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Frida ist verliebt in Felix und wird schwanger, mit 40. Doch dann steht sie verlassen da und muss versuchen, Felix zurückzugewinnen… „Sweet Disaster“ spielt mit den inneren Wünschen und äußeren Katastrophen, aber mehr als filmische Routine kommt dabei nicht heraus.

Sweet Disaster (2021)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Schwanger und allein

Das Gepäckband eines Flughafens, dunkelgraue und schwarze Koffer, dazwischen ein roter Backpacker-Rucksack. Der verkeilt sich, schiebt die Koffer vom Band – ein Symbol, das wir gerne annehmen, wenn wir den Rucksack dann auch dem Rücken von Frida sehen, die durch den Flughafen läuft. Und an einer Bar einen Piloten sieht, der traurig vor seinem Drink sitzt. Nun kommt eine irritierende Künstlichkeit in den Film, einmal wegen des flirtenden Dialogs, der so nur im Film vorkommen kann, und dann wegen dieser Bar, die inmitten eines menschenleeren Flughafengebäudes steht mit pyramidenförmig gestapelten Sektschalen, an denen man sich bedienen kann. Und während sich die beiden verlieben und fröhlich miteinander über eine Wiese laufen, merken wir, dass die Künstlichkeit gewollt ist. Und tatsächlich umfängt uns im Folgenden ein kleiner Filmzauber vom Glück, wenn die beiden im Gras liegen und über ihnen flauschig mit Schaumstoff gebildete Wolken schweben.

Sweet Disaster will ein Märchen sein, ein Film vom Kinderkriegen und vom Hilfebrauchen und vom Hilfeannehmen. Aber alsbald verfliegt der Zauber des Anfangs. Sowohl für Frida (Friederike Kempter), die schwanger ist und sich auf eine gemeinsame Zukunft mit Felix (Florian Lukas) freut, nur dass der dann eben doch zu seiner Ex zurückkehrt, als auch für den Zuschauer, der merkt, dass der Zauber nicht aus dem Film selbst kommt, sondern von außen gesetzt wird, dass er ausgedacht und eingebracht ist. Und wenn man merkt, welche Tricks der Zauberer anwendet, dann ist es kein Zauber mehr.

Frida lebt in Berlin mit ohrenbetäubender Dauerbaustelle vor der Tür, ihr gegenüber wohnt Yolanda (Lena Urzendowsky), 15 Jahre alt und ein Technikfreak. Sie hat nicht nur Drohnen, die sie mit sich fliegen lässt wie andere Leute Hunde an der Leine führen, sie hat auch auf ihren Schuhen blinkende Monitore angebracht, und das ist ganz ohne Funktion, einfach so – und in solchen Momenten merkt man, dass hier Regie und Drehbuch einfach ein paar Ideen herumgeschleudert haben, die visuell was her machen, aber kein Herz haben. Frida und Yolanda verfolgen Felix mit ihren Drohnen und erschrecken ganz doll, wenn er sie fast entdeckt, fliehen in eine Kirche und treffen auf der Empore ein paar alte Damen, die Doppelkopf spielen und Kuchen dabeihaben. Das geschieht auch einfach so, weil Regisseurin Laura Lehmus nach eigenen Angaben Omas mag, und die fungieren künftig als so eine Art griechischer Chor wie auch als eine Art Deus ex Machina, aber obwohl über ihren Köpfen bunte Wolken schweben – oder gerade deshalb? – stellt sich kein Staunen ein, keine Emotion, keine Identifikation.

Sweet Disaster ist die doppelte Katastrophe einer späten, ungewollten Schwangerschaft und des plötzlichen Verlassenwerdens. Frida denkt oder fühlt sich dabei die Welt schön, sieht immer wieder Visionen, wie es sein kann, träumt vom schönen Liebespaarleben mit Felix und unternimmt allerhand, um ihn zurückzugewinnen. Dies aber mit einer gewissen unbeholfenen Stoffeligkeit, die eher nach hinten losgeht: Weder kann sie ihn bezirzen noch hilft es, wenn sie seiner Geliebten Fotos von ihren Ultraschalluntersuchungen schickt. Es kulminiert darin, dass sie das Haarspray der Rivalin manipuliert, aber dieser Gag funktioniert im Film überhaupt nicht, weil eine Tür zu schnell zugeschlagen wird, so dass die Pointe im miesen Timing ersäuft.

So will der Film viel, und schafft doch zu wenig. Weder Schwangere noch Alleinerziehende noch hochbegabte Technik-Überflieger noch überforderte Mütter dürften sich hier wieder finden, obwohl sie im Film so stark repräsentiert sind. Dumm freilich ist der Film nicht, wir bemerken das Leitmotiv des Kindlichen, das ihn durchzieht: Die Wünsche von Frida, die sich im Filmbild manifestieren in Wolken und Luftballons und in imaginierten Glücksmomenten, die Freude am Rumbasteln mit all den technischen Raffinessen von Yolanda, die Leichtigkeit, mit der das Schwere dargestellt wird – nicht zuletzt ganz konkret in der Inklusions-Kita, in der Frida arbeitet mit der Fröhlichkeit der Kinder, die der Film zu übernehmen bestrebt ist.

Nur hakt es eben genau hier; der Kita-Alltag ist lediglich pseudorealistisch, insbesondere die sofortige Kündigung bei Schwangerschaft; das Arbeitsamt ist superböse und gewährt kein Hartz IV, nicht weil dies bürokratieauthentisch ist, sondern weil es dem Drehbuch in den Kram passt. Und wenn man in die Filmgeschichte blickt, in die Tradition dieser magischen Filme, dann ist dies eben doch immer irgendwo eine magische Realität, die gezeigt wird –gerade auch im paradigmatischen Überfilm des Genres, in der Zauberhaften Welt der Amélie. Doch Sweet Disaster fehlt der innere Halt, das Magische bleibt ein Wunsch, und das Kindliche kippt manchmal ins kindisch Überkandidelte über; etwa in der Besessenheit von David Hasselhoff, die der Film reichlich unmotiviert an den Tag legt, so stark, dass es gar zu einer Manifestation des Baywatch-Stars führt. Da wirkt der Film – trotz all seiner Bemühungen – nicht nur leblos, sondern gar altbacken.

Sweet Disaster (2021)

Nach einem Besuch bei ihren Eltern in Finnland trifft Frida auf dem Flughafen den Piloten Felix, der gerade von seiner Freundin verlassen worden ist. Sie teilen sich finnisches Roggenbrot und Champagner, verbringen einen zauberhaften Tag zusammen und werden ein Paar. Dann wird Frida unerwartet schwanger – und Felix geht zurück zu seiner Ex. Doch so einfach gibt Frida nicht auf. Hochschwanger versucht sie Felix mit zum Teil absurden Aktionen zurückzugewinnen. (Quelle. Filmfestival Max Ophüls Preis 2022)

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