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In „Willkommen in Marwen“ setzt Robert Zemeckis den Kampf eines Mannes gegen ein schweres Trauma in einem Mix aus Real- und Animationsfilm um.

Willkommen in Marwen (2018)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Traumabewältigung mit Puppen

Die audiovisuelle Darstellung eines Traumas sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung ist eine diffizile Angelegenheit. Was zeigt man, was zeigt man nicht? Wie findet man Bilder und Worte für das traumatisierende Ereignis und dessen Folgen? In „Willkommen in Marwen“ wählt der Regisseur Robert Zemeckis einen Weg zwischen Charakterdrama und Motion-Capture-Action, um sich dem Innenleben seines Protagonisten zu nähern.

Die Geschichte von Mark Hogancamp wurde bereits im Jahre 2010 in Jeff Malmbergs Dokumentarfilm Marwencol geschildert. Der damals 38-Jährige wurde im April 2000 von fünf jungen Männern vor einem Lokal in Kingston, New York zusammengeschlagen, fiel daraufhin für mehrere Tage ins Koma und hatte danach nicht nur sämtliche Erinnerungen an die Zeit vor dem Angriff verloren, sondern musste auch seine motorischen Fertigkeiten mühsam zurückgewinnen. Dabei erhielt er – in der Reha-Klinik und in seinem Umfeld – insbesondere die Unterstützung von diversen Frauen. Hogancamp, der zuvor ein leidenschaftlicher Illustrator war, verarbeitete seine Gewalterfahrung und die Hilfe der Frauen durch eine Spielzeug-Miniaturwelt, angesiedelt in einer fiktiven Kleinstadt in Belgien während des Zweiten Weltkrieges, in welcher er als Cap’n Hogie gemeinsam mit weiblichen GIs gegen ein Nazi-Quintett kämpft. Die Fotografien, in denen Hogancamp diesen Kosmos einfing, erregten schließlich die Aufmerksamkeit der New Yorker Kunstszene.

Das Drehbuch, das Zemeckis zusammen mit Caroline Thompson verfasste, widmet sich einerseits den Abenteuern im belgischen Marwen und andererseits den Versuchen von Mark (Steve Carell), seinen Alltag zu bewältigen. Er soll vor Gericht aussagen und muss somit seinen Angreifern gegenübertreten; zudem steht die Eröffnung seiner Ausstellung in einer Galerie an. Als die liebenswürdige Nicol (Leslie Mann) im Haus gegenüber einzieht, entwickelt er Gefühle für die stets farbenfroh gekleidete Frau – zugleich wird deren aggressiver Ex-Freund Kurt (Neil Jackson) zu einer Bedrohung. Ebenso erleidet Mark immer wieder Panikattacken, die ihn dazu bringen, seine Tabletten überzudosieren.

Die Gestaltung der Animationssequenzen ist eindrücklich; hier macht sich Zemeckis Erfahrung im Motion-Capture-Bereich (etwa durch die Werke Der Polarexpress und Eine Weihnachtsgeschichte) bemerkbar. Auch ist es fraglos die richtige Entscheidung, die von Mark erschaffene Welt nicht im Sinne einer möglichst familienfreundlichen Unterhaltung zu glätten. Wenn Nicol feststellt, dass Marks Kreationen „ziemlich brutal“ sind, entspricht das auch unserem Eindruck als Zuschauer_innen: Vieles in Marwen hat eine seltsame Fetisch-Anmutung – seien es die Kostüme der Frauen oder die Art und Weise, wie Folter und andere Gewalttaten umgesetzt werden. Wenn Roberta (Merritt Wever) – eine Freundin von Mark und Verkäuferin in einem örtlichen Geschäft – kritisiert, dass der Puppe, die nach ihrem Vorbild ausgestattet wurde, unnötigerweise die Bluse aufgerissen wurde, wird diese Fetischisierung im Miniatur-Kosmos in den realen Momenten des Films thematisiert.

Weniger gelungen ist indes, dass vor allem die Frauenfiguren in den Passagen, die die Wirklichkeit zeigen sollen, ebenfalls allzu märchenhaft daherkommen. Nicol wirkt, als stamme sie aus einer anderen Zeit beziehungsweise gar aus der Reklame dieser anderen Zeit (etwa den 1950er oder frühen 1960er Jahren), Roberta scheint nur zu existieren, um Mark eine Stütze zu sein – und auch Marks russische Betreuerin Anna (Gwendoline Christie) oder Marks Kollegin Carlala (Eiza González), die mit ihm in der Küche eines Lokals tätig ist, zeichnen sich in erster Linie dadurch aus, „gute Seelen“ zu sein. Marks Physiotherapeutin Julie (Janelle Monáe), die auch als GI in Marwen vertreten ist, tritt derweil nur in wenigen Flashback-Bildern als reale Person in Erscheinung. Da sich Willkommen in Marwen – wie in einigen Dialogzeilen deutlich gemacht wird – als Plädoyer für weibliche Stärke versteht, wäre es nötig gewesen, diese Frauen als Charaktere auszubauen. So dienen sie vor allem dazu, Marks Entwicklung voranzutreiben.

Klug ist hingegen, dass nicht nur Marks Kunst, sondern auch Mark als Person ambivalent gezeichnet ist. Dass Mark gelegentlich gerne Frauenkleidung und Frauenschuhe trägt – was der Hauptgrund für den damaligen Angriff war, da er an diesem Abend über seine Vorliebe gesprochen hatte –, verkommt hier nicht zur Skurrilität. Marks unbeholfene und übereilte Annäherung an Nicol lässt allerdings erkennen, dass Mark (möglicherweise durch sein Trauma, möglicherweise auch schon zuvor) ein Mensch ist, der Schwierigkeiten im sozialen Umgang hat – und dass dies für sein Umfeld nicht immer im typischen Hollywood-Stil charmant, sondern schlichtweg unangenehm sein kann. So schwankt Willkommen in Marwen zwischen überzeugender Animation, klischeehaften und glaubhaften Elementen, ist oft etwas zu plakativ, in seiner Mischung aber ganz gewiss ungewöhnlich.

Willkommen in Marwen (2018)

Nach einem gewalttätigen Überfall durch fünf Teenager hat Mark Hogancamp alle Erinnerungen an sein früheres Leben verloren. Als eine Art Therapie beginnt er damit, das Modell eines belgischen Dorfes aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu bauen. Außerdem fertigt er Figuren an, die nach Leuten aus seinem Umfeld geformt sind, mit denen er fiktive Abenteuer erlebt. Doch nach und nach verliert er sich in dieser Traumwelt.

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