Orlando

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Vom unauslotbaren Wesen der menschlichen Existenz

Als Protegé von Königin Elizabeth I. (Quentin Crisp) kommt der junge, bildschöne und verträumte Orlando (Tilda Swinton) in höchste höfische Kreise, um der alten Monarchin als eine Art wonniges Makottchen den Lebensabend zu versüßen. Kurz vor ihrem Tode spricht Elizabeth ihrem Schützling einen komfortablen Landsitz zu, an dessen großzügige Schenkung sie allerdings eine kuriose Bedingung knüpft: Niemals altern dürfe der hübsche Feingeist. Diese von der Sehnsucht nach Frische und Jugend erfüllte, im Grunde unzumutbare Forderung erweist sich gleichermaßen als Wunsch, Aufgabe und Prophezeiung, denn tatsächlich überdauert die androgyne, charismatische Kreatur Generation um Generation und Jahrhundert um Jahrhundert, während zwar ihr Geist und ihre Seele reifen, ihr Körper jedoch von Alterung verschont bleibt und sich mit der Zeit in ein weibliches Wesen verwandelt.
Nach dem gleichnamigen Roman von Virginia Woolf aus dem Jahre 1928 hat die Filmemacherin Sally Potter den opulent ausgestatteten und atmosphärisch faszinierenden Spielfilm Orlando inszeniert, zu dem sie auch das Drehbuch verfasste und gemeinsam mit David Motion die Musik komponierte. Die Dramaturgie dieser phantastischen Geschichte ist episodisch angelegt und folgt einer stimmigen, zeitlich-thematischen Struktur, die sich in sieben Kapitel gliedert: Die Sequenz „Tod“ im Jahre 1600 bildet den Auftakt, gefolgt von „Liebe“ (1610), „Poesie“ (1650), „Politik“ (1700), „Gesellschaft“ (1750) und „Sex“ (1850), wobei der letzte Abschnitt „Geburt“ in der aktuellen Gegenwart des Films angesiedelt ist, der aus dem Jahre 1992 stammt. Während der inhaltlichen Querschnitte durch die unterschiedlichen Epochen entspinnt sich eine allmähliche, bedeutsame Entwicklung der ebenso bezaubernden wie tragischen Orlando-Figur, die in ihrer unsagbaren Einsamkeit und wechselhaften Identität letztlich nur noch nach Erlösung verlangt.

Zweifach für den Academy Award nominiert, bei zahlreichen internationalen Filmfestivals sowie mit weiteren renommierten Filmpreisen ausgezeichnet ist Orlando längst zu einem trotz seiner historischen Anbindung zeitlos erscheinenden Kultfilm avanciert, der das Wesen und die Rätselhaftigkeit der menschlichen Existenz jenseits der klassischen Geschlechter-Dichotomie mit ihren signifikanten mentalen, kulturellen sowie sozialen Entwicklungsschritten in den Fokus stellt. Dabei entsteht im Rahmen der Dominanz einer prächtigen und sorgfältig gestalteten Bildkomposition eine ungeheuer dichte, sensible Betrachtung der Bedingungen des Humanen im Spannungsfels von Individuum und Gesellschaft, die von musikalischen und poetischen Komponenten stimmungsvoll flankiert wird.

Neben den unmittelbar sichtbaren, ganz außergewöhnlichen Qualitäten der Gestaltung und der inhaltlichen Intensität erscheint Orlando in seiner gesamten Ausprägung zudem wie ein konspiratives Projekt dreier extremer Frauenpersönlichkeiten unterschiedlicher Generationen, die eine unbändige, radikale Zuneigung zu emanzipatorischen und freiheitlichen Gesinnungen und Haltungen vereint. Die markantenTalente und Ausstrahlungen der Britinnen Virginia Woolf, Sally Potter und Tilda Swinton haben sich hier in einem zutiefst berührenden, markanten Werk niedergeschlagen, das in seiner ästhetisch anspruchsvollen Einzigartigkeit Filmkunst auf höchstem Niveau präsentiert.

Orlando

Als Protegé von Königin Elizabeth I. (Quentin Crisp) kommt der junge, bildschöne und verträumte Orlando (Tilda Swinton) in höchste höfische Kreise, um der alten Monarchin als eine Art wonniges Makottchen den Lebensabend zu versüßen. Kurz vor ihrem Tode spricht Elizabeth ihrem Schützling einen komfortablen Landsitz zu, an dessen großzügige Schenkung sie allerdings eine kuriose Bedingung knüpft: Niemals altern dürfe der hübsche Feingeist.
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