Freaks kommt ohne die Größenordnung galaktischer Kämpfe und tiefverdorbener Superschurken aus: Verschwitzt von der harten Arbeit an der Fritteuse stellt Wendy sich zuerst einmal ihrer schmierigen Imbiss-Chefin (Gisa Flake) und zertritt einen Geldautomaten, um ihre Mietschulden zu begleichen. Sie stellt fest, dass auch ihr Kollege Elmar (Tim Oliver Schultz) seit Jahren von derselben Therapeutin betreut wird und hilft ihm, seine unterdrückten Elektro-Superkräfte freizusetzen. Bei einem gemeinsamen Bier fragen die beiden sich aber erst einmal, ob sie nun eine Verpflichtung haben, ihre neuen Fähigkeiten für das Gute und die Gerechtigkeit einzusetzen; und ob sie sich coole Namen und Alter Egos zulegen sollten.

Ganz wie die Figuren des Films stellt dabei auch die deutsche Vorstadt in Freaks von Beginn an ihr Wissen um die US-amerikanischen Comic- und Filmvorbilder aus. Das Familienfrühstück in Wendys Küche könnte ohne Umwege aus dem Suburbia-Eigenheim eines Hollywood-Blockbusters der 1980er stammen und der Imbiss an der Tankstelle mag „Kotelett Himmel“ heißen – seine Einrichtung als ‚Diner‘ mit Neonschildern und Chrom-Tresen verrät doch, dass hier eine sanfte Verbindung von Hollywood-Popkultur zu deutschem Vorgarten entworfen wird.

In diesem ersten Drittel zeigt Freaks seine Stärken: Die graue Trostlosigkeit des Tankstellen-Diners; das unaufgeräumte Einfamilienhaus mit dem trockengelegten, weil zu teuren Pool im Garten; das verlassene Schwimmbad, in dem der unverwundbare Marek versucht, weitere „Freaks“ zu finden, die von einer nebulösen Geheimorganisation mit Medikamenten stillgestellt werden – die Orte und Figuren des Films sind präzise entworfen und verzichten in ihrer stillen Eindringlichkeit auf große Gesten.

Dann jedoch reißt die erzählerische Dichte von Freaks ein: Es muss so kommen, dass Elmar, der von seinem Vater und dessen neuer Freundin (Ralph Herforth und Thelma Buabeng) abfällig behandelt wird, zunehmend faschistoide Träume entwickelt. Auch ein passendes Leder-Outfit mit Cape gehört dazu. Hier weicht dann das leise Spiel mit dem Bewusstsein um das eigene Genre dem eher gestelzten Versuch, doch einen machtvollen Bösewicht zu präsentieren. Die etwas zu klassische Verschiebung Elmars vom Nerd zum finsteren „Electro Man“ würde aber auch durch das zurückhaltende Spiel von Tim Oliver Schultz möglicherweise noch aufgehen – hätte dieser Erzählstrang nur genug Raum.

Auf der anderen Seite verfolgt Freaks nämlich das zunehmend problematische Interesse an einer Geheimorganisation, die Menschen mit Superkräften durch Pseudo-Medizin ruhigstellt, damit diese ihr wahres Potenzial nicht ausschöpfen können. Es mag sein, dass Freaks im Lichte zunehmender Verschwörungstheorien, die Misstrauen gegenüber Medizin, Wissenschaft und Politik säen wollen, besonders schlecht gealtert ist. Doch unabhängig davon, ob dieses Misstrauen gegenüber der Wissenschaft je zeitgemäß wäre, gelingt es dem Film nicht mehr, eine durchgehende Linie zu finden. Die Metapher der „Freaks“ mit den Superkräften, die von ‚der Gesellschaft‘ ausgeschlossen und stigmatisiert werden, ist zu abgegriffen und zu eindimensional. Auch sie hat nicht den nötigen Raum, um neben dem bedenklichen Pathos des Misstrauens gegen ‚die da oben‘ eine nuancierte Haltung zu inszenieren. Freaks entfernt sich von der leisen und zurückhaltenden Erkundung seiner Figuren und ihrer Beziehungen, um dann doch wieder große Gesten einzuziehen, die der Film gar nicht gebraucht hätte und die schließlich die Entfaltung seiner Stärken unmöglich machen.

Freaks – Du bist eine von uns (2020)

Wendy (Cornelia Gröschel), ist eigentlich eine ganz normale junge Familienmutter, die ihr Kleinstadt-Leben stemmt — bis sie eine unglaubliche Entdeckung macht: Jahrelange Medikamenteneinnahme hat ihre übernatürlichen Kräfte unterdrückt. Als sie dann noch Marek (Wotan Wilke Möhring) und Elmar (Tim Oliver Schultz) trifft, die das gleiche Schicksal teilen, muss sie sich entscheiden, was sie mit den neu gewonnenen Kräften anstellt…

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Meinungen

Durio · 14.02.2021

Trist und enttäuschend. Ein schlechter Film. Vielversprechend zu Beginn, verlief er sich in belanglose Längen und erfüllte letztlich die sich ab Mitte des Films abzeichnenden, schlimmsten Erwartungen. Eine schwache Story und ein Film der sich zu ernst nimmt für das bisschen, was er zu bieten hat. Wotan Wilke Möhring, Thelma Buabeng, Ralph Herforth und ein halbwegs witziger Trailer haben mich dazu gebracht, mich auf diesen Film einzulassen. Leider konnten die Darsteller die schlecht geschriebenen Figuren nicht retten. Eine angenehme Überraschung war für Tim Oliver Schultz und seine Darstellung einer Figur, die eigentlich Potenzial hatte, das aber seinerseits leider nicht genutzt wurde - im Gegensatz zu einer ziemlich spröden Hauptfigur, deren Dialoge und Monologe von vornherein nicht über mangelnde Tiefe, Längen und Widersprüche der Story hinwegtäuschen können.