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Kunst kann nicht ohne physische Kommunikationsfläche passieren. Bei Marina Abramović, Sigalit Landau, Shirin Neshat und Katharina Sieverding wird der eigene Körper als Ausdruck der persönlichen Erfahrungen zum Hauptbestandteil ihrer Arbeiten. Vier starke und zugleich zerbrechliche Frauen im Porträt.

Body of Truth (2019)

Eine Filmkritik von Bianca Jasmina Rauch

Die Unmittelbarkeit der Körpersprache

Ihre Zerbrechlichkeit, reflektiert die iranische Foto- und Filmkünstlerin Shirin Neshat, rührt aus den persönlichen Erfahrungen mit der verlassenen Heimat. Während der Iranischen Revolution ging sie zum Studieren in die USA, bei ihrem nächsten Heimatbesuch erkannte sie das Land kaum wieder. Durch ihrer künstlerische Tätigkeit kann sie ihr schwieriges Verhältnis zum Iran verarbeiten und selbst an Stärke gewinnen. Ob es nun die Iranische Revolution, die Jugoslawienkriege, der Nationalsozialismus oder die Diaspora ist: historische Ereignisse können persönliche Schicksale unwiderruflich prägen. Dies wird in „Body of Truth“ sehr deutlich.

Regisseurin Evelyn Schels lässt die Reflexion jeder Künstlerin über den zeitgeschichtlichen Kontext ihrer Herkunft Teil ihres eigenen Porträts werden. Kindheit und Jugendjahre werden, teilweise unterlegt mit Archivaufnahmen, Revue passiert und gleichsam als Wirkungsursache für das weitere künstlerisch(-politische) Schaffen entdeckt. So folgen auf Interviewsequenzen oftmals Ausschnitte von Aufnahmen vergangener Arbeiten, die in direktem Zusammenhang zum zuvor Erzählten stehen. Wir sehen etwa eine Archivaufnahme, auf der Marina Abramović sich während einer Performance einen kommunistischen Stern in die bereits blutige Haut schneidet. Der Kommunismus und die Kriegsereignisse ihrer Heimat waren für die Performancekünstlerin prägend. Die Fotokünstlerin Katharina Sieverding berichtet hingegen von ihren Erfahrungen mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs und sieht darin ihren Antrieb zum künstlerischen Schaffen begründet.

Der Film geht in seinen ineinander verschränkten Porträtsequenzen über die einzelnen Künstlerinnen episodenhaft vor: erst wird die Kindheit erzählt, dann die Jugendjahre, schließlich folgt der Schwenk in die Gegenwart. Hier zeigt Schels die vier Frauen dann auch direkt beim Arbeiten an neuen Konzepten oder konkreten Projekten. So begleitet sie die in Jerusalem lebende israelische Videokünstlerin und Bildhauerin Sigalit Landau für ein Projekt ans Tote Meer oder lässt Sieverding den Plakatdruck ihrer Fotos kommentieren. Philosophisch-politische Fragen nach den Potenzialen der Kunst mischen sich z.B. mit der Suche nach der richtigen Druckfarbe. Ist das Rot zu stark und kann Kunst Widerstand leisten?

Die Frage nach dem politischen Potenzial der Kunst schwebt in allen vier Porträts — und den Arbeiten selbst — mit, so unterschiedlich deren Umsetzung letztlich auch ist. Gemeinsam ist den inzwischen in den USA und Europa bzw. Israel tätigen Frauen die Überzeugung, dass der körperliche Ausdruck unmittelbarer und somit ehrlicher als der geistige ist. Das Verhältnis zum eigenen Körper, der Umgang mit Schmerz und die prägende Erfahrung der Mutterschaft treten wiederholt als Gesprächsthemen auf.

Während Abramović durch die Erfahrung des Schmerzes ihre Angst vor dem Schmerz bezwingt, distanziert sich Sieverding klar von dieser Praxis der Performance und legt ihr Hauptaugenmerk auf das menschliche Gesicht, in dem sie die größte Ausdruckskraft des Körpers sieht. Auch Neshat arbeitet u.a. mit Porträts: präzise wählt sie ein Foto der pakistanischen Aktivistin Malala aus, indem sie feine Unterschiede in Gesichtsausdruck und Handhaltung innerhalb einer Porträtserie herausstellt.

Body of Truth schneidet auf inhaltlicher Ebene viele Themen an. Zwar bewirkt der Film keine Informationsflut, doch kommt der titelgebende Umgang mit dem Körper in manch einem Porträt zuletzt eher zu kurz. Wenn es um den unmittelbaren Ausdruck des weiblichen Körpers geht, wie steht es dann um die im Film vielfach gezeigten inszenierten Porträtserien der Künstlerinnen? Kann fotografische Inszenierung in ihrer artifiziellen Situation noch einen body of truth repräsentieren? Stoff zum Grübeln bleibt genug. Außer Frage steht jedenfalls, dass Schels es gelingt, den Zusehenden die Schaffensprozesse und Persönlichkeiten der vier Künstlerinnen näherzubringen — auf geistiger Ebene, versteht sich.

Body of Truth (2019)

Eine Filmkritik von Sophie Holzberger

Körperkunst: vier Künstlerinnen im Dialog

Ein Körper treibt leicht gebeugt auf weiß-bläulich schimmerndem Wasser. Umgeben von einer schneckenförmigen Anordnung von Wassermelonen, bewegt sich der Körper sachte. Langsam entfaltet sich aus den Kreisen eine Schnur an Früchten. Die Kamera bewegt sich aus einer Top- Shot-Perspektive vorsichtig über die Szene, der nackte Körper ist nun im Zentrum des Bildes, schon am unteren Bildrand werden angefressene Wassermelonen sichtbar, das Rot ihres Fruchtfleisches sieht blutig aus, der Körper inmitten all dieser Früchte auf einmal völlig verwundbar—wenn Glieder dieser Kette brechen, so ist auch seine Abgeschlossenheit nicht gewährt. Das Salz, das in diese Wunden eindringt und der stechende Schmerz des Wassers auf offener Haut wird förmlich spürbar. Es sind Aufnahmen aus Sigalit Landaus Film „DeadSee“ (2005) und das Wasser des Toten Meeres ist nur eine der maritimen Landschaften, die „Body of Truth“ durchziehen, vielleicht aber die zärtlichste Anordnung von Körper und Element im Verlauf des Films.

Mit Gängen und Blicken auf das Wasser beginnt der Dokumentarfilm Body of Truth, entstanden unter der Regie von Evelyn Schels, und verwebt dabei bereits in einer kunstvollen Parallelmontage das Leben und Schaffen von vier Frauen, vier Künstlerinnen und vier Körpern. Der Film stellt in anderthalb Stunden ein dichtes Netz an Bezügen zwischen den unterschiedlichen Œuvres von Marina Abramović, Sigalit Landau, Shirin Neshat und Katharina Sieverding her. Dabei setzt er an Stelle eines physischen Zusammentreffens der vier Künstlerinnen die Kunst der Montage. Das Netz wird an manchen Stellen sehr durchlässig, die tragende Gemeinsamkeit, der titelgebende Körperbezug in allen Arbeiten, tritt teils völlig in den Hintergrund und wird überlagert von allgemeinen Fragen rund ums Leben und die Arbeit. Sieverding spricht ausführlich über ihr in den 1968ern radikalisiertes Verhältnis zur Geschichte und das Verhältnis des Menschen zum Kosmos.

Wir sehen Abramović beim Stricken, über das sie mit einem schelmischen Lächeln behauptet, dass es gut für ihren Blutdruck sei. Das einzig auffällige Überbleibsel des disparaten Nebeneinanders ist die etwas holprig wirkende Einführung und Zusammenführung der Protagonistinnen in schwarz-weißen Hologramm-Animationen mit der Einblendung ihrer Namen, in einer an Star Wars erinnernden Neonleuchtschrift. Die Künstlerinnen sehen so ein wenig aus wie Charaktere aus einem MMA Game, in manchen überleitenden Passagen sind sie einander sogar gegenübergestellt wie in der Vorschau eines Boxkampfes.

In den verschiedenen Interview-Sequenzen wird deutlich, wie eng die Arbeiten mit den jeweiligen Biografien verbunden sind. Während Shirin Neshat ihre fotografischen Arbeiten als eine Möglichkeit des Dialogs mit ihrem Geburtsland Iran und den Frauen dieses Landes begreift, ist es bei Abramović der Bezug zur Geschichte des ehemaligen Jugoslawiens und zu ihren kommunistischen Eltern, der viele Teile ihres Schaffens durchzieht. Auch Landaus Arbeiten sind bestimmt von einem autobiografischen Duktus, der sie immer wieder zur Geschichte Israels und des Holocausts führt. Das Tote Meer ist für sie ein Ort der Trauer um ihre Mutter und gleichzeitig öffnen die Schichtungen der Salzkristalle, mit der sie viele ihrer Objekte überzieht, sich hin zum Allgemeinen, der Vergangenheit und einer möglichen Zukunft. Sieverdings Biografie hingegen ist geprägt von Zorn: „Wütend war ich eigentlich auf alle“, sagt sie in Bezug auf die Ereignisse um Benno Ohnesorgs Ermordung — für sie war dies klar der Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Ethik. Kurz nach den Ereignissen vom 2. Juni 1967 schloss sie sich der Klasse von Joseph Beuys an, die Frage nach der Öffentlichkeit und der politischen Verantwortung von Kunst, lassen sie seitdem nicht mehr los.

Manche der Montagen, wie etwa die Parallelisierung der Videoinstallation The Hero (2001) von Abramović mit Fotografien ihres Vaters in einer ähnlichen Pose, übertreiben dieses autobiografische Moment ein wenig, doch sind diese Bezüge auch deutlich in den Arbeiten selbst angelegt.

Alle kehren sie immer wieder zum Körper zurück und stehen dabei auch im kritischen Dialog: Sieverding äußert völliges Unverständnis für die Praxis der Selbstverletzung in der Kunst, etwa in Landaus Barbed Hula 2005 und der Rhythm-Reihe von Abramović. Und doch scheint Abramović ein Grundverständnis aller vier zusammenzufassen, wenn sie sagt: „The mind can lie but the body cannot lie.” Der Körper zeigt sich als einzigartiger Raum zur Erkundung künstlerischen Ausdrucks, als Schauplatz von gesellschaftlichen Machtkämpfen, als Kreuzung zwischen Privatem und Öffentlichen.

Die Kunstwerke bieten dem Film ein dankbares Material, er verwendet daher auch einen Großteil seiner Zeit darauf Ausschnitte und Aufnahmen von ihnen zu zeigen. Dabei zeugen Arbeiten wie Rhthym 0 und 5 von Abramović, die Reihe Transformer (1973/74) von Sieverding, die nur schwer zu ertragende Videoperformance Barbed Hula (2000) Landaus und Neshats Installation Rapture (1999) von den vielfältigen und komplexen Aushandlungen von Körper und Gender, körperlicher Geschichte, aber auch den Grenzen der eigenen Körperlichkeit.

Der Film bringt ungewollt auch eine weitere Überschneidung zwischen diesen vier Künstlerinnen zum Vorschein: zwischen Düsseldorf, Jerusalem und New York zeigt sich die  Homogenität der internationalen Kunstszene. Die Ateliers und Arbeitsräume sind geprägt von einer weiß-silbernen minimalistischen Ästhetik, loftartigen Fensterfronten und teurer Kleidung. Die Omnipräsenz des silbernen MacBooks lässt einen leicht vergessen, an welchem Ort gerade gedreht wird.

Ohne eine der Künstlerinnenbiographien voll auszuerzählen, schafft es der Film Neugier zu wecken und durch die kleinen Beobachtungen des Alltages und der Arbeit an ihren aktuellen Werken, einen Einblick in die Lebensrealität dieser vier Frauen zu gewähren. Nach dem Kinobesuch verbringe ich lange Zeit damit die Künstlerinnen zu recherchieren, mir viele ihrer Werke noch einmal in Ruhe anzuschauen.

2019 scheint ein solcher Film kaum überraschend, er steht in einer ganzen Reihe von Porträts über starke Frauen, als bekanntestes Beispiel der letzten Zeit Female Pleasure. Doch im Q&A berichten Regisseurin und Produzent Arek Gielnik von den Schwierigkeiten in der Produktion des Films, der bereits seit 2013 in Vorbereitung ist: immer wieder wurde während der Finanzierung in Frage gestellt, ob ein Film über vier Künstlerinnen nicht eigentlich ein Film für und über eine Minorität sei, der viel zu uninteressant bleiben würde für ein größeres Publikum. „Es war eben vor #metoo“, sagt die Regisseurin und der Kinosaal lacht. Die Filmlandschaft habe sich, so Schels, drastisch verändert in den letzten drei Jahren. Dieser Film lässt hoffen, dass sie auch weiterhin in Bewegung bleibt.

Body of Truth (2019)

Die Künstlerinnen Marina Abramov, Sigalit Landau, Katharina Sieverding und Shirin Neshat stammen aus vier verschiedenen Kulturen  und wurden durch ihre persönlichen Erfahrungen mit Krieg, Gewalt und Unterdrückung in ihren Heimatländern geprägt und politisiert. Diese Erfahrungen verwandeln sie in aufrüttelnde und bewegende Kunst und setzen dabei als Ausdrucksmittel das Persönlichste ein, das sie haben: ihren eigenen Körper.

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