Body of Truth (2019)

Die Unmittelbarkeit der Körpersprache

Eine Filmkritik von Bianca Jasmina Rauch

Ihre Zerbrechlichkeit, reflektiert die iranische Foto- und Filmkünstlerin Shirin Neshat, rührt aus den persönlichen Erfahrungen mit der verlassenen Heimat. Während der Iranischen Revolution ging sie zum Studieren in die USA, bei ihrem nächsten Heimatbesuch erkannte sie das Land kaum wieder. Durch ihrer künstlerische Tätigkeit kann sie ihr schwieriges Verhältnis zum Iran verarbeiten und selbst an Stärke gewinnen. Ob es nun die Iranische Revolution, die Jugoslawienkriege, der Nationalsozialismus oder die Diaspora ist: historische Ereignisse können persönliche Schicksale unwiderruflich prägen. Dies wird in „Body of Truth“ sehr deutlich.

Regisseurin Evelyn Schels lässt die Reflexion jeder Künstlerin über den zeitgeschichtlichen Kontext ihrer Herkunft Teil ihres eigenen Porträts werden. Kindheit und Jugendjahre werden, teilweise unterlegt mit Archivaufnahmen, Revue passiert und gleichsam als Wirkungsursache für das weitere künstlerisch(-politische) Schaffen entdeckt. So folgen auf Interviewsequenzen oftmals Ausschnitte von Aufnahmen vergangener Arbeiten, die in direktem Zusammenhang zum zuvor Erzählten stehen. Wir sehen etwa eine Archivaufnahme, auf der Marina Abramović sich während einer Performance einen kommunistischen Stern in die bereits blutige Haut schneidet. Der Kommunismus und die Kriegsereignisse ihrer Heimat waren für die Performancekünstlerin prägend. Die Fotokünstlerin Katharina Sieverding berichtet hingegen von ihren Erfahrungen mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs und sieht darin ihren Antrieb zum künstlerischen Schaffen begründet.

Der Film geht in seinen ineinander verschränkten Porträtsequenzen über die einzelnen Künstlerinnen episodenhaft vor: erst wird die Kindheit erzählt, dann die Jugendjahre, schließlich folgt der Schwenk in die Gegenwart. Hier zeigt Schels die vier Frauen dann auch direkt beim Arbeiten an neuen Konzepten oder konkreten Projekten. So begleitet sie die in Jerusalem lebende israelische Videokünstlerin und Bildhauerin Sigalit Landau für ein Projekt ans Tote Meer oder lässt Sieverding den Plakatdruck ihrer Fotos kommentieren. Philosophisch-politische Fragen nach den Potenzialen der Kunst mischen sich z.B. mit der Suche nach der richtigen Druckfarbe. Ist das Rot zu stark und kann Kunst Widerstand leisten?

Die Frage nach dem politischen Potenzial der Kunst schwebt in allen vier Porträts - und den Arbeiten selbst - mit, so unterschiedlich deren Umsetzung letztlich auch ist. Gemeinsam ist den inzwischen in den USA und Europa bzw. Israel tätigen Frauen die Überzeugung, dass der körperliche Ausdruck unmittelbarer und somit ehrlicher als der geistige ist. Das Verhältnis zum eigenen Körper, der Umgang mit Schmerz und die prägende Erfahrung der Mutterschaft treten wiederholt als Gesprächsthemen auf.

Während Abramović durch die Erfahrung des Schmerzes ihre Angst vor dem Schmerz bezwingt, distanziert sich Sieverding klar von dieser Praxis der Performance und legt ihr Hauptaugenmerk auf das menschliche Gesicht, in dem sie die größte Ausdruckskraft des Körpers sieht. Auch Neshat arbeitet u.a. mit Porträts: präzise wählt sie ein Foto der pakistanischen Aktivistin Malala aus, indem sie feine Unterschiede in Gesichtsausdruck und Handhaltung innerhalb einer Porträtserie herausstellt.

Body of Truth schneidet auf inhaltlicher Ebene viele Themen an. Zwar bewirkt der Film keine Informationsflut, doch kommt der titelgebende Umgang mit dem Körper in manch einem Porträt zuletzt eher zu kurz. Wenn es um den unmittelbaren Ausdruck des weiblichen Körpers geht, wie steht es dann um die im Film vielfach gezeigten inszenierten Porträtserien der Künstlerinnen? Kann fotografische Inszenierung in ihrer artifiziellen Situation noch einen body of truth repräsentieren? Stoff zum Grübeln bleibt genug. Außer Frage steht jedenfalls, dass Schels es gelingt, den Zusehenden die Schaffensprozesse und Persönlichkeiten der vier Künstlerinnen näherzubringen - auf geistiger Ebene, versteht sich.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/body-of-truth-2019