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In Stéphanie Di Giustos historischem Drama „Rosalie“ verkörpert Nadia Tereszkiewicz eine Frau mit starker Körperbehaarung, die genug davon hat, sich für ihr Äußeres zu schämen.

Rosalie (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Du bist schön, Rosalie!

In ihrem Langfilmdebüt „Die Tänzerin“ (2016) befasste sich die französische Regisseurin Stéphanie Di Giusto mit der Tanz-Künstlerin Loïe Fuller und zeigte, wie diese in Paris zu einer Berühmtheit der Belle Époque wurde. Dabei nahm sich die Filmemacherin zahlreiche Freiheiten, etwa in Bezug auf den familiären Hintergrund der Protagonistin, und lieferte statt einer akkuraten Schilderung eher eine poetisierte Reflexion über das Leben der Titelheldin. In noch freierer Form ließ sich Di Giusto nun für ihr neues Werk „Rosalie“, das in derselben Ära spielt, von der Geschichte der bekannten „Frau mit Bart“ Clémentine Delait (1865-1939) inspirieren.

Anfangs sehen wir, wie die von Albträumen geplagte Rosalie (Nadia Tereszkiewicz) betet, dass „er“ sie lieben werde. Gemeint ist damit der kriegsversehrte und schwer verschuldete Cafébetreiber und Tierpräparator Abel Deluc (Benoît Magimel), der durch eine hohe Mitgift von Rosalies Vater Paul (Gustave Kervern) dazu gebracht wurde, einer Ehe mit der jungen Frau zuzustimmen, ohne diese bis dahin gesehen zu haben. Weshalb Rosalie und Paul fürchten, dass Abel sie verstoßen könnte, ist zunächst unklar. „Glaubst du wirklich, er wird es verstehen?“, fragt Rosalie ihren Vater besorgt. Dieser reist indes kurz nach der bescheidenen Zeremonie hastig ab.

In der ersten Nacht, die die Frischvermählten gemeinsam verbringen wollen, sieht Abel schließlich Rosalies stark behaarten Körper – und reagiert ablehnend. Rosalie hingegen gewinnt mit der Zeit deutlich an Selbstvertrauen und trifft die Entscheidung, auch ihr Gesicht fortan nicht mehr zu rasieren. Als sie sich den neugierigen Besucher:innen des Cafés erstmals mit Bart zeigt, überwiegt in der Menge das Erstaunen. Die Gaststätte ist plötzlich voll; das Geschäft läuft endlich wieder. Doch auf Dauer offenbart sich in der Gemeinde, angeführt von dem Fabrikbesitzer Barcelin (Benjamin Biolay), der Hass auf das Andere.

Das Drehbuch, das Di Giusto zusammen mit Sandrine Le Coustumer geschrieben hat, setzt nicht auf die narrative Formel, nach der eine von Angst erfüllte Figur ein persönliches Geheimnis so lange bewahrt, bis es dann in einem besonders unpassenden Augenblick zutage tritt. Nach anfänglicher Scham ist Rosalie bald nicht mehr gewillt, sich zu verstecken. Nadia Tereszkiewicz, die sich durch Hauptrollen in Filmen wie Forever Young (2022) und Mein fabelhaftes Verbrechen (2023) gerade zu einem Star des europäischen Arthouse-Kinos entwickelt und auch hier eine hervorragende Ausstrahlung zeigt, verkörpert die Titelfigur als couragierte, selbstbestimmte Persönlichkeit, die der Welt mit einem zarten Lächeln auf den Lippen begegnet und sich mit klugem Witz und Kreativität allen Herausforderungen stellt. 

Wie schon in Die Tänzerin überzeugt Di Giusto bei der Vermittlung des Geschehens auch als visuelle Erzählerin. Mit ihrem Kameramann Christos Voudouris erzeugt sie sehr einnehmende Landschaftsbilder, in denen die Verbundenheit der Protagonistin mit der Natur zum Ausdruck kommt. In den Momenten im Dorf fängt sie wiederum treffend ein, wie sich alle gegenseitig beobachten. Als Rosalie und Abel nach der Trauung durch den Ort laufen, sind alle Augen auf die beiden gerichtet. Wenn Rosalie später mit einem Mädchen aus der Nachbarschaft im nahegelegenen Fluss im Wald ausgelassen badet und dabei von Barcelin gesehen wird, ahnen wir, dass dieser ihre freigeistige Art bald bestrafen wird.

Er sei einsam, wie sie alle, meint Rosalie zu Abel, als Barcelin sich zunehmend intrigant verhält. Sie ist eine Heldin, die selbst für den Schurken noch Empathie aufbringen kann. Und das ist nur einer der Gründe, weshalb diese noch immer relevante Geschichte so beeindruckend ist.

Gesehen beim Internationalen Filmfestival von San Sebastián.

Rosalie (2023)

Im Frankreich der 1870er Jahre ist Rosalie eine junge Frau wie keine andere: Sie verbirgt ein Geheimnis, denn sie wurde mit einem von Haaren bedeckten Gesicht und Körper geboren. Sie ist eine waschechte bärtige Dame, möchte aber nicht zur Freakshow werden. Ihr ganzes Leben lang hat sie ihre Besonderheit verheimlicht, um in Sicherheit zu sein, und sich rasiert, um sich anzupassen. Bis Abel, ein verschuldeter Barbesitzer, der nichts von ihrem Geheimnis weiß, sie wegen ihrer Mitgift heiratet. Rosalies einziger Wunsch ist es, wirklich als die Frau gesehen zu werden, die sie ist, trotz eines Unterschieds, den sie nicht länger verbergen möchte. Aber wird Abel sie lieben können, wenn er die Wahrheit herausfindet?

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