Der Richter und der Mörder

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Montag, 3. Mai 2010, ARTE, 20:15 Uhr

Inwieweit ist ein Mörder, der in seiner Kindheit selbst Opfer eines schrecklichen Verbrechens war und offensichtlich psychisch krank ist, für seine Taten verantwortlich und somit auch entsprechend zu verurteilen? Mit dieser auch heute immer wieder die Gemüter erhitzenden Frage beschäftigt sich der französische Kriminalfilm Der Richter und der Mörder von Bertrand Tavernier aus dem Jahre 1976 im Spannungsfeld von Justiz und Gesellschaft auf eindringliche Art und Weise.
Auf Grund seines allzu ausfallenden, aggressiven Verhaltens wird der Unteroffizier Joseph Bouvier (Michel Galabru) gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus der französischen Armee entlassen. Als seine Verlobte Louise (Cécile Vassort) sich von ihm distanziert, feuert er seine Waffe auf sie ab und richtet sie anschließend gegen sich selbst, doch Louise bleibt unverletzt, Bouvier überlebt mit zwei Kugeln im Kopf und wird in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Nach seiner Entlassung ein Jahr später vagabundiert der traumatisierte Mann orientierungslos durch die französische Provinz und zieht eine blutige Spur grausamer Vergewaltigungen und Morde an jugendlichen Mädchen und Jungen hinter sich her. Mit Hilfe eines Phantombildes gelingt es dem ermittelnden Richter Rousseau (Philippe Noiret), Bouvier zu fassen, der seine Taten tatsächlich auch gesteht. Darüber hinaus wird deutlich, dass Bouvier einst selbst Opfer einer Vergewaltigung wurde und mit heftigen Zerrissenheiten zu kämpfen hat. Doch sowohl die involvierten Ärzte als auch die ländliche Bevölkerung zeigen auffallendes Verständnis dem Serienmörder gegenüber und verlangen, dass er als unzurechnungsfähiger Geisteskranker behandelt wird, während der Richter auf einer gnadenlose Verurteilung besteht …

Seinerzeit für sechs Césars nominiert und in den Kategorien Bestes Drehbuch sowie für Michel Galabru als Besten Darsteller ausgezeichnet liegt der Fokus von Der Richter und der Mörder nicht auf der Aufklärung des Kriminalfalles, sondern auf seinen sozialpsychologischen Hintergründen. Innerhalb eines mit beachtlicher Intensität agierenden Ensembles liegt die Konzentration auf den antagonistischen Figuren des Mörders und des Richters, die als seltsam nahe Gegenspieler den Konflikt des Umgangs mit dem Täter der abscheulichen Verbrechen durch die Gesellschaft einerseits und die Justiz andererseits ganz hervorragend verkörpern. Flankiert von wunderschönen Landschaftsbildern der französischen Provinz entsteht hier ein schwelendes Szenario von Schuldbetrachtungen im Kontext einer sich damals revolutionierenden Psychologie, wobei die Bewertung derartiger Konstellationen auch heute noch durch brennende Aktualität geprägt ist.

Der Richter und der Mörder

Inwieweit ist ein Mörder, der in seiner Kindheit selbst Opfer eines schrecklichen Verbrechens war und offensichtlich psychisch krank ist, für seine Taten verantwortlich und somit auch entsprechend zu verurteilen?
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