Der deutsche Freund

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Die Liebe in Zeiten der Diktatur

„Alles Private ist politisch“, so lautete einer der verhängnisvollsten Slogans der 68er-Bewegung. Und doch gab es in studentenbewegten Zeiten echte, tiefer gehende Liebesgeschichten, die sich nicht in ideologische Schubladen pressen ließen. Jeanine Meerapfel erzählt so eine – mit wunderbarem Gespür für die unhintergehbare Differenz zwischen großen Gefühlen und politischer Radikalisierung. Ein Bravourstück, das der Aufarbeitung der Revolte in Filmen wie Der Baader-Meinhof-Komplex (2008) oder Wer wenn nicht wir (2011) keineswegs nur ein weiteres Kapitel hinzufügt, sondern die Geschichte des weltweiten Aufbegehrens aus einem ganz persönlichen Blickwinkel erzählt, nämlich aus der Sicht von Argentiniern mit deutscher Vergangenheit.
Sie wohnen Haus an Haus in einem vornehmen Viertel von Buenos Aires, aber sie grüßen sich nicht. Mit gutem Grund, denn die einen sind Opfer und die anderen Täter. Die einen mussten aus Deutschland fliehen, weil sie Juden waren. Die anderen gehören zur Familie eines ehemaligen SS-Sturmbannführers, der wie viele andere Nazi-Größen in Argentinien untergetaucht ist. Eines haben die ungleichen Nachbarn jedoch gemeinsam: Sie sprechen nicht über die Vergangenheit. Und so begegnen sich ihre Kinder unvoreingenommen. Zwischen der 13-jährigen Jüdin Sulamit (Celeste Cid) und dem gleichaltrigen Nazi-Sohn Friedrich (Max Riemelt) entspinnt sich eine Jugendliebe, wie sie seelenverwandter kaum sein könnte. Aber die verdrängte Vergangenheit fordert ihren Tribut. Als Friedrich hinter die wahre Identität seines Vaters kommt, bricht er mit seiner Familie. Er geht Ende der 1960er nach Deutschland, schließt sich der Studentenbewegung an und kämpft später gegen die argentinische Militärdiktatur. Für die Liebe bleibt da wenig Raum.

Jeanine Meerapfel (La Amiga, 1988) ist selbst in Argentinien aufgewachsen und studierte in den 1960ern am legendären Institut für Filmgestaltung bei Edgar Reitz und Alexander Kluge. Sie erzählt ihre fiktive, aber auf realen Begebenheiten basierende Geschichte nicht aus Sicht von Friedrich, sondern aus der von Sulamit. Eine kluge Entscheidung. Denn die weibliche Figur ist weniger beschädigt von ihrer Familiengeschichte als Friedrich. Der muss weite Wege gehen, um sich nicht „verhärten zu lassen in dieser harten Zeit“, wie einst Wolf Biermann sang.

Der deutsche Freund ist gewiss ein politischer Film, aber keiner, der Dogmen oder Schlagworte vor sich her trägt. Jeanine Meerapfel lässt Raum für Widersprüche und unterschiedliche Sichtweisen. Sie lenkt den Blick auf vielsagende Details, nimmt sich Zeit für Stimmungen und lässt die Kamera auf neugierige, abtastende Erkundungsreisen gehen. Ihr genügt zum Beispiel eine einzelne Einstellung, um den Charakter der argentinischen Diktatur sinnlich erfahrbar zu machen. Die Totale auf das Militärgefängnis in der kargen patagonischen Landschaft, irgendwo am Ende der Welt, sagt alles. Dass die verhärmte Gefängniswärterin die Besucherin in den nächsten Szenen gnadenlos demütigen wird, ist dann fast schon eine selbstverständliche Konsequenz des bereits eingeführten Systems.

Mehr noch als das Politische kommt das Private zu seinem Recht. Und so bildet die Machart des Films – der weiche, behutsame, gefühlvolle Blick – den gelungenen Kontrapunkt zu Friedrichs politischer Verhärtung. So wird früh spürbar, dass dies ein großartiger Liebesfilm werden wird. Und zwar deshalb, weil er nicht nur von der Liebe handelt.

Der deutsche Freund

„Alles Private ist politisch“, so lautete einer der verhängnisvollsten Slogans der 68er-Bewegung. Und doch gab es in studentenbewegten Zeiten echte, tiefer gehende Liebesgeschichten, die sich nicht in ideologische Schubladen pressen ließen. Jeanine Meerapfel erzählt so eine – mit wunderbarem Gespür für die unhintergehbare Differenz zwischen großen Gefühlen und politischer Radikalisierung.
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Meinungen

G.A.D. · 18.11.2012

Sehr beeindruckend, geht unter die Haut.Empfehlung: Unbedingt anschauen.