Aus einem deutschen Leben

Eine Filmkritik von Rajko Burchardt

Biographie des Bösen

In der ehemaligen DDR zählte Robert Merles biographischer Roman Der Tod ist mein Beruf zur Standardliteratur in der Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich. Inwieweit das Buch des in Frankreich bis heute angesehenen Schriftstellers auch in der Bundesrepublik als Pflichtlektüre um sich griff, kann ich nicht beurteilen. Zumindest aber war es eine DDR-Ausgabe, die dem westdeutschen Regisseur Theodor Kotulla zu einer ersten Begegnung mit dem Roman verhalf. Ausgehend von Protokollen der Nürnberger Prozesse und insbesondere autobiographischer Notizen schilderte Merle den Werdegang des Infanteriesoldaten und späteren SS-Obersturmbannführers Rudolf Höß. Im Roman trägt er den Nachnamen Lang, im Film heißt er schließlich Franz Lang und wird von Götz George gespielt. Aus einem deutschen Leben nannte Kotulla seine Adaption für den WDR. Ein Titel, so auffällig unspezifisch wie mit Bedacht gewählt. Als einen „exemplarischen Lebenslauf“ verstand der Regisseur diese Geschichte, die „mit einer geradezu unheimlichen Logik abläuft“.
In 14 Episoden ist der Film aufgeteilt, scharf voneinander getrennt, elliptisch nicht allein der großen zeitlichen Sprünge wegen. Alles beginnt im Jahr 1916. Da ist der noch ganz jungenhafte Franz Lang Aushilfskraft in einem Lazarett – zu seinem eigenen Unmut, denn drei Mal schon habe er erfolglos versucht, sich freiwillig an die Front zu begeben. Einem verletzten Hauptmann imponiert das, er trichtert dem Jungen nach Leibeskräften Vaterlandsglauben ein. Wenige Monate später bereits wird der Junge die Befehle des Mannes auch auf dem Schlachtfeld befolgen, in der zweiten Episode, die Franz als Kriegshelden schildert: Im Schützengraben, unter Einsatz seines Lebens, durchaus auch bereit, anderen Soldaten die Leviten zu lesen. Umgehend wird er zum Unteroffizier ernannt, stehen alle Zeichen schon vor der Volljährigkeit auf Karriere. Die Kriegsszenen indes, sie sind so nüchtern und trist, so gefühl- und leblos in Szene gesetzt, dass das gefallsüchtige Engagement des strebsamen Franz umso unangenehmer mit anzusehen ist.

„Du bist ja geradezu widerlich“, hält ihm dann auch ein früherer Kamerad vor, als Franz 1919 in einer Fabrik flink und fleißig Arbeit verrichtet, zugleich aber gewerkschaftlich organisierte Kollegen verhöhnt. Der Eintritt in die paramilitärisch-rechtsradikalen Freikorpskämpfer erscheint daraufhin ebenso folgerichtig wie die Mitgliedschaft in der NSDAP, mit der sich Franz 1922 nach einem gescheiterten Suizidversuch noch einmal seiner vermeintlichen Vaterlandstreue versichert. Der Mord an einem Kommunisten bringt ihn kurze Zeit später für fünf Jahre ins Zuchthaus, das er wegen einer Amnestie vorzeitig verlässt. Es ist die Begegnung mit einem pommerschen Oberst (Kurt Hübner), die die Nazikarriere des Mannes ankurbelt: Reichsführer-SS Himmler (Hans Korte) lobt die „deutsche Genauigkeit“ des folgsamen Proletariers und versetzt Franz 1941 nach Auschwitz, wo er als KZ-Kommandant schließlich für die Ermordung vieler Millionen Menschen verantwortlich sein wird. Zuletzt fallen seinen akribisch weiterentwickelten Giftgas- und Verbrennungsanlagen täglich rund 10.000 „Einheiten“, wie Franz die Gefangenen des Lagers nennt, zum Opfer.

Erst nach halber Laufzeit kommt auch im Film zur Sprache, was den vollständig teilnahmslosen Bildern bis dato nur irritierend beiläufig eingeschrieben schien: Dass dieser Franz ein Mann ohne Eigenschaften und sexuelle Bedürfnisse ist, und dass er ein gleichermaßen sinn- wie freudloses Leben führt. Die empfohlene Heirat mit der Bäuerin Else (Elisabeth Schwarz) scheint Franz demnach als notwendiges Übel zu akzeptieren, um nur weiterhin den Vorgaben seiner grausamen Beschäftigung Folge leisten zu können. Man darf den beinahe pathologischen Gehorsam dieser Figur nicht dahingehend missverstehen, dass sie keine vollumfängliche Verantwortung für ihr Tun tragen würde. Im Gegenteil, erst die zugleich gewissenhaft durchgeführte wie moralisch achtlose Organisation und Verwaltung des Tötens vermittelt hier annähernd eine Idee vom eigentlich unerklärlichen Funktionalismus, mit dem die Nazis ihre Menschenvernichtung als industrielles Geschäft betrieben.

Wenn Franz gegenüber seiner Ehefrau und später, nach Ende des Zweiten Weltkrieges und kurz vor seiner Hinrichtung 1947, auch einem Alliierten gebetsmühlenartig die eigene Unschuld beteuert, so er nur Befehle ausgeführt habe, gerinnt das konsequente Täterporträt des Films zur wahrlich psychohistorischen Bestandsaufnahme: Franz Lang bzw. Rudolf Höß tritt eben nicht auf als ein bis ins Mark nationalsozialistisch ideologisierter Sadist, wie ihn Nazikarikaturen auch ganz seriös gedachter Geschichtsfilme allzu gern bemühen, sondern als serviler Strohmann, eingerichtet in einem System, das es zumindest mit ihm sehr gut meint. Theodor Kotullas Versuch, die NS-Schreckensherrschaft so weit wie möglich ermessen zu können, wäre in dieser trockenen Radikalität heute nicht mehr denkbar. Wie entschieden der Film dabei nicht nur eine Banalität, sondern eben auch eine erfahrbar gemachte Biographie des Bösen nachzeichnet – ganz ohne geschichtsrevisionistische Bemühungen zudem, von einem richtigen Leben im falschen zu erzählen –, ist kaum zu ertragen. Und kaum zu überschätzen.

In der Edition Filmjuwelen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, „echte Film- und Fernsehschätze“ angemessen auf DVD und Blu-ray zu veröffentlichen, erscheint Aus einem deutschen Leben nun erstmals im Originalformat, anamorph abgetastet und digital remastered. Die mittlerweile vergriffene DVD-Erstauflage von Arthaus erhält somit ein würdiges Update, das diesem ein wenig in Vergessenheit geratenen Film qualitativ gerecht wird. Nur Bonusmaterial gibt es leider keines.

Aus einem deutschen Leben

In der ehemaligen DDR zählte Robert Merles biographischer Roman „Der Tod ist mein Beruf“ zur Standardliteratur in der Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich. Inwieweit das Buch des in Frankreich bis heute angesehenen Schriftstellers auch in der Bundesrepublik als Pflichtlektüre um sich griff, kann ich nicht beurteilen. Zumindest aber war es eine DDR-Ausgabe, die dem westdeutschen Regisseur Theodor Kotulla zu einer ersten Begegnung mit dem Roman verhalf.
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