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Ein elfjähriger Junge erlebt die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs im bayerischen Heimatdorf seiner Mutter. Er will sich einfügen in ein Umfeld, in welchem der Glaube an den Endsieg nur zögerlich bröckelt. Das Drama von Christian Lerch schildert, wie er zunehmend in Gewissenskonflikte gerät.

Das Glaszimmer (2020)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Ein Junge will noch mitmarschieren

Es sind die letzten Tage des Krieges im Jahr 1945. Der elfjährige Felix (Xari Wimbauer) und seine Mutter Anna (Lisa Wagner) fliehen vor den Bombenangriffen auf München in Annas niederbayerisches Heimatdorf. Sie warten sehnlichst auf die Rückkehr von Vater und Ehemann Bernd (Hans Löw) aus dem Krieg. Anna legt die Jazzplatte des Musikers Bernd auf, von der Nachbar Feik (Philipp Hochmair) als strammer Nazi wenig hält. Felix macht begeistert mit beim Feuerlauf, den Feik als Wehrübung für die Dorfbewohner veranstaltet. Dabei erringt er mit seinem Mut und Geschick die Achtung von Karri (Luis Vorbach), der in der Uniform eines Hitlerjungen seinem Vater Feik nacheifert.

Kinder spielen in diesem historischen Abenteuerdrama des Regisseurs Christian Lerch die Hauptrollen und gehören auch zu seinem Zielpublikum. Mit Geschichten aus der Kinderperspektive hat Lerch als Drehbuchautor schon viel Erfahrung. In dieser Funktion war er unter anderem an mehreren Filmen von Marcus H. Rosenmüller (Wer früher stirbt ist länger tot, Räuber Kneißl, Die Perlmutterfarbe) beteiligt. Das Drehbuch zu Das Glaszimmer verfasste er nun zusammen mit dem Schriftsteller und Zeitzeugen Josef Einwanger. Die Erinnerungen der letzten Zeitzeugen aus den Kriegsjahren findet Lerch nach eigener Aussage auch für die heutige junge Generation wichtig. Am Beispiel der Geschichte von Felix und Karri sollen Kinder erfahren, wie sich damals ideologische Verführung, Gruppendruck, Machtausübung auswirkten. Felix, der Neue im Dorf, möchte dazugehören und von Karri, dem etwas älteren Jungen, anerkannt werden. So übernimmt er die Nazi-Parolen, die Feik ebenso wie den Glauben an den „Endsieg“ propagiert, während dem einen oder anderen Erwachsenen längst dämmert, dass der Krieg verloren ist.

Die kindliche Perspektive gelingt Lerch recht überzeugend. Wie Felix für die Worte Karris, zu dem er aufschaut, entflammt, wird eindrucksvoll und glaubhaft geschildert. Es gibt Momente wie aus Karl-May-Geschichten, wenn die beiden Jungen Blutsbrüderschaft schließen und ihre Freundschaft mit feierlichem Ernst beschwören. Felix saugt auch die Worte Feiks begierig auf, von den Helden, die für den Führer sterben und den Verrätern, die den Tod verdienen. Ohne zu reflektieren, was sie tun, bringen die beiden Jungen beinahe Menschen um, als sie aus Rache für einen vermeintlichen Verrat ein Haus anzünden. Felix, der auch eine bedächtige, sensible Seite hat, fühlt sich hin- und hergerissen zwischen Karri und seiner kleinen Freundin Martha (Hannah Yoshimi Hagg), die seit dem Tod ihres Vaters nicht mehr so viel vom Führer hält. Als ein Deserteur im Dorf auftaucht und sich herausstellt, dass er für Felix kein Unbekannter ist, muss der Junge seine Einstellungen schmerzhaft hinterfragen.

Der rothaarige Felix wird hervorragend gespielt von Xari Wimbauer. Felix hat das Herz auf dem rechten Fleck, liebt das Abenteuer, die Freiheit des Draußenseins in der Natur, ist unschuldig und begeisterungsfähig. Karri hingegen, von Luis Vorbach ebenfalls beeindruckend dargestellt, hat wie sein Vater eine Neigung zur Gewalttätigkeit und Herrschsucht. Trotz seiner unsympathischen Eigenschaften ist auch Karri ein junger Charakter, in den man sich ein gutes Stück weit einfühlen kann. Denn sein Wunsch, Erster zu sein und seine Angeberei wirken gar nicht untypisch für sein Alter. Karri kommt ebenfalls in Konflikte, als sich seine Begriffe von soldatischer Ehre, Führergehorsam und Freundschaft gegenseitig zu widersprechen beginnen. Das Drama, das die beiden Kinder in Atem hält, ist spannend inszeniert im Wechsel des Dorfalltags mit den Nazi-Kundgebungen, die Feik hält, und kindlicher Entdeckungstouren in der Umgebung. Alte Scheunen und Dachböden können Geheimnisse und Überraschungen bergen. Unter dem Dach des eigenen Hauses findet Felix den titelgebenden Raum, in dem bunte Glasscherben von der Decke hängen und zum Träumen einladen.

Die Zeichnung der Erwachsenencharaktere überzeugt weniger. Denn hier zeigt sich die  pädagogische Botschaft des Films deutlicher, sowie auch eine gewisse Tendenz, die Dinge rasch und dann auch etwas plakativ abzuhaken. Anna mag weder den Hitlergruß noch die Parolen Feiks, aber weiter mit Leben oder Erklärungen gefüttert wird ihre Haltung, die sich einfach richtig anfühlt, nicht. Feik wiederum dient im Film als Paradebeispiels eines verbohrten Nazis an der Grenze zur Karikatur. Anderen Figuren müssen ein-zwei Sätze genügen, um ihre Überzeugung darzulegen, und wenn sie dann ein Kind wie Felix auch gleich zu neuer Einsicht bewegen, wirkt dieser Prozess ziemlich abrupt. Aber es gibt andererseits auch eine sehr gelungene Szene, die drastisch zeigt, wie sich Erwachsene vom lange genährten kriegerischen Hass gegen den Feind zu einer unmenschlichen Aktion hinreißen lassen. Auch solche Erlebnisse gehören ja nicht selten zu Kindheitserinnerungen an die letzten Kriegstage. Alles in allem wirkt der Film sehr stimmig, wenn es darum geht, die Eindrücke der Kinder, ihre Versuche, sich zu orientieren und ihre wachsenden Zweifel an der angelernten Ideologie zu schildern.

Das Glaszimmer (2020)

1945, kurz vor Kriegsende: Anna und ihr elfjähriger Sohn Felix fliehen aus dem zerbombten München aufs Land in das Anwesen einer verstorbenen Tante. Dort gibt es direkt unter dem Dachboden ein verstecktes, magisch funkelndes „Glaszimmer“ – der perfekte Raum zum Spielen für Felix. In der Nachbarschaft führt Ortsgruppenleiter Feik ein strenges „Endsieg“-Regiment, er drangsaliert die Einwohner. Sein Sohn Karri eifert ihm nach und versucht, Felix für sich zu gewinnen. Während Anna kaum die überzeugte Nationalsozialistin spielen kann, schwankt Felix zwischen Abscheu und Begeisterung. Er ist stolz auf seinen Vater Bernd, der an der Front dient. Kaum haben sich Mutter und Sohn eingelebt, überbringt Feik die Nachricht von Bernds Tod. Anna und Felix sind erschüttert. Doch eines Nachts klopft ein Soldat ans Fenster – Felix‘ Vater. Ein Deserteur?

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