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Wir alle sind mittendrin in der Geschichte. Was wir erleben, wird einmal Teil der Vergangenheit sein, die andere sich erzählen. Der Dokumentarfilm „Familie Brasch“ macht dies bewusst, auch wenn sie eine besondere Familie in den Mittelpunkt rückt, die aus der eigenen Perspektive aber doch so normal war.

Familie Brasch (2018)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Eine Familie zwischen Ost und West

Der Filmwelt ist Regisseur Thomas Brasch ein Begriff: Der unbequeme Filmemacher war in den 1980er Jahren mit zwei Spielfilmen – Engel aus Eisen (1981) und Der Passagier (1988) – im Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes vertreten, was für einen europäischen Film mit die höchste Auszeichnung ist. In der Wahrnehmung des deutschen Publikums hat sich dies allerdings kaum niedergeschlagen, nur wenige Zuschauer kennen seine Filme heute noch. Umso verdienstvoller ist Familie Brasch von Annekatrin Hendel, der nicht nur seine Geschichte und die seiner Familie, sondern die von drei Generationen und eines Landes erzählt.

Familie Brasch beginnt bei den Eltern und stellt zunächst deren Geschichte in den Mittelpunkt: Horst Brasch und Gerda haben sich im britischen Exil kennengelernt und mit dem ersten Sohn Thomas eine Familie gegründet. Nach Ende des Krieges wollte Horst Brasch unbedingt zurück nach Deutschland, in den östlichen Teil, zurückgehen und – als überzeugter Kommunist –beim Wiederaufbau des Landes mithelfen. Er wurde neben Erich Honecker einer der wichtigsten Funktionäre der Deutschen Demokratischen Republik, die Liebe zum Land und zur Partei war ihm – ja – lebenswichtig.

Gerda dagegen hatte erst Bedenken, kam dann jedoch mit Thomas nach und wurde ebenfalls Teil des staatlichen Apparats, während die Kinder in Internaten und der Wochenkrippe untergebracht wurden; der Große, Thomas, sollte die Kadettenschule besuchen. Nach außen hin waren sie die perfekte Funktionärsfamilie. Doch mit der Zeit und den aufkommenden Protesten Ende der 1960er Jahre bröckelte dieses Bild, der Vater ließ seine Kinder verhaften und schadete damit nicht nur deren, sondern auch seiner eigenen Karriere; Thomas wanderte schließlich in den Westen aus.

Alle vier Kinder hat diese Kindheit stark geprägt, das bereitet der Film nach und nach auf. Er widmet sich jedem der Geschwister in einzelnen Kapiteln: Thomas, Klaus, Peter und Marion. Die Jüngste ist wichtigste Interviewpartnerin des Films und Zeugin des familiären Lebens. Aber auch die Freunde und Lebensgefährten der Geschwister, vor allem die von Thomas Brasch, kommen in Familie Brasch zu Wort und zeichnen mit ihrer Sicht ein vielschichtiges Bild von der Familiengeschichte: Schriftsteller Christoph Hein berichtet von seiner Jugendfreundschaft zu Thomas, die durch den Einfluss von dessen Vater irgendwann ihr Ende fand; Bildhauer Florian Havemann bekommt ein Leuchten in den Augen, als er von seinen jugendlichen Diskussionen über Politik und Kunst mit dem etwas älteren Thomas Brasch erzählt; Liedermacherin Bettina Wegner schaut mit einem mal melancholischen, mal schelmischen Blick auf die Vergangenheit, das Kennenlernen auf einer Party und ihre gemeinsame Elternschaft von Benjamin; und auch Schauspielerin Katharina Thalbach erinnert sich an die Liebe zu Thomas, ihre gemeinsame Ausreise und die Anfänge in der BRD.

Die größte Leistung des Films ist, dass er ein so dichtes und komplexes Portrait von der Familie Brasch zeichnet: Er nennt viele Zahlen und Fakten, arbeitet die Familiengeschichte richtiggehend auf und lässt seine Gesprächspartner ausführlich zu Wort kommen. Dabei sollte die Dokumentation doch eigentlich nur Beiwerk eines Spielfilms werden, an dem Annekatrin Hendel seit Jahren arbeitet. Vor etwa sechs Jahren nämlich hat sie den Roman von Marion Brasch gelesen: Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie, in dem sie sich ihrer Familiengeschichte widmet, und sie hat sich sofort die Rechte für die Verfilmung gesichert, so beeindruckt war sie vom Leben der Familie Brasch. Aus der Reportage zum Spielfilm wurde ein eigener Dokumentarfilm – gut so, denn er verdient es unbedingt, auf Festivals und im Kino gezeigt zu werden.

In Familie Brasch steckt weitaus mehr drin als eine reine Familiengeschichte. Er macht die Vergangenheit sichtbar, lässt Rückschlüsse zu, auch für die eigene Gegenwart. Er erzählt ein Stück deutscher Geschichte, indem er diese Familie zwischen den beiden deutschen Teilstaaten in den Fokus nimmt. Und er macht Lust, sich mehr mit dem literarischen und filmischen Werk des Ausnahmekünstlers Thomas Brasch zu beschäftigen.

Familie Brasch (2018)

In den Jahren nach 1945 sind die Braschs eine perfekte Funktionärsfamilie, die in der sowjetisch besetzten Zone den deutschen Traum vom Sozialismus lebt: Horst Brasch, ein leidenschaftlicher Antifaschist und jüdischer Katholik, baut die DDR mit auf, obwohl seine Frau Gerda darin nie heimisch wird. Sohn Thomas wird zum Literaturstar. Er träumt, wie sein Vater, von einer gerechteren Welt, steht aber, wie die jüngeren Brüder Peter und Klaus, dem real existierenden Sozialismus kritisch gegenüber. 1968 bricht in der DDR wie überall der Generationenkonflikt auf. Vater Brasch liefert den rebellierenden Sohn Thomas an die Behörden aus – und leitet damit auch das Ende der eigenen Karriere ein. Nach 1989 sind sozialistische Träume, egal welcher Art, nichts mehr wert. Regisseurin Annekatrin Hendel porträtiert drei Generationen Brasch, die die Spannungen der Geschichte innerhalb der eigenen Familie austragen – zwischen Ost und West, Kunst und Politik, Kommunismus und Religion, Liebe und Verrat, Utopie und Selbstzerstörung. Sie trifft die einzige Überlebende des Clans, Marion Brasch, sowie zahlreiche Vertraute, Freunde und Geliebte, unter ihnen die Schauspielerin Katharina Thalbach, den Dichter Christoph Hein, die Liedermacherin Bettina Wegner und den Künstler Florian Havemann.

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Meinungen

Sebastian Schwarz · 14.06.2018

Ich habe das Buch von Marion Brasch gelesen. Was für eine bewegende deutsch-deutsche Familiensaga. Ich bin sehr gespannt auf diesen Film.