Bertrand Tavernier

Bertrand Tavernier

Bertrand Tavernier wurd 1941 in Lyon geboren. Der Sohn eines Schriftstellers und Verlegers wuchs in Paris auf. Seine Passion war und ist das Kino. Seit der Kindheit ein leidenschaftlicher Kinogänger, gab er das Jurastudium auf und arbeitete ab Ende der fünfziger Jahre als Filmkritiker. In den sechziger Jahren ist er Presseagent für den Produzenten Georges de Beauregard und verschiedene Filialen amerikanischer Studios in Frankreich. Er hat einige Referenzwerke der französischen Filmliteratur geschrieben, u.a. Cinquante ans de cinéma américain, eine Monographie über Humphrey Bogart, eine Geschichte des Western sowie das 700-Seiten starke Interviewbuch Amis américains.

Nach einer Assistenz bei Jean-Pierre Melvilles Film Eva und der Priester (Léon Morin prêtre, 1961) inszenierte Tavernier 1973 seinen ersten langen Spielfilm: Der Uhrmacher von St. Paul (L’horloger de Saint Paul), nach einem Roman von Georges Simenon: Ein junges Paar hat einen Werkpolizisten erschossen, der in eine Gruppe streikender Arbeiter gefahren ist. Der Vater fühlt sich mitverantwortlich für die Tat seines Sohnes und findet in Kommissar Guiboud einen Gesprächspartner. Bertrand Tavernier lässt sich unendlich viel Zeit, den Fall ganz aus der Peripherie heraus zu entwickeln. Für die präzise Regie erhielt er den Prix Louis Delluc. 1975 folgte Wenn das Fest beginnt (Que la fête commence), eine leidenschaftliche Reflexion über die Geschichte und ihre Wirkungskräfte.

Einige der Filme aus seinem weit gespannten Werk: Death Watch — Der gekaufte Tod (La mort en direct, 1979), mit Romy Schneider und Harvey Keitel, widmete sich dem Voyeurismus der Medien. Für erregte Debatten sorgte die 1981 gedrehte Kolonialsatire Der Saustall (Coup de torchon), angesiedelt im französischen Westafrika, wo Ende der dreißiger Jahre, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, der Moral- und Werteverfall der Weißen ad absurdum geführt wird. Hinter dem wehmütigen Abschied eines Künstlers von seiner Familie im Sommer des Jahres 1912 ließ der Regisseur in Ein Sonntag auf dem Lande (Un dimanche à la campagne, 1984) das brüchige Klima des heraufziehenden Ersten Weltkriegs und damit die Schwelbrände einer untergehenden Epoche anklingen – eine Zeit, die ihn nicht losließ und der er sich in Das Leben und nichts anderes (La vie et rien d’ autre, 1989) und Capitaine Conan (1996) erneut widmete. Die Schönheit des Augenblicks und die Vergänglichkeit menschlichen Lebens dagegen zelebrierte er mit dem Jazzfilm Um Mitternacht (Round Midnight, 1986). Mit Auf offener Straße (L. 627, 1992) und Der Lockvogel (L’appât, 1995) inszeniert er zwei vielfach ausgezeichnete und sehr düstere Krimis. Ça commence aujourd’hui (Es beginnt heute, 1999) lässt diejenigen zu Wort kommen, die nie Zugang zu den Medien haben – die Ärmsten unserer Gesellschaft –, während Laissez-Passer (2002), sein letzter Film vor Holy Lola, die Situation des französischen Kinos unter der deutschen Besatzung thematisiert.

An die vierzig Filme in allen Genres hat Tavernier bis heute gedreht und viele weitere produziert – darunter The Troubles We’ve Seen (1994) von Marcel Ophüls, Fred (1997) von Pierre Jolivet und De l’autre coté du Périph (1998) von seinem Sohn Nils, bei dem er auch als Co-Regisseur beteiligt war. Bertrand Tavernier wird von seinem Biographen Jean-Luc Douin als Mann mit vielen Interessen und vielen Eigenschaften bezeichnet, der für sich u.a. in Anspruch nehmen kann, Talente wie Nicole Garcia, Gérard Lanvin, Marie Gillain, Julie Delpy, Jacques Torreton, Jacques Gamblin und sogar Harry Dean Stanton entdeckt zu haben.

Als eingefleischter Kinoliebhaber und unübertroffener Kenner der angelsächsischen Filmkunst war und ist Bertrand Tavernier immer auch Historiker des Kinos. Er gehört zu den produktivsten und künstlerisch eigenständigsten Filmemacher der Generation nach der Nouvelle Vague, und er engagiert sich darüber hinaus auch als Humanist und sozial Verantwortlicher Mahner. Taverniers Motto lautet: „Ich will nicht die Welt verbessern, aber zeigen, wie sie ist und wie sie vielleicht sein könnte. Nicht nur Filmemacher sollten politische Verantwortung spüren, sondern jeder, der sich künstlerisch betätigt.“

Bertrand Tavernier — Filmographie

2009
In the Electric Mist

2004
Holy Lola

2002
Laissez-Passer

1999
Es beginnt heute (Ça commence aujourd’hui)

1998
De l’autre côte du Périph (Dokumentarfilm)

1996
Capitaine Conan (Capitaine Conan)

1995
Der Lockvogel (L’appât)

1994
D’Artagnans Tochter (La fille d’Artagnan)

1992
Auf offener Straße (L. 627)

1991
Contre l’oubli (Dokumentarfilm)
La guerre sans nom (Dokumentarfilm)

1990
Daddy Nostalgie (Daddy Nostalgie)

1989
Das Leben und nichts anderes (La vie et rien d’autre)

1988
Lyon, Regard Interieur (Dokumentarfilm)

1987
La Passion Béatrice (La passion Béatrice)

1986
Um Mitternacht (Round Midnight)

1984
Ein Sonntag auf dem Lande (Un dimanche à la campagne)

1983
Mississippi Blues (Dokumentarfilm)

1982
Philippe Soupault (Dokumentarfilm)

1981
Ferien für eine Woche (Une semaine de vacances)
Der Saustall (Coup de torchon)

1980
Death Watch — Der gekaufte Tod (La mort en direct)

1977
Verwöhnte Kinder (Des enfants gâtés)

1975
Wenn das Fest beginnt (Que la fête commence)
Der Richter und der Mörder (Le juge et l’assassin)

1974
Der Uhrmacher von Saint Paul (L’horloger de Saint-Paul)

Foto (C) — Prokino Filmverleih
Bild zu Die Demoiselles sind 25 Jahre alt geworden von Agnès Varda
Die Demoiselles sind 25 Jahre alt geworden von Agnès Varda - Filmbild 1
Film

Die Demoiselles sind 25 Jahre alt geworden (1993)

Jacques Demy drehte 1966 Die Demoiselles sind 25 Jahre alt geworden. Die militärische Architektur der Stadt diente als Kulisse für die bunten Ballette des Films, der die Liebesgeschichten zweier Zwillingsschwestern erzählt. 25 Jahre später organisiert Rochefort eine Feier zu Ehren des Direktors und […]