Eine Karte der Klänge von Tokio

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Lichter einer Großstadt

Wenn es um Gefühle in extremen Lebenslagen geht, dann läuft die spanische Regisseurin Isabel Coixet zur Höchstform auf. Nach Mein Leben ohne mich und Das geheime Leben der Worte / The Secret Life of Words ist ihr mit ihrem neuen Film wieder ein Glanzstück gelungen – ein funkelndes Juwel, in dem sich die Innenwelten von fünf Menschen vielschichtig brechen.
Eine Karte der Klänge von Tokio erzählt die Geschichte der zerbrechlich-schönen Ryu (Rinko Kikuchi aus der Japan-Episode von Babel). Die junge Frau führt ein Doppelleben – allerdings keines, das das Klischee von der heimlichen Hure bedienen würde. Ryu arbeitet nachts auf dem Fischmarkt und nimmt tagsüber Aufträge als Profikillerin an. Warum die schweigsame Einzelgängerin so lebt, erfahren wir nicht. Sicher ist nur, dass sie eines Tages den spanischen Weinhändler David (Sergi Lopez) zur Strecke bringen soll. Der war mit Midori liiert, der jungen Tochter eines einflussreichen Konzernchefs. Midori leidet so unter dieser Liebe, dass sie sich umbringt und einen untröstlichen Vater hinterlässt. Der gibt David die Schuld am Tod seiner Tochter und fordert Rache.

Für die Killerin Ryu ist der Weinhändler ebenfalls kein einfacher Fall. Sie entdeckt in ihm eine verwandte Seele und verbringt mit ihm die Nacht, ohne die Pistole abzufeuern. Am liebsten würde sie nun den Auftrag zurückgeben. Aber ihre Geldgeber bleiben hart.

So weit das Handlungsgerüst, das mit seinen Thriller-Anleihen dem Film einen festen Rahmen verleiht, sozusagen die äußere Struktur eines Musikstücks mit seinen vorgegeben Satzfolgen. Darin können sich nun die unterschiedlichen Stimmen frei entfalten und ihre inneren Geschichten erzählen. Die handeln von Sinnlichkeit ebenso wie von Trauer, von Lebenslust ebenso wie von Todessehnsucht. Jede der Figuren – hinzu kommen noch ein Toningenieur, mit dem Ryu platonisch befreundet ist und der Assistent des Konzernchefs, der unglücklich in dessen Tochter verliebt war – steuert ihre eigene Gefühlswelt bei, die jeweils von einer anderen extremen Lebenslage geprägt ist. Zusammen ergeben sie einen assoziativen Klangteppich.

Dass Eine Karte der Klänge von Tokio ein musikalisch strukturierter Film ist, darauf weist allein schon der Titel hin. Und natürlich hat sich Isabel Coixet mit den Geräuschen und der Musik dieses Mal besonders viel Mühe gegeben. Die Tonspur spielt neben den beiden Protagonisten die dritte Hauptrolle. Sie kommentiert und setzt Kontrapunkte, eilt dem Geschehen voraus und hält inne, um in meist nachdenklichen Songs das auszudrücken, was unausgesprochen bleibt. Denn neben vielem anderen, was sich über Coixets Film sagen lässt, ist er auch eine sensible Studie über das Schweigen.

Auf diese Weise bleiben so viele Rätsel wie nötig, um die Geschichte nicht an ein plattes Liebesdrama oder an eine effekthascherische Gangsterstory zu verraten. Isabel Coixet löst den Spagat zwischen zu viel Mystery und zu viel Küchenpsychologie elegant, indem sie die Handlung aus dem Off erzählen lässt – von der Figur des Tonmeisters. Der ist aber kein allwissender Erzähler, sondern stellt viele Fragen, mit denen sich der Zuschauer ebenfalls konfrontiert sieht – ohne eine schnelle Antwort zu haben.

Mit ihrer farbästhetisch ausgefeilten Hommage an die Metropole Tokio gelingt Isabel Coixet eine bemerkenswerte Balance zwischen Melancholie und Sinnenfreude. Besonders wenn die einsamen Protagonisten durch die Stadt streifen, werden Erinnerungen an Lost in Translation wach. Die Regisseurin hütet sich jedoch vor aufdringlichen Zitaten, sondern entwirft ihr ganz eigenes Bild von den Lichtern einer Großstadt. Die funkeln so schön, dass man glatt dableiben möchte.

Eine Karte der Klänge von Tokio

Wenn es um Gefühle in extremen Lebenslagen geht, dann läuft die spanische Regisseurin Isabel Coixet zur Höchstform auf. Nach „Mein Leben ohne mich“ und „Das geheime Leben der Worte“ ist ihr mit ihrem neuen Film wieder ein Glanzstück gelungen – ein funkelndes Juwel, in dem sich die Innenwelten von fünf Menschen vielschichtig brechen.
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