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In ihrem dokumentarischen Werk „Schönheit & Vergänglichkeit“ widmet sich Annekatrin Hendel dem Fotokünstler Sven Marquardt und dessen Modellen Dominique Hollenstein und Robert Paris. Ein Film über Rebellion, Kreativität und Gemeinschaft.

Schönheit & Vergänglichkeit (2019)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ewig fliegen

„Waren wir nicht beide total in Robert verknallt?“, fragt Dominique „Dome“ Hollenstein ihren Jugendfreund Sven Marquardt an einer Stelle in Annekatrin Hendels Dokumentarfilm „Schönheit & Vergänglichkeit“. Wie im Musical „Cabaret“ sei es gewesen – alle zusammen ineinander verliebt. Und nicht nur auf amourösem Gebiet zeigten sich der Fotograf Marquardt und dessen Modelle Hollenstein und Robert Paris rebellisch: Im Ost-Berlin der 1980er Jahre waren sie als Punks und Kunstschaffende ein Teil der Subkultur.

Wie in einer Parallelwelt, in einer Blase hätten sie damals gelebt – einerseits bedroht durch einen Unterdrückerstaat, doch im jugendlichen Empfinden gänzlich unangefochten. Und das vor allem durch die aus Gleichaltrigen bestehende Ersatzfamilie, die sich um das Trio herum gebildet hatte. „Zusammen sein und machen“ – so habe die Devise gelautet, wie Paris es in einer Gesprächssituation auf den Punkt bringt. Auf diesem Wege entstanden unter anderem die Schwarz-Weiß-Fotografien von Marquardt, in denen die Energie dieser jungen Menschen, aber auch ein Bewusstsein für den Verfall zu erkennen ist. Schönheit & Vergänglichkeit – das ist nicht nur der Titel von Hendels Film, sondern das sind auch die beiden entscheidenden, widersprüchlichen und zugleich untrennbar miteinander verbundenen Komponenten in den Arbeiten Marquardts.

Unter Nachtschwärmern international bekannt ist der 1962 geborene Marquardt natürlich als Türsteher des Techno-Clubs Berghain. Das ebenfalls in diesem Jahr auf der Berlinale präsentierte Werk Berlin Bouncer widmet sich dieser Tätigkeit Marquardts. Hier geht es indes um Marquardt, den Künstler – sowie um die stets kreative Funken schlagende Freundschaft zwischen ihm, Hollenstein und Paris. Hendel, die sich als Filmemacherin etwa bereits mit dem Schriftsteller Sascha Anderson und dem Kino-Tausendsassa Rainer Werner Fassbinder befasst hat, liefert kein klassisches Porträt, das den Werdegang Marquardts wiedergibt. Vielmehr ist Schönheit & Vergänglichkeit ein Film, der sein zentrales Trio beobachtet, begleitet und sich dabei ganz selbstverständlich auch immer wieder in die Vergangenheit mitnehmen lässt.

Neben Fotografien und alten Videoaufzeichnungen lebt das Werk von den Passagen, in denen Hendel und ihre drei Kameramänner das Trio beim Reflektieren einfangen. Es gibt keine klassischen Aufnahmen von talking heads. Die miteinander oder mit Hendel (im Off) Sprechenden werden immer in einer Umgebung gefilmt, die etwas mit ihnen zu tun hat: So erzählt zum Beispiel Hollenstein von ihrer Lebens- und Arbeitssituation, während sie in ihrer beinahe märchenhaft anmutenden Wohnung sitzt und Blumenschmuck bastelt, den sie auf Märkten verkauft. Mit Marquardt und Hollenstein begibt sich der Film in die Berghain-Halle, wo es nach vielen Jahren zu einem neuen gemeinsamen Foto-Shooting kommt. Paris, der in den 1990er Jahren nach Indien auswanderte, besichtigt derweil Schauplätze vergangener Kunst-Aktionen und besucht Hollenstein, um in deren Wohnung die Fenster zu reparieren. Wenn Hendel die Beteiligten einfach reden lässt oder recht locker Fragen einwirft, geht das manchmal ins Leere – oft entstehen gerade dadurch aber ganz ungezwungene Momente.

Als sie einst eine feste Anstellung ablehnte, habe die Mutter einer Freundin zu ihr gesagt, man könne nicht ewig fliegen, erzählt Hollenstein, während sie für das Shooting geschminkt wird. So unterschiedlich sich das Leben des Trios seit dem gemeinsamen Aufwachsen in der DDR dann auch entwickelt haben mag; der Film zeigt, dass alle drei auf ihre Weise nicht aufgehört haben zu fliegen. Insbesondere in den Szenen zwischen Marquardt und Hollenstein wird spürbar, wie anregend Freundschaft und geteilte Leidenschaft sein kann. Zusammen sein und machen – das scheint ein zeitlos gutes Motto zu sein.

Schönheit & Vergänglichkeit (2019)

Er ist vor allem als Türsteher des Berliner Technoclubs Berghain bekannt, doch Sven Marquardt ist auch Fotograf. Schon vor dem Mauerfall porträtierte er die Ostberliner Subkultur und ihre Protagonist*innen in schwarz-weiß. Marquardt war kein reiner Beobachter, sondern gehörte selbst zur Punkszene, in der er seine Modelle fand. Nach Jahren im Nachtleben widmet er sich in den letzten Jahren wieder stärker der Fotografie und porträtiert auch eines seiner früheren Lieblingsmodelle, Dominique Hollenstein, genannt Dome. 

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