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Seit 20 Jahren führt Schauspieler Yvan Attal nun schon Regie. Sein jüngster Film Die brillante Mademoiselle Neïla mit Camélia Jordana und Daniel Auteuil spielt im politisch aufgeheizten Hochschulbetrieb und mit der Macht der Sprache.

Die brillante Mademoiselle Neïla (2017)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Die Kunst, Recht zu haben

Wir leben in hysterischen Zeiten. Jede Nichtigkeit löst einen Shitstorm aus. Statt zu differenzieren, diskutieren und argumentieren, wird pauschalisiert und betroffen aufgeheult. Wer am lautesten schreit, gewinnt. Und in den sozialen Medien schreit es sich am besten.

Dieses Mal hat es Pierre Mazard (Daniel Auteuil) getroffen. „Endlich!“, würde ein Großteil seiner Studierenden wohl urteilen. Denn der Pariser Juraprofessor provoziert seinen prall gefüllten Hörsaal, wo er nur kann. Weil sie zu spät kommt, knöpft sich Mazard Erstsemester Neïla Salah (Camélia Jordana) vor. Erst versteht er ihren Namen falsch, dann kommen die schlabbrigen Klamotten, schließlich ihre Herkunft dran. Das Geklapper und Geklimper der Laptops verstummt. Einige buhen, rufen dazwischen, andere filmen mit ihren Smartphones.

Als ein Video des Vorfalls viral geht, ist der Imageschaden da. Also verdonnert der Universitätspräsident (Nicolas Vaude) seinen Prof dazu, Neïla auf den jährlich anstehenden Rhetorikwettbewerb vorzubereiten. Wie sie abschneide, sei völlig egal, Hauptsache der Ruf der Hochschule werde wiederhergestellt. Ein Rassist wird zur Räson gerufen, so scheint es. Doch ganz so einfach macht es Yvan Attal seinem Publikum nicht.

Pierre Mazard ist kein angenehmer Mensch. Daniel Auteuil spielt ihn mit großspuriger Überheblichkeit und Erdenschwere. Doch ist Mazard auch ein Rassist oder nur ein zynischer Kulturpessimist, ein Misanthrop, der aus Selbsthass und aus Liebe zum geschliffenen Wort gegen alles und jeden austeilt? Eine der ersten Lektionen, die er Neïla beibringt, ist, dass die Wahrheit nichts zähle. Ganz im Sinne Schopenhauers gehe es um Die Kunst, Recht zu behalten. Kein schlechter Tipp für eine angehende Juristin. Und weil Mazard sein Handwerkszeug perfekt beherrscht, schaut sich die zunächst widerwillige Neïla die Tricks und Kniffe ihres Mentors ab.

Die Ausgangslage erinnert an den Mythos des Bildhauers Pygmalion und all seine Bearbeitungen von George Bernard Shaws Bühnenstück bis zu My Fair Lady (1964). Doch Attal, der auch das Drehbuch mitschrieben hat, erzählt dieses Lehrer-Schülerinnen-Verhältnis differenzierter als seine Vorgänger. Die perfekte Frau wie einst Pygmalion kann sich Pierre Mazard schon deshalb nicht meißeln, weil er in Neïla auf einen belebend widerständigen Geist stößt. Die gibt schon zu Hause in der Clique ihres Pariser Randbezirks den Ton an und lässt sich von einem Mann nicht den Mund verbieten. Nachwuchshoffnung Camélia Jordana, die sich schon in Voll verschleiert (2017) in den Vordergrund spielte, glänzt auch hier mit Charme, Verve und der nötigen Ernsthaftigkeit.

Für so überlegen Mazard seinen Kulturbegriff auch hält, er treibt Neïla ihre Kultur nicht aus. Sie muss ihre Wurzeln weder verdecken noch abschneiden, um in der Gesellschaft aufzusteigen. Schöner noch: Wo andere Filme ihr eine Romanze mit dem wohlsituierten Kommilitonen Benjamin (Jean-Baptiste Lafarge) angedichtet hätten, bleibt Neïla bei ihrem Jugendschwarm Mounir (Yasin Houicha), der sein Geld als Taxifahrer verdient und erst einmal damit klarkommen muss, dass seine Freundin mehr im Kopf und auf dem Kasten hat. Neïlas Haushalt ist einer dreier Frauengenerationen, alle unterschiedlich religiös und selbstbestimmt. Das wirkt ab und an ein wenig zu sozialromantisch, setzt aber einen erfrischenden Gegenpol zum weit verbreiteten Betroffenheitskitsch.

Rémy Chevrins Kamera verleiht den Wortgefechten auch visuell die im Titel anklingende geistige Brillanz. Spätestens ab der Hälfte verlieren die Rededuelle jedoch an Wucht. Je länger die Ausbildung dauert, je mehr sich Lehrer und Schülerin auf Augenhöhe begegnen und voneinander lernen, je weiter Neïla im Wettbewerb kommt, desto stärker steuert Attal seinen Film in vertraute Fahrwasser, die nicht mehr heftig wogen, sondern angenehm vor sich hinfließen.

Attals Anliegen hingegen fordert, allein schon wegen seines belehrenden Gestus, zumindest einen Teil des Publikums heraus. Wie sein männlicher Hauptdarsteller geht auch sein Film mit der Zeit, findet aber nicht alles an diesen Zeiten richtig, in denen die einen unter dem Deckmäntelchen der Meinungsfreiheit ihren Rassismus und Sexismus pflegen und die anderen die Political Correctness bemühen, um sich unangenehmer Meinungen zu entledigen. Schon die skandalträchtige Vorlesung zu Beginn lohnt einen zweiten Blick und ein genaues Hinhören. Sie ist ein Paradebeispiel für eine Debattenkultur, die statt auf Gelassenheit und Dialog auf Gereiztheit und Monologe setzt.

Was die noch davor in einem Zusammenschnitt aus Archivmaterial gezeigten Künstler, Politiker und Philosophen – von Jacques Brel und Serge Gainsbourg über François Mitterrand bis Claude-Lévi-Strauss – wohl dazu gesagt hätten? Und ob die heutzutage auf Triggerwarnungen angewiesenen Studierenden deren Texte überhaupt noch lesen, deren Lieder überhaupt noch hören würden?

Die brillante Mademoiselle Neïla (2017)

Neïla Salah ist in Creteil, einem Vorort von Paris mit schlechtem Ruf aufgewachsen, doch dank ihres Talents findet sie den Weg heraus und strebt mit ihrem Studium eine Karriere als Rechtsanwältin an. In dem Professor Pierre Mazard findet sie einen Mentor, der sie dazu überredet, an einem Rhetorik-Wettbewerb teilzunehmen — und Mazard entpuppt sich dabei als regelrechter Tyrann, der seinen Schützling mit allen Mitteln an die Spitze peitschen will …

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