Body of Truth (2019)

Körperkunst: vier Künstlerinnen im Dialog

Eine Filmkritik von Sophie Holzberger

Ein Körper treibt leicht gebeugt auf weiß-bläulich schimmerndem Wasser. Umgeben von einer schneckenförmigen Anordnung von Wassermelonen, bewegt sich der Körper sachte. Langsam entfaltet sich aus den Kreisen eine Schnur an Früchten. Die Kamera bewegt sich aus einer Top- Shot-Perspektive vorsichtig über die Szene, der nackte Körper ist nun im Zentrum des Bildes, schon am unteren Bildrand werden angefressene Wassermelonen sichtbar, das Rot ihres Fruchtfleisches sieht blutig aus, der Körper inmitten all dieser Früchte auf einmal völlig verwundbar—wenn Glieder dieser Kette brechen, so ist auch seine Abgeschlossenheit nicht gewährt. Das Salz, das in diese Wunden eindringt und der stechende Schmerz des Wassers auf offener Haut wird förmlich spürbar. Es sind Aufnahmen aus Sigalit Landaus Film „DeadSee“ (2005) und das Wasser des Toten Meeres ist nur eine der maritimen Landschaften, die „Body of Truth“ durchziehen, vielleicht aber die zärtlichste Anordnung von Körper und Element im Verlauf des Films.

Mit Gängen und Blicken auf das Wasser beginnt der Dokumentarfilm Body of Truth, entstanden unter der Regie von Evelyn Schels, und verwebt dabei bereits in einer kunstvollen Parallelmontage das Leben und Schaffen von vier Frauen, vier Künstlerinnen und vier Körpern. Der Film stellt in anderthalb Stunden ein dichtes Netz an Bezügen zwischen den unterschiedlichen Œuvres von Marina Abramović, Sigalit Landau, Shirin Neshat und Katharina Sieverding her. Dabei setzt er an Stelle eines physischen Zusammentreffens der vier Künstlerinnen die Kunst der Montage. Das Netz wird an manchen Stellen sehr durchlässig, die tragende Gemeinsamkeit, der titelgebende Körperbezug in allen Arbeiten, tritt teils völlig in den Hintergrund und wird überlagert von allgemeinen Fragen rund ums Leben und die Arbeit. Sieverding spricht ausführlich über ihr in den 1968ern radikalisiertes Verhältnis zur Geschichte und das Verhältnis des Menschen zum Kosmos.

Wir sehen Abramović beim Stricken, über das sie mit einem schelmischen Lächeln behauptet, dass es gut für ihren Blutdruck sei. Das einzig auffällige Überbleibsel des disparaten Nebeneinanders ist die etwas holprig wirkende Einführung und Zusammenführung der Protagonistinnen in schwarz-weißen Hologramm-Animationen mit der Einblendung ihrer Namen, in einer an Star Wars erinnernden Neonleuchtschrift. Die Künstlerinnen sehen so ein wenig aus wie Charaktere aus einem MMA Game, in manchen überleitenden Passagen sind sie einander sogar gegenübergestellt wie in der Vorschau eines Boxkampfes.

In den verschiedenen Interview-Sequenzen wird deutlich, wie eng die Arbeiten mit den jeweiligen Biografien verbunden sind. Während Shirin Neshat ihre fotografischen Arbeiten als eine Möglichkeit des Dialogs mit ihrem Geburtsland Iran und den Frauen dieses Landes begreift, ist es bei Abramović der Bezug zur Geschichte des ehemaligen Jugoslawiens und zu ihren kommunistischen Eltern, der viele Teile ihres Schaffens durchzieht. Auch Landaus Arbeiten sind bestimmt von einem autobiografischen Duktus, der sie immer wieder zur Geschichte Israels und des Holocausts führt. Das Tote Meer ist für sie ein Ort der Trauer um ihre Mutter und gleichzeitig öffnen die Schichtungen der Salzkristalle, mit der sie viele ihrer Objekte überzieht, sich hin zum Allgemeinen, der Vergangenheit und einer möglichen Zukunft. Sieverdings Biografie hingegen ist geprägt von Zorn: „Wütend war ich eigentlich auf alle“, sagt sie in Bezug auf die Ereignisse um Benno Ohnesorgs Ermordung - für sie war dies klar der Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Ethik. Kurz nach den Ereignissen vom 2. Juni 1967 schloss sie sich der Klasse von Joseph Beuys an, die Frage nach der Öffentlichkeit und der politischen Verantwortung von Kunst, lassen sie seitdem nicht mehr los.

Manche der Montagen, wie etwa die Parallelisierung der Videoinstallation The Hero (2001) von Abramović mit Fotografien ihres Vaters in einer ähnlichen Pose, übertreiben dieses autobiografische Moment ein wenig, doch sind diese Bezüge auch deutlich in den Arbeiten selbst angelegt.

Alle kehren sie immer wieder zum Körper zurück und stehen dabei auch im kritischen Dialog: Sieverding äußert völliges Unverständnis für die Praxis der Selbstverletzung in der Kunst, etwa in Landaus Barbed Hula 2005 und der Rhythm-Reihe von Abramović. Und doch scheint Abramović ein Grundverständnis aller vier zusammenzufassen, wenn sie sagt: „The mind can lie but the body cannot lie.” Der Körper zeigt sich als einzigartiger Raum zur Erkundung künstlerischen Ausdrucks, als Schauplatz von gesellschaftlichen Machtkämpfen, als Kreuzung zwischen Privatem und Öffentlichen.

Die Kunstwerke bieten dem Film ein dankbares Material, er verwendet daher auch einen Großteil seiner Zeit darauf Ausschnitte und Aufnahmen von ihnen zu zeigen. Dabei zeugen Arbeiten wie Rhthym 0 und 5 von Abramović, die Reihe Transformer (1973/74) von Sieverding, die nur schwer zu ertragende Videoperformance Barbed Hula (2000) Landaus und Neshats Installation Rapture (1999) von den vielfältigen und komplexen Aushandlungen von Körper und Gender, körperlicher Geschichte, aber auch den Grenzen der eigenen Körperlichkeit.

Der Film bringt ungewollt auch eine weitere Überschneidung zwischen diesen vier Künstlerinnen zum Vorschein: zwischen Düsseldorf, Jerusalem und New York zeigt sich die  Homogenität der internationalen Kunstszene. Die Ateliers und Arbeitsräume sind geprägt von einer weiß-silbernen minimalistischen Ästhetik, loftartigen Fensterfronten und teurer Kleidung. Die Omnipräsenz des silbernen MacBooks lässt einen leicht vergessen, an welchem Ort gerade gedreht wird.

Ohne eine der Künstlerinnenbiographien voll auszuerzählen, schafft es der Film Neugier zu wecken und durch die kleinen Beobachtungen des Alltages und der Arbeit an ihren aktuellen Werken, einen Einblick in die Lebensrealität dieser vier Frauen zu gewähren. Nach dem Kinobesuch verbringe ich lange Zeit damit die Künstlerinnen zu recherchieren, mir viele ihrer Werke noch einmal in Ruhe anzuschauen.

2019 scheint ein solcher Film kaum überraschend, er steht in einer ganzen Reihe von Porträts über starke Frauen, als bekanntestes Beispiel der letzten Zeit Female Pleasure. Doch im Q&A berichten Regisseurin und Produzent Arek Gielnik von den Schwierigkeiten in der Produktion des Films, der bereits seit 2013 in Vorbereitung ist: immer wieder wurde während der Finanzierung in Frage gestellt, ob ein Film über vier Künstlerinnen nicht eigentlich ein Film für und über eine Minorität sei, der viel zu uninteressant bleiben würde für ein größeres Publikum. „Es war eben vor #metoo“, sagt die Regisseurin und der Kinosaal lacht. Die Filmlandschaft habe sich, so Schels, drastisch verändert in den letzten drei Jahren. Dieser Film lässt hoffen, dass sie auch weiterhin in Bewegung bleibt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/body-of-truth-2019