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Die Kindheitsfreundinnen Lea, Steffi und Toni fahren im Auto durch Italien, aber nicht, um Urlaub zu machen. Sie müssen ihre verstorbene Freundin Maja heimlich zur Bestattung ans Meer bringen. Unter der Regie von Julia Becker halten sich die Reisenden gegenseitig ihre Sackgassen im Leben vor.

Over & Out (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Streitlustig unterwegs

In der Pubertät hatte sich die vier Muskeltiere versprochen, jede Hochzeit gemeinsam zu feiern. 26 Jahre später lädt Maja (Nora Tschirner) die anderen drei zum Fest nach Italien ein. Doch Lea (Jessica Schwarz), Steffi (Julia Becker) und Toni (Petra Schmidt-Schaller) machen sich nicht erfreut, sondern genervt auf den Weg. Bei aller Verschiedenheit verbindet sie nämlich eines: Der Alltag bereitet ihnen gerade einen Haufen Stress und Ärger. Die kleine Überraschung, von der Maja in ihrer Videonachricht sprach, entpuppt sich bei der Ankunft in der italienischen Provinz als riesengroß. Maja liegt in einem Sarg. Die Freundinnen hat sie hergebeten, damit sie sie entführen. Anstatt von ihrer Mutter heim nach Niendorf gebracht zu werden, will Maja ihrer letzten Videobotschaft zufolge im Meer bestattet werden./node/40261

Ein Roadmovie mit Leiche ist keine wirklich neue Idee, verspricht aber grundsätzlich schwarzhumorige Spannung. Allerdings könnte diese Reise dreier Kindheitsfreundinnen, die kaum mehr etwas verbindet, im Grunde genauso gut auch ohne Leiche stattfinden. Denn Maja sorgt weder als entführte Tote im Auto für nennenswerte Komplikationen, noch wird viel aus ihrem Leben erzählt. Irgendwie flippig, lebensfroh und alternativ scheint sie gewesen zu sein. Doch der Regisseurin und Drehbuchautorin Julia Becker (Maybe, Baby!), die auch die Rolle der Steffi spielt, geht es mehr um die schmerzhafte Erkenntnis von Lea, Toni und Steffi, dass sie sich im Alter von 38 Jahren im eigenen Leben festgefahren haben.

Die Karrierefrau Lea wurde von ihrer Chefin entgegen ihrer Erwartungen nicht zur Managerin befördert, mit dem Argument, dass sie ja vielleicht noch Kinder kriegen wolle und die Firma außerdem einen „jungen Wilden“ in dieser Position besser brauchen könne. Die Rocksängerin Toni liebt ihren Manager Matti (Elvis Clausen), hat aber ein Problem mit körperlicher Nähe. Ihren Freundinnen fällt auf, dass sie wenig isst und sich nicht zum Baden im See ausziehen mag. Welches Geheimnis schleppt die Musikerin, die ihre Social-Media-Auftritte sorgsam pflegt, mit sich herum? Steffi hat ihr Leben ganz der Familie gewidmet, einem Mann, der sie sexuell längst nicht mehr begehrt und zwei Kindern, die sich undankbar bekochen und umsorgen lassen. Steffi hat eine Schwäche für amouröse Abenteuer und findet dazu auf der Reise mehrmals Gelegenheit. Becker legt ihr im Verlauf des Trips immer mehr bissige, freche Worte in den Mund. Denn Steffi rebelliert gegen den angestauten Hausfrauenfrust und dagegen, dass sie in den Augen von Lea und Toni wenig vorzuweisen hat.

Filme über Frauenfreundschaften preisen den Zusammenhalt und die Solidarität, aber neuerdings nehmen sie offenbar auch gerne den Streit ins Visier, der aufgrund verschiedener Lebensmodelle oder Eifersüchteleien entstehen kann. So wie die drei Frauen in Aron Lehmanns Jagdsaison zoffen sich auch Lea, Steffi und Toni ausgiebig, bevor sie den Mut entwickeln, sich ihren Problemen zu stellen. Am Anfang macht die Tragikomödie mit ihren rauen Dialogen neugierig. Doch zwei Faktoren schmälern den Unterhaltungswert recht bald. Zum einen passiert auf dem Roadtrip kaum etwas Witziges oder Haarsträubendes und die Charaktere bleiben emotional ziemlich unterbelichtet. Das geht auch anders, wie im Roadmovie Töchter mit den von Alexandra Maria Lara und Birgit Minichmayr gespielten Freundinnen, das mit seiner oftmals leisen, aber stetig anschwellenden Intensität zu begeistern wusste.

Außerdem wartet das Drehbuch mit Zumutungen auf, welche die Glaubwürdigkeit der Geschichte doch ziemlich strapazieren. Warum konnte sich Maja als Sterbende mit ihrem Bestattungswunsch nicht gegen die Mutter durchsetzen und warum soll auch ihr Verlobter Ahmet (Denis Moschitto) da nicht helfen können, sondern nur die drei Freundinnen? Tonis Probleme wirken zudem ziemlich dick aufgetragen. Staunend erfährt man, in welche verzweifelten Manöver der Verheimlichung sich die so fit und offenherzig wirkende Toni verrannt hat. Wie aber konnte sie eine solche Last dann doch eine ganze Weile ziemlich erfolgreich schultern?

Unterhaltsam bleibt die durchwachsene Geschichte dennoch. Das liegt am direkten Schlagabtausch der unterschiedlichen Charaktere, die sich wahrlich nicht schonen. Jessica Schwarz, Petra Schmidt-Schaller und Julia Becker spielen ihre Rollen mit Schwung und Engagement. Und es gibt ja durchaus Weisheiten im Fluss der Handlung zu entdecken, etwa, wie schade es ist, wenn alte Freundinnen viele Jahre all das Trennende stärker gewichten als das, was sie trotz verschiedener Einstellungen weiter oder neu verbinden könnte.

Over & Out (2022)

Auf einer unfreiwilligen Reise mit ungewöhnlichem Gepäck, quer durch Italien, stellen sich die langjährigen Freundinnen Ende 30 schonungslos ihren geplatzten Träumen und Problemen, um schließlich zu erkennen, dass sie das Beste im Leben noch vor sich haben.

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Meinungen

Riedelwerke · 30.10.2023

Sehenswert........!👍

Zwischen Tot und verrückt sein.
Trauer und ganz viel vom Leben.
Zwischen dem was wir werden wollten und was wir geworden sind.
Wenn wir irgendwann mal sterben, an wie viel Leben erinnern wir uns dann noch..?...rr

Esther · 10.09.2022

Ich fand ihn super tiefgehend, zum Nachdenken anregend und total lustig. Eine traurigschöne Geschichte und unbedingt sehenswert!