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Historiendrama mal anders: In seiner Abschlussarbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg blickt Oliver Kracht außergewöhnlich auf die deutsche Nachkriegszeit.

Trümmermädchen - Die Geschichte der Charlotte Schumann (2021)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Selbstermächtigt in Ruinen

Nicht nur, aber vor allem im deutschen Kino sind sie selten geworden: Filme, die zertrümmern. Die mit Erzählkonventionen und Sehgewohnheiten brechen und das Publikum mit den Scherben zurücklassen. Im besten Fall entsteht aus den Bruchstücken etwas Neues. Oliver Krachts Langfilmdebüt zählt dazu. Es drischt auf vieles ein: das Patriarchat, den Historienfilm, Heimatkitsch – und dürfte damit nicht wenige im Publikum perplex zurücklassen.

Der Untertitel führt uns in die Irre. In Kombination mit dem Filmtitel setzen sofort Assoziationsketten ein. Wir erwarten nicht nur einen Historienfilm, sondern auch einen, der auf einer wahren Geschichte oder zumindest auf einer Romanvorlage basiert. Dass diese Charlotte Schumann, von Laura Balzer in ihrer ersten Kinorolle beeindruckend gespielt, eine reine Erfindung, eine einzig und allein für diesen Film geschaffene Figur sein könnte, daran denken wir schon gar nicht mehr, so sehr sind wir inzwischen auf das Authentizitäts-Versprechen historischer Stoffe konditioniert.

Dass es bei Oliver Kracht nicht mit rechten Dingen zugeht, ist sofort offensichtlich. Seine Protagonistin bewegt sich durch eine Welt, deren Kulissenhaftigkeit genüsslich zur Schau gestellt wird – von den Neonröhren über dem Eingang zum Theater, die die ansonsten schwarz-weiße Szenerie pinkfarben erhellen, über die aufgemalten Trümmerlandschaften im Hintergrund bis hin zum eigentlichen Theaterraum, in dem ein Großteil der Handlung über die Bühne geht. Ein bisschen erinnert das an Oskar Roehlers Enfant Terrible (2020), kommt aber weitaus frischer als dessen geistig ausgedörrte Fassbinder-Dekonstruktion daher.

Um Dekonstruktion geht es auch Kracht. Wenn Charlotte an der Seite vierer anderer junger Frauen, Karin (Anna Gesa-Raija Lappe), Pauline (Katja Hutko), Corinna (Lara Feith) und Evi (Lena Urzendowsky), einmal pro Woche den „Fräuleinkurs“ der ehemaligen Filmdiva Gloria Deven (Valery Tscheplanowa) besucht, dann lernen mit ihnen auch wir, die Mechanismen männlicher Machtausübung zu zerpflücken. Viele der hier agitierten Thesen greifen zwar zu kurz (das Patriarchat war schließlich auch schon vor dem Nationalsozialismus da und mit ihm setzen sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht zwangsläufig (nur) faschistische Strukturen fort), werden uns aber mit so viel Wut und Wucht entgegengeschleudert, dass einem die Spucke wegbleibt.

In acht, durch knallrote Bild- und Textcollagen voneinander getrennten Unterrichtsstunden und einem Intermezzo lernen die Trümmermädchen, wie sie Männer um den Finger wickeln, um sie für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen. Sie lernen den Schwanz zu beherrschen und der romantischen Liebe zu entsagen, nur um sich am Ende doch in den Hafen der Ehe zu retten, weil die Zeit für ihre zwischenzeitlich angezettelte Revolution noch nicht reif war. Einzig Charlotte weigert sich, erkennt die Janusköpfigkeit ihrer Ausbilderin und dreht den Spieß um.

Krachts Film blickt durch eine zeitgenössische Brille auf eine historische Epoche. Er ist ein Werk voller Brüche und Anachronismen. Ein kreatives Trümmerfeld, das vor Ideen überquillt und dabei selbst eine Collage. Er wechselt von Farbe zu Schwarz-Weiß und von moderner Musik zu klassischer Orchestrierung, die er mal pathetisch, mal ironisch gebrochen zum Einsatz bringt. Wie sein ganzer Film überhaupt ein Assoziationsraum voller Zitate und Verweise ist.

In der ehemaligen, inzwischen mit einem Berufsverbot belegten Filmdiva klingen Schauspielgrößen wie Zarah Leander oder Kristina Söderbaum an, das Setting ruft Erinnerungen an andere Trümmerfilme – von Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns (1946) bis zu Christian Petzolds Phoenix (2014) wach – und wenn die jungen Frauen in Overalls und mit bemalten Gesichtern nachts um die Häuser ziehen und die Straßen mit ihren Parolen („Mösen an die Macht!“) beschmieren, dann sehen sie beinahe wie die Droogs aus Anthony Burgess‘ Roman Uhrwek Orange (1962) und Stanley Kubricks gleichnamiger Verfilmung aus. 

Dass sich all diese Versatzstücke letzten Endes zu einem schlüssigen und konsumierbaren Ganzen zusammenfügen, liegt am runden Skript, für das Oliver Kracht 2019 den Thomas Strittmatter Drehbuchpreis erhielt. Dass er damit ein breites Publikum erreichen wird, ist zu bezweifeln. Aber das hat er auch gar nicht beabsichtigt: „Wir vom Team und Cast sind dankbar, dass wir diesen Film weitgehend ohne redaktionelle Einflüsse herstellen konnten. Nur so war in jedem Department freies Arbeiten ohne Rücksicht auf Verluste möglich“, lässt Kracht in einem Director’s Statement wissen.

Einen Verlust gibt es dann aber doch. Wie so viele Filme in jüngster Zeit kommt auch dieser erstaunlich keusch daher (zwar kommt ein Penis vor, ist aber unschwer als Prothese zu erkennen). Angesichts des verhandelten Themas von (sexueller) Selbstermächtigung in patriarchalen Strukturen ist das etwas verwunderlich. Ganz so radikal, wie es der Regisseur gern hätte, ist sein Film am Ende also nicht. In einer zusehends gleichförmiger erscheinenden Filmförderlandschaft hauen Krachts Trümmermädchen aber ordentlich auf den Putz.

Trümmermädchen - Die Geschichte der Charlotte Schumann (2021)

Oliver Krachts Film spielt im Deutschland des Jahres 1946 und handelt von einer alleinstehenden Schwangeren, die sich, um der Schande zu entgehen, im „Fräuleinkurs“ einer mit einem Arbeitsverbot belegten Schauspielerin einschreibt. 

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