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Berühmt geworden ist Richard Billingham mit Fotografien von seinen Eltern. Nun legt er mit „Ray & Liz“ seinen ersten Film vor, bleibt seinem Sujet aber treu.

Ray & Liz (2018)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Eine Studie der Einsamkeit

Es ist ein schmutziger, schäbiger Realismus, der die Fotografien von Richard Billingham von seinen Eltern auszeichnet. Die Bilder, die ihm eine Nominierung für den Turner Prize einbrachten, sind nicht voyeuristisch, obwohl sie zahllose Details zeigen. Sie sind durchzogen von einer fast schon unerträglichen Intimität und geben gleichsam wenig preis. Diesen Blick auf seine Eltern, sein Aufwachsen in Cradley Heath westlich von Birmingham hat Richard Billingham auch in seinem Film „Ray & Liz“ beibehalten.

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Ray und Liz nennt er seine Eltern auch in Interviews – und tatsächlich sind sie mehr Ray und Liz als Mutter und Vater. Am Anfang des Films liegt der alte Ray (Patrick Romer) im Bett, mühsam richtet er sich auf, schenkt sich eine bräunliche Flüssigkeit sorgsam in ein Glas. Randvoll macht er es, obwohl seine Hände zittern. Irgendwann blickt er aus dem Fenster, sieht eine Frau und schreit hinaus, wann sie komme. Es ist Liz (Ella Smith), die zu diesem Zeitpunkt von ihm getrennt lebt.

In Rückblenden wird episodisch das Leben von Ray & Liz aufgefächert: In einer heruntergekommenen Wohnung sitzt die stets rauchende Liz, herrscht Ray an, er solle seinen Bruder herschaffen, damit dieser auf das jüngste Kind aufpassen könne. Dann kommt es zu einem grausamen Scherz, dessen Bösartigkeit und Gefährlichkeit von Liz ignoriert und von Ray (nun gespielt von Justin Salinger) wohl nicht begriffen wird. Geld und Alkohol sind die bestimmenden Themen, darum kreisen Gedanken und Gespräche – und Ray kreist zudem noch um Liz.

Es erfordert einige Geduld, sich auf diese Familiendynamiken einzulassen, zumal Richard Billingham oft lange in Einstellungen verharrt, die gleichsam Fotografien sein könnten. Aber dann rückt Jason (Joshua Millard-Lloyd) in den Mittelpunkt, einige Jahre sind vergangen, aus dem Kleinkind ist ein zehnjähriger Junge geworden. Die Verlorenheit, die Einsamkeit dieses Kindes ist herzzerreißend. Gleichgültig macht er sich ein Marmeladenbrot, es gibt ein paar vorgeschobene Fragen von Ray und Liz, aber sie interessieren sich nicht für ihn oder ob er in der Schule war. Während sich sein älterer Bruder Richard in Bücher flüchtet, hat Jason nichts und niemanden. Ray und Liz sind mal wieder damit beschäftigt, Geld aufzutreiben. Der Strom wird abgestellt, Jason verlässt die Wohnung und niemandem fällt auf, dass er in der Nacht nicht nach Hause kommt. Er wird von der Mutter eines befreundeten Jungen gefunden – und erfährt dort Zuneigung. Umso schrecklicher ist, wie gleichgültig seine Eltern reagieren, als sie ihn auf der Straße sehen. Es ist ihnen egal, dass ihr Sohn nicht nach Hause gekommen ist.

Doch immerhin wird nun das Jugendamt auf seine Situation aufmerksam und er soll zu Pflegeeltern kommen. Wenn er reglos bei dem Direktor steht und dem Sozialarbeiter mit gesenktem Kopf zuhört und voller Hoffnung antwortet, dass er sehr gerne woanders leben will, erschüttert das. Dann werden Ray und Liz informiert – und es folgt eine beiläufige, furchtbare, bestürzende Szene: Der halbwüchsige Richard fragt, ob er nicht auch zu Pflegeeltern könnte. Aber der Sozialarbeiter sagt, er sei ja fast erwachsen und solle durchhalten.

Es gibt in diesem Film keine direkte, physische Gewalt; Ray und Liz schlagen ihre Kinder nicht, sie schlagen auch einander nicht. Doch es gibt auch keine Wärme, keine Anteilnahme, ja, noch nicht einmal den kleinsten Funken Interesse an den Kindern. Für Ray zählt nur Liz, Liz ist schon lange eigentlich mit allem überfordert. Andere Menschen oder Lebewesen interessieren nicht, deshalb pinkelt der Hund auf den Flur und sucht der Sohn Nähe bei der Mutter eines Freundes. Letztlich sind Ray und Liz Menschen, die ebenfalls Hilfe bräuchten. Doch das System bietet lediglich finanzielle Unterstützung. Es garantiert das Überleben. Aber ein Leben ist das nicht.

Passend dazu gibt es auch in diesem Film nur diese Gruppe von Menschen, die zufällig miteinander verwandt sind, aber voneinander abgeschnitten existieren. Es gibt nichts außerhalb von ihnen, kein System, keine gesellschaftliche Vision des Filmemachers; es gibt keinen Gemeinschaftsgeist, noch nicht einmal kurze hoffnungsvolle Momente im Pub. Vielmehr ist Ray & Liz durchzogen von Einsamkeit und einem schmerzhaft-klarem Blick in eine dysfunktionale Familie.

Ray & Liz (2018)

Basierend auf den Erinnerungen des Regisseurs und Fotografen Richard Billingham erzählt der von seiner Familie in einem Randbezirk Manchesters. Dabei konzentriert er sich auf das Verhältnis seiner beiden Eltern Ray und Liz und zeigt unter anderem, welche Auswirkungen seine Kindheit und Jugend in einer sozial schwachen Umgebung auf ihn und seinen Bruder Jason hatten. 

 

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