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Donnie Yen schlägt schon wieder zu! Nach „John Wick: Kapitel 4“, in dem er an der Seite von Keanu Reeves zu sehen war, spielt er in „Sakra“ die Hauptrolle und führt Regie. Die beiden Filme könnten kaum weiter voneinander entfernt sein – und weisen doch Gemeinsamkeiten auf.

Donnie Yen's Sakra (2022)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wirr, aber wuchtig

Typecasting ist ein weltweites Phänomen. Im ostasiatischen Martial-Arts-Kino wurden komplette Karrieren mit flinken Fäusten und harten Tritten gezimmert. Wer die Namen Jackie Chan, Jet Li oder Tony Jaa auf einem Filmplakat liest, erwartet kein intellektuelles Kammerspiel, sondern krachende Action. Ja, selbst Michelle Yeoh kam in ihrer oscarprämierten Performance in „Everything Everywhere All At Once“ (2022) nicht ohne Karatekicks aus. Und auch Donnie Yen kann ein Lied davon singen. In seiner knapp 80 Werke umfassenden Filmografie findet sich kaum eins, in dem er nicht zuschlägt. So wuchtig wie in seinem neuesten, das er selbst produzierte und bei dem er auch Regie führte, sah das allerdings selten aus.

Yen ist schon lange im Geschäft, seit Anfang der 1980er-Jahre, um genau zu sein. Am 27. Juli 1963 im chinesischen Guangzhou geboren und ab seinem elften Lebensjahr im US-amerikanischen Boston aufgewachsen, kehrte Yen als 15-Jähriger in seine Heimat zurück, um sich in den Kampfkünsten ausbilden zu lassen. Einer seiner Klassenkameraden war kein Geringerer als Jet Li. Anders als Li und obwohl er in dessen Kassenschlager Hero (2002) mitspielte, musste Yen auf seinen internationalen Durchbruch lange warten; bis 2016, um genau zu sein.

Eingefleischten Kampfkunstkinofans war Yen selbstredend schon früher (spätestens seit seiner Rolle als Bruce Lees Lehrmeister in den Ip-Man-Filmen) ein Begriff. Einem globalen Publikum machte ihn jedoch erst seine Rolle als blinder Mönch Chirrut Îmwe in Star Wars: Rogue One bekannt. Es ist bezeichnend, dass er nun auch im jüngsten Teil der nicht enden wollenden John-Wick-Reihe einen blinden Auftragskiller gibt (und seine Sache sichtlich besser macht als der in die Jahre gekommene, dabei aber ein Jahr jüngere Keanu Reeves). 

Typecasting ist auch für Donnie Yen Fluch und Segen zugleich. Auf einen bestimmten Rollentypus festgelegt zu werden, schränkt Schauspielende einerseits ein. Andererseits spült es – bei Gefallen – Geld in die Kassen. Diese Gratwanderung zwischen einfallsloser Wiederholung und beliebtem Fanservice ist besonders im Actiongenre gefährlich. Denn je älter die Helden und deren Körper werden, desto eher droht der Absturz in die Lächerlichkeit. Dass Yen mit inzwischen 60 Jahren für die Hauptrolle in seinem neuesten Film viel zu alt ist, lässt sich selbst mit zentimeterdicker Schminke nicht verbergen. Die Romanze, die ihm die Drehbuchautoren andichten, nimmt ihm keiner ab. Dem Spaß an den toll choreografierten Kämpfen tut das jedoch keinen Abbruch.

Für seine inzwischen sechste Regiearbeit (die vorherige stammt aus dem Jahr 2004) hat sich Yen einen Wuxia-Roman. Wuxia ist ein populäres Genre in der chinesischen Literatur wie im Kino, das oft ritterlichen Heldenfiguren auf Wanderschaft folgt. Jin Yongs Demi-Gods and Semi-Devils (Originaltitel: Tian Long Ba Bu) spielt im 11. Jahrhundert und wurde von 1963 bis 1966 als Fortsetzung in Hongkonger und Singapurer Zeitungen publiziert. Die komplexe Geschichte, die von drei Hauptfiguren handelt, die sich erst in Kapitel 41 (!) miteinander verbünden, wurde bereits mehrfach für Film und Fernsehen und als Videospiel adaptiert. Um die Story überschaubar zu halten, hat sich Yen in seinem Film auf eine einzige Perspektive beschränkt. Ohne Vorkenntnisse ist sie trotzdem kaum zu durchblicken.

Yen ist Qiao Feng, der in einer rasanten Montagesequenz vom Ziehkind armer Eltern zum Anführer der Bettlersekte aufsteigt. Als Kämpfer für das Gute und die Schwachen fliegen Feng & Co. unter dem Radar. In ihrer Bettlerkluft nimmt sie schlicht keiner zur Kenntnis. Doch lassen sie ihre Fäuste sprechen, dann wirbeln ihre Opponenten meterweit durch die Luft. Was Yen hier an Kampfchoreografien auffährt, ist beeindruckend. Mit der Eleganz alter und moderner Klassiker wie King Hus A Touch of Zen (1971) oder Ang Lees Tiger & Dragon (2000), in denen die Kampfkünstler anmutig durch die Lüfte tanzten, hat das nicht mehr viel zu tun. Yen hobelt und es fallen esstischgroße Späne.

Im Kern ist die Story simpel: Aufgrund seiner Abstammung in Ungnade gefallen und gleich mehrfach fälschlich des Mordes bezichtigt, ist Qiao Feng auf der Flucht und gewillt, seinen Namen reinzuwaschen. Unterwegs trifft er auf die Diebin Azhu (Chen Yuqi), der er das Leben rettet und deren Vergangenheit wie die seine ein Geheimnis birgt. Bis beide gelüftet werden, kreuzen die zwei jedoch die Wege so vieler Figuren und machen in so vielen buddhistischen Klöstern, fürstlichen Palästen und Bergunterschlupfen Station, dass irgendwann selbst das Drehbuchsextett (!) den Überblick zu verlieren scheint.

Der Kontrast zu Donnie Yens anderem aktuellen Leinwandauftritt könnte kaum großer sein. Während sich John Wick: Kapitel 4 (2023) ohne ersichtliche Story von Setpiece zu Setpiece hangelt, geschieht dies in Sakra mit einer unübersichtlichen Story, in der zu allem Überfluss auch noch jeder jeden – im übertragenen wie im wörtlichen Sinn – mehrfach aufs Kreuz legt. 

Anders als beim US-Franchise werden einem die Setpieces allerdings nie zu lang. So verwirrend die Handlung zuweilen auch sein mag, die Kampfeinlagen sind so wuchtig, dass sie nie ermüden. Und Donnie Yens Blick auf den Wuxia-Film ist so erfrischend, dass der Zauber aus Mittelalter und Magie, der das Genre auszeichnet, auch in Sakra seine Wirkung nicht verfehlt.

Donnie Yen's Sakra (2022)

Der mächtige Kampfkünstler Qiao Feng (Donnie Yen) ist der hochangesehene Anführer der Bettlersekte — bis er eines Tages unter Mordverdacht gerät. Von der Kämpfertruppe ausgeschlossen und geächtet, bleibt ihm nur noch die Flucht. Um seine Unschuld zu beweisen, muss Feng eine Reise antreten, die ihn zu den Mysteriösen Wurzeln seiner Vergangenheit führt. Doch unsichtbare Feinde arbeiten bereits an seiner Zerstörung. Er muss sie finden und besiegen! (Quelle: Verleih)

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