Altes Geld

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Familie als Keimzelle der Verkommenheit

Rolf Rauchensteiner (Udo Kier) ist am Ende. Das sagt zumindest sein Arzt – und der muss es schließlich aus verschiedenen Gründen am besten wissen. Jedenfalls droht dem milliardenschweren Patriarchen nach der zweiten Hepatitis ein akutes Leberversagen und damit der vorzeitige Abgang aus der Welt der Schönen, Reichen, Mächtigen und Skrupellosen. Wenn sich nicht doch eine Spenderleber findet, die ihm nochmal das süße irdische Leben ein wenig verlängert.

Weil die Wartelisten für Organtransplantationen aber lang sind und – oh, Wunder! — doch nicht alles käuflich zu sein scheint, setzt er Himmel und (vor allem) Hölle in Bewegung, um dem Schnitter nochmal zu entkommen. Also trommelt er gemeinsam mit seiner Gattin Liane (Sunnyi Melles) den Nachwuchs zusammen und verspricht dem- oder derjenigen, die ihm das rettende Organ verschafft, das gesamte, nicht unerhebliche Familienvermögen. Und weil alle solchermaßen Motivierten ebenso verkommen und skrupellos sind wie die Eltern, geht nun eine Jagd los, die – wie dies bei den Rauchensteiners sowieso Usus ist — keinerlei Grenzen kennt. Dabei zieht sich die Hatz wider Erwarten erheblich in die Länge, die Nerven liegen blank und nacheinander kommen so ziemlich alle schmutzigen Familiengeheimnisse (und derer gibt es viele) zum Vorschein. Und weil die Familie nach Aristoteles schon immer als Keimzelle des Staates gilt, fällt die subliminal eingestreute Demontage der Alpenrepublik gleichermaßen verheerend aus.

Man stelle sich in einem kühnen Moment einmal kurz vor, eine deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt hätte den Mut gehabt, eine Familiensaga wie Altes Geld zu realisieren. Abgesehen davon, dass das schlichtweg nicht vorstellbar ist hierzulande, hätte danach ein Shitstorm auf allen Kanälen eingesetzt. Weil das, was es dort zu sehen gibt, die moralischen und weltanschaulichen Maßstäbe der Zielgruppe auf eine gehörige Probe gestellt hätte: Abgesehen von beinahe schon lässlicheren Vergehen wie Mordversuch, permanentem Ehebruch und der Allgegenwart von Korruption, die in David Schalkos österreichischem Sittengemälde alle gesellschaftlichen Schichten betrifft, sind es vor allem Ingredienzien wie Inzest, Handschuhe aus Menschenhaut, nekrophil anmutende Balzrituale und vor allem die absolute moralische Schrankenlosigkeit, die bisweilen nur einen Schluss zulassen: Offensichtlich, so die Vermutung, haben sich Gaspar Noé, Pedro Almodòvar, François Ozon und andere Kinoextremisten nach gemeinsamem Genuss halluzinogener Drogen eine typische mitteleuropäische TV-Familienserie vorgenommen und sie mit allem angereichert, was normalerweise nur verschämt (wenn überhaupt) im Fernsehen geduldet wird.

Als „Dallas für Geistesgestörte“ bezeichnet Autor und Regisseur David Schalko, der Österreich bereits 2012 mit Braunschlag den Zerrspiegel vors Gesicht hielt, seine rabiat-elegante Farce. Tauscht man die Präposition aus und macht daraus „Dallas mit Geistesgestörten“, dann wird ebenfalls ein Schuh draus. Bis in die Nebenrollen exzellent besetzt (unter anderem mit Nora von Waldstätten, dem herrlich verkommenen Nicolas Ofczarek und vielen anderen großartigen Mimen), mit einigen treffsicher unter die Gürtellinie zielenden Hieben gegen den Wiener Filz, die Dummheit vermeintlicher Eliten und den allgegenwärtigen Opportunismus der Politik, rasiermesserscharfen Dialogen sowie einem hinterfotzig-schmeichlerischen Klimperscore, ist Altes Geld viel mehr als eine Alternative zur derzeit omnipräsenten US-Serienkost. Zumal einem kaum etwas aus Übersee einfällt, das derart lustvoll die Grenzen des (guten) Geschmacks niederwalzt und dabei bei aller Lust an der Hyperbolik dem Wesen dessen, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält, so erschreckend nahe kommt wie diese kalte Taxierung der menschlichen Unzulänglichkeiten, die gut und gerne dazu taugen würde, Heerscharen von (natürlich Wiener) Psychoanalytikern und Psychiatern auf Jahrzehnte ein erkleckliches Einkommen zu sichern.

Und noch etwas Gutes hat Altes Geld — man mag es kaum glauben, doch irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass der Blick in die Wiener Abgründe womöglich eine kathartische Wirkung auf den geneigten bis geschockten Zuschauer haben könnte: Wer diesem Ausbund an menschlicher Niedertracht einmal in hässliche Antlitz geschaut hat, dem werden fortan die verhassten Clanfeiern mit Tante Frieda und Onkel Günther wie der Inbegriff familiärer Harmonie und Glückseligkeit vorkommen. Versprochen!
 

Altes Geld

Rolf Rauchensteiner (Udo Kier) ist am Ende. Das sagt zumindest sein Arzt – und der muss es schließlich aus verschiedenen Gründen am besten wissen. Jedenfalls droht dem milliardenschweren Patriarchen nach der zweiten Hepatitis ein akutes Leberversagen und damit der vorzeitige Abgang aus der Welt der Schönen, Reichen, Mächtigen und Skrupellosen. Wenn sich nicht doch eine Spenderleber findet, die ihm nochmal das süße irdische Leben ein wenig verlängert.

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