Learning to Drive - Fahrstunden fürs Leben

Eine Filmkritik von Peter Osteried

Zwei Leben

Nachdem sich Isabel Coixet mit Another Me – Mein zweites Ich nur bedingt überzeugend im Sujet des Thrillers versucht hat, kehrt sie mit Learning to Drive zu ihrer angestammten Domäne zurück: den menschlichen Dramen.
Wendy (Patricia Clarkson) wird nach mehr als zwei Jahrzehnten Ehe von ihrem Mann verlassen. Die Scheidung zwingt sie, ihr Leben neu zu ordnen, umzuziehen, für sich selbst mehr Verantwortung zu übernehmen, sich auch selbst mehr gerecht zu werden. Sie beschließt, Fahrunterricht zu nehmen. Der im politischen Asyl lebende Sikh Darwan (Ben Kingsley) unterrichtet sie, aber nicht nur, was das Fahren auf der Straße anbelangt, auch was es heißt die metaphorischen Straßen des Lebens zu befahren. Aber ebenso wie sie von ihm lernt, lernt er auch er von ihr.

Was bei einem geringeren Film in eine Liebesgeschichte zwischen Wendy und Darwan ausgeartet wäre, nimmt bei Learning to Drive eine gänzlich andere Entwicklung. Es gibt ihn zwar, den Moment, an dem aus Lehrer und Schülerin mehr werden könnte, aber er bleibt flüchtig. Muss es bleiben, weil es den beiden Protagonisten auch nicht gerecht würde. Sie leben beide ihr eigenes, sehr unterschiedliches Leben. Es überschneidet sich in den gemeinsamen Fahrstunden. Das macht es flüchtig, zeitlich begrenzt und dadurch auch kostbar.

Ein Prädikat, das man auch diesem Film anheften könnte. Es ist ein Drama aus dem echten Leben, das eben nicht nur dramatisch ist. Es gibt die Momente für geradezu hysterischen Humor, die Momente zum Schmunzeln, vor allem aber auch die ernsthaften Momente. Der Film packt alles in eine Melange, getragen von zwei wundervollen Hauptdarstellern, die immens gut miteinander harmonieren. Darum ertappt man sich auch dabei, den beiden ein (gemeinsames) Happyend zu wünschen, aber man merkt schnell, dass das Drehbuch von Sarah Kernochan in eine andere Richtung geht. Es folgt der Straße ins Ungewisse, bleibt dadurch überraschend und abenteuerlich zugleich – denn nichts anderes ist das Leben. Ein mal mehr, mal weniger aufregendes Abenteuer, ganz unabhängig davon, wie alt man wirklich ist.

So könnte man meinen, Learning to Drive ziele schon allein seiner beiden älteren Hauptdarsteller auf ein reiferes Publikum ab, aber dem ist nicht so. Es ist eine universelle Geschichte, die Coixet erzählt. Davon, dass man nie zu alt ist, noch etwas Neues im Leben anzufangen, und dass es Momente der Gemeinsamkeit geben kann, die nachwirken, auch wenn sie noch so kurz sein mögen. Vor allem aber gefällt der Film, weil er zwei authentische Figuren in den Mittelpunkt rückt, en passant Einblick in den Lebensstil der Sikh gibt und ihn in Kontrast zu westlichen Vorstellungen setzt, ohne sich ein Urteil in die eine oder andere Richtung zu erlauben.

Es sind Clarkson und Kingsley, die das Material erhöhen, die ihre Figuren so gut im Griff haben, dass man in deren Leben hineingezogen wird. Bei Wendy erlebt man die fünf Stufen der Trauer, während sie in Darwan einen Vertrauten findet, der in mehr als nur einer Hinsicht ein guter Berater ist. Und Darwans Geschichte fasziniert nicht minder.

Learning to Drive ist amüsantes, emotionales, ruhiges Kino – ein Film, wie er entspannter nicht sein könnte, aber darum umso wirkungsvoller ist.

Learning to Drive - Fahrstunden fürs Leben

Nachdem sich Isabel Coixet mit „Another Me – Mein zweites Ich“ nur bedingt überzeugend im Sujet des Thrillers versucht hat, kehrt sie mit „Learning to Drive“ zu ihrer angestammten Domäne zurück: den menschlichen Dramen.
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Meinungen

Martin Zopick · 05.07.2021

Der persönliche Hintergrund der beiden Hauptakteure ist ein interessanter Ansatz zum Thema ‘Führerschein‘. Fahrlehrer Darwan (Ben Kingsley) ist Sikh und trägt seinen Turban sowie seinen Vollbart voller Stolz. Die Fahrschülerin Wendy (Patricia Clarkson) ist eher im Reich der Wörter zu Hause, mittleren Alters und ihr Mann hat ihr gerade den Laufpass gegeben. Mit viel Gefühl und Empathie führt Darwan Wendy in die Geheimnisse des Autofahrens ein. Seine Schwester hat ihm daheim in Indien Jasleen (Sahrita Choudhury) ausgesucht und zu ihm geschickt. Es wurde eine arrangierte Hochzeit. Darwan hatte sie zuvor noch nie gesehen.
Jasleens Unsicherheit im fremden Amerika wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass sie Analphabetin ist. Viele der Gags stammen aus dem Standardrepertoire der Fahrschule, die besten Gags bringt aber die menschliche Begegnung von Darwan und Wendy. Jeder der beiden ist ein Typ für sich: der Inder ruht ganz in sich selbst, verliert nie die Fassung. Wendy ist das ganze Gegenteil: ein Nervenbündel im Post-Ehekrieg-Stress.
Der Culture Clash wird nicht sehr hochgehängt. Ebenso wie Darwans oder Jasleens Haltung zwischen den kulturellen Gegebenheiten seiner Heimat und Amerika. Mit zu viel Zuneigung zeichnet Isabel Coixet ihre Figuren. Selbst die Tatsache, dass es für Fahrlehrer und Fahrschülerin kein gemeinsames Happy End gibt, stört hier niemanden.
Die Darsteller sind zu gut. Sie erfüllen die Erwartungen des Publikums auch ohne die ausgetretenen Pfade eines künstlich herbeigeführten Happy Ends noch breiter zu treten.
Ein Feel-Good Movie ohne schwülen Sex.