Allied - Vertraute Fremde

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Ein "Casablanca" unserer Zeit

Es liegt nah, Robert Zemeckis zu unterstellen, dass er mit Allied — Vertraute Fremde ein Casablanca unserer Zeit drehen wollte. Die wichtigsten Eckdaten stimmen überein: das von der Vichy-Regierung verwaltete Marokko zur Zeit des Zweiten Weltkrieges als Schauplatz, zwei Hollywoodstars in den Rollen der Widerständler, geheime Missionen, eine Liebe, die einfach nicht sein darf, das Finale auf einem Flugplatz. Schon schwieriger ist es einzuordnen, ob Zemeckis sein Update des Über-Klassikers gelungen ist.
Allied — Vertraute Fremde ist ein Melodrama alter Schule. Bereits in dem Moment, in dem seine zentralen Figuren sich den ersten vorsichtig fragenden Blick zuwerfen, ist es im Grunde zu spät für sie. Ganz der klassische empfindsame Held, zu dem sich der Londoner Geheimdienstoffizier Max Vatan (Brad Pitt) im Laufe des Films entwickeln muss, beginnt es für ihn mit einem Fall. Von einem Flugzeug in die Wüste abgesprungen führt ihn der Weg nach Casablanca, wo die Résistance-Kämpferin Marianne Beausejour (Marion Cotillard) als seine angebliche Ehefrau schon auf ihn wartet. Die Tarnung darf auf keinen Fall auffliegen, denn zusammen sollen sie den deutschen Botschafter umbringen. Unabhängig vom Ausgang der Mission wird ihr gemeinsamer Fall danach nur noch beschleunigt.

Nervöse Blicke zum langsam voranschreitenden Zeiger der Uhr – die Zeit vor dem geplanten Attentat scheint sich zu ziehen wie dickflüssiger Sirup, die Anspannung steht greifbar im Raum. Ein stiller Ort in der Wüste, sandig und karg, fernab der Gesellschaft und des beobachtenden Blicks des Feindes, wird zum einzigen Rückzugsort des Paares, an dem für kurze Zeit wahre Gefühle aufkommen dürfen. Fließend die Seide, aus der Marion Cotillards elegante 1940er-Jahre-Kleider bestehen. Strategisch im Raum platzierte Spiegel irritieren die Wahrnehmung, lassen erst durch einen weichen Schwung der Kamera erkennen, dass wir nur die Reflexion einer Figur betrachten. Mit Allied — Vertraute Fremde hat Robert Zemeckis so perfektes Hollywoodkino abgeliefert, dass es angesichts heutiger Konventionen schon beinahe wieder experimentell wirkt. Jedes Detail, jedes Stilmittel sitzt akkurat am richtigen Platz: sanfte Belichtung bricht sich auf Cotillards Haar, Streicher und Klavier spielen auf, sobald die Romantik sich endgültig Bahn bricht.

Aber etwas ist anders: diese makellose Perfektion bildet nicht mehr den Garant für Tränen wie noch in den aufwändigen Dramen der 1940er Jahre. Der grenzenlosen Immersion steht die bewusste Entscheidung des Regisseurs entgegen, in einem Jahrzehnt auf diese Weise zu inszenieren, das nicht nur einer Unzahl solch formvollendeter Meisterwerke folgt, sondern auch zahllosen Filmen, die bereits mit allen Regeln gebrochen haben. Nicht nur mit diesem durch Seherfahrungen angereicherten Wissensschatz gehen wir in Allied — Vertraute Fremde, sondern auch im Wissen um die Prämisse des Films, vorab präsentiert in der Inhaltsangabe und in den Trailern: als Marianne und Max endlich die Zeit der Geheimoperationen hinter sich gelassen, sesshaft das private Glück in einem Reihenhaus im Norden Londons erreicht zu haben scheinen, schrillt das Telefon mit einer verheerenden Nachricht für den frisch gebackenen Familienvater: alle Hinweise deuten darauf, in seiner Ehefrau einer heimlichen Doppelagentin auf der Spur zu sein, einer deutschen Spionin.

Max’ Illusionen sind zerstört, die des Zuschauers kaum angetastet. Ohne Überraschungen und Twists können wir die Handlung des Films gewissermaßen voraussehen, seine Mittel sezieren, ihn nach Handbuch auseinandernehmen wie im Analyseseminar. Vielleicht droht das langweilig zu sein. Vielleicht ist es aber auch die einzig sinnvolle Art, heute einen Film zu machen, in dem sich die Figuren bis hin zu ihren intimsten zwischenmenschlichen Gefühlen permanent fragen müssen, was echt ist und was nicht. Rein nach Handbuch ist es kaum noch möglich, heute einen geschulten Zuschauer zu faszinieren, ihn gar zu manipulieren. Allied — Vertraute Fremde generiert seine Dramatik deswegen nicht aus der Manipulation, sondern aus den Affekten, die angesichts der offenkundigen Künstlichkeit übrigbleiben: die Anspannung, die sich einstellt, weil man weiß, was unausweichlich ist. Weil man fühlt, dass die Frage nach dem Echten und dem Gefälschten alles durchdringt. Die Angst, die man spürt, wenn man gezwungen ist, sich diese Frage zu stellen, die ist echt.

Allied - Vertraute Fremde

Es liegt nah, Robert Zemeckis zu unterstellen, dass er mit „Allied — Vertraute Fremde“ ein „Casablanca“ unserer Zeit drehen wollte. Die wichtigsten Eckdaten stimmen überein: das von der Vichy-Regierung verwaltete Marokko zur Zeit des Zweiten Weltkrieges als Schauplatz, zwei Hollywoodstars in den Rollen der Widerständler, geheime Missionen, eine Liebe, die einfach nicht sein darf, das Finale auf einem Flugplatz.
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Meinungen

Schneider, Christian · 05.01.2017

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Pliefke, Dagmar · 17.12.2016

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