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Mit Blut, Dreck und viel schwarzem Humor wirft Detlev Buck in „Wir können nicht anders“ einen Blick in die abgehängte Provinz.

Wir können nicht anders (2020)

Eine Filmkritik von Matthias Pfeiffer

Kontrollverlust im Hinterland

Da fährt man einmal raus aus der Stadt, und schon wird man Zeuge einer versuchten Hinrichtung. So hatte sich Sam (Kostja Ullmann) das Wochenende nicht vorgestellt. Eigentlich ist der Junior-Professor für amerikanische Literatur mit seinem Wohnmobil in Berlin, um an einer Konferenz teilzunehmen. Als er dann Edda (Alli Neumann) kennenlernt, lässt er die Pflichten lieber sausen, um Romantik in der Provinz zu genießen. Idylle sucht man in Eddas ehemaliger Heimat — trotz Vorweihnachtszeit — jedoch vergebens. Was das junge Pärchen findet, ist die lebensgefährliche Frustration der dortigen Bevölkerung. 

Detlev Bucks tiefschwarze Komödie Wir können nicht anders hätte eigentlich auf der Kinoleinwand stattfinden sollen, hat aber nun seinen Weg zu Netflix gefunden. Was zunächst wie die deutsche Version von Beim Sterben ist jeder der erste oder Wer Gewalt sät wirkt, ist jedoch ein eigenständiges und gelungenes Werk, das deutsche Befindlichkeiten widerspiegelt, ohne zum Lehrstück zu werden. Mit einem Bilderbuchdorf hat die Umgebung, in die es Samuel und Edda verschlägt, überhaupt nichts zu tun: Hier regiert der Leerstand. Wirtschaftlich sind die Menschen abgehängt, die ehemals belebten Fabrikhallen rotten vor sich hin, und in den Männern brodelt die Wut. Und das so heftig, dass Privatangelegenheiten mit der Schusswaffe gelöst werden.

Samuel platzt also mitten im Wald in ein Hinrichtungsritual, und so entkommt der Verurteilte Rudi (Merlin Rose). So wird auch der überforderte Intellektuelle zum Ziel vom dauerwütenden Hermann (Sascha Alexander Gersak) und seiner Gang der Frustrierten. Mitunter kommt das Gefühl auf, man hätte einen ostdeutschen Western vor sich, gespickt mit Humor der blutigen Art. Jegliche Vernunft ist hier der Gewalt und der stumpfsinnigsten Art der Männlichkeit gewichen. Alles als Reaktion auf den Verfall. Keine Jobs, kein Geld und auch keine Erotik. „Auf vier Männer kommt hier eine Frau. Findest du das fair?“, wird Edda an einer Stelle gefragt, die als Emigrantin sowieso mitverantwortlich für sie Misere gemacht wird. Alle Energien konzentrieren sich währenddessen auf die schöne Katja (Sophia Tomalla), die das einzig Begehrenswerte in diesem Kaff ist – und als Frau von Hermann natürlich tabu und so der Grund dafür, dass die Konflikte nie ausgehen.

Dabei konzentriert sich Detlev Buck nicht lediglich auf das Bild toxischer und beleidigter Männlichkeit, sondern zeigt daran den ganzen Frust der Abgehängten. Den Figuren in seinem Film bleibt nichts anderes übrig, als sich eigene Regeln zu schaffen, zur Selbstjustiz zu greifen, wenn sonst keiner für Gerechtigkeit sorgt. Dass diese Ratlosigkeit schnell in Zorn überschlagen kann, sieht man in der Realität leider viel zu häufig. Wir können nicht anders steht dabei zugute, dass er kein Problemfilm geworden ist, sondern eine übertriebene Komödie. Die kritischen Ansätze kommen auf dem Wege der Unterhaltung ganz von selbst an und hinterlassen so auch einen bleibenderen Eindruck. 

Wenn man kein Problem mit der Überzogenheit und der oft expliziten Gewaltdarstellung hat, kann man durchaus zu Wir können nicht anders greifen. Es wäre schade, wenn dieser Film in der Unerschöpflichkeit des Streaming-Dschungels untergeht. Denn nebenbei ist er auch ein schönes Beispiel dafür, dass es auch noch (blutige) Perlen in der deutschen Komödienlandschaft gibt. 

Wir können nicht anders (2020)

Ein Mann flieht nach der Vereitelung eines versuchten Mordes mit der Zielperson vor den Beinahe-Mördern und wird derweil von seiner neuen Bekannten gesucht.

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