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„791km” zeigt eine Taxifahrt, wie ein Weihnachtsessen mit der Familie: Man relativiert den Klimawandel, gräbt alte Twitter-Debatten nochmal aus und hört sich grundsätzlich nicht zu.

791 km (2023)

Eine Filmkritik von Lukas Hoffmann

Alle Menschen sind gut

Wegen eines schweren Unwetters fallen mitten in der Nacht sämtliche Züge am Münchner Hauptbahnhof aus. Mit den von der Bahn ausgestellten Taxi-Gutscheinen sichern sich Marianne (Iris Berben), Phillip (Ben Münchow), Tiana (Nilam Farooq) und Susi (Lena Urzendowsky) das letzte freie Taxi, um doch noch rechtzeitig im 791 Kilometer entfernten Hamburg anzukommen. Gefahren wird das Taxi von Joseph (Joachim Król), einem grummeligen, älteren deutschen Mann, der, genauso wie die anderen Passagiere, jedes erdenkliche Klischee erfüllt: Er fand früher grundsätzlich alles besser, er ist gegen die Grünen, leugnet den Klimawandel, versteht nichts von Technik und findet Gendern unsinnig.

Iris Berben spielt eine Alt-Achtundsechzigerin, die größtes Verständnis für die Jugend aufbringt und das Demonstrieren, den Umweltschutz und die Hippiebewegung selbst  erfunden zu haben glaubt. Phillip und Tiana sind ein junges Pärchen, das sich kurz vor dem Fahrtantritt zerstritten hat. Er ist das Abbild des gemütlichen Kiffers, der alles erstmal „gechillt“ angehen möchte, in ernsten Situationen dann aber doch noch über sich hinauswächst und seine Probleme zu lösen weiß. Sie wiederum denkt nur an das wichtige Bewerbungsgespräch, arbeitet auf ihrem Laptop an Excel-Tabellen und möchte mit niemandem aus ihrer Fahrgemeinschaft etwas zu tun haben. Zwischen den beiden sitzt Susi, ein zunächst schweigsames Mädchen, die sich nach einiger Zeit als aufgeweckte 24-Jährige mit einer Entwicklungsstörung herausstellt.

Grundsätzlich klingt diese Ansammlung von verschiedensten Lebensrealitäten, eingesperrt in einem engen Taxi, nach einer soliden Grundlage für ein Kammerspiel mit viel Konfliktpotential, Ansatzpunkten für emotionale Momente und möglichen Punchlines für gesellschaftskritische Comedy. Allerdings scheitern Regisseur Tobi Baumann und Drehbuchautor Gernot Gricksch gänzlich daran, diese Potentiale in einer gelungenen Mischung aus Drama und Comedy zu vereinen. 791 KM zeigt eine Taxifahrt, wie ein Weihnachtsessen mit der Familie: Man relativiert den Klimawandel, gräbt alte Twitter-Debatten nochmal aus und hört sich grundsätzlich nicht zu. Nur mag man sich am Ende von 791 KM dann doch.

Dass ein Taxi als beengter Schauplatz ein genialer Rahmen für kreative Geschichten und überzeugende Charakterzeichnungen sein kann, ist spätestens seit Jim Jarmuschs Episodenfilm Night on Earth (1991) kein Geheimnis mehr. Im Gegensatz zu 791 KM weiß Jarmusch allerdings seine Gesellschaftskritik zu verpacken, seine Figuren schrill und absurd wirken zu lassen und seine ähnlich reduzierte Inszenierung zu nutzen, um seinen Schauspielern den nötigen Raum zu geben. Inszenatorisch erfüllt 791 KM dagegen nur den absoluten Mindestanspruch: Uninteressante Einstellungen, keinerlei Spiel mit der beengten Atmosphäre des Taxis und eine visuelle Ästhetik wie man sie auch aus Aldi-Werbung kennt. Das der Film an jeder Ecke mit Produktplatzierungen aufwartet, inklusive Aldi-Plakaten, kann diesen Eindruck freilich auch nicht schmälern. Einzig eine viel zu kurze Sequenz, in der Susi einer Katheter-Operation beiwohnt, kann mit Kreativität und Witz überraschen.

„Das ist hier nicht Notting Hill oder Love Actually“, sagt Tiana zu ihrem (Ex-) Freund, nachdem dieser inmitten eines Autobahnstaus eine romantische Rede hält, um sie doch noch zurückzugewinnen. Und ja, damit hat sie recht, nur ist das wahnsinnig schade. Denn auch auf erzählerischer Ebene weiß 791 KM nicht zu überzeugen: Keiner der grundlegend interessanten Konflikte wird länger als eine Szene lang zum Thema gemacht. Jedes zwischenmenschliche Problem wird innerhalb von wenigen Minuten entweder gelöst oder einfach ignoriert. Dass Joseph den Klimawandel leugnet oder Susi wegen ihrer Entwicklungsstörung als „beknackt“ bezeichnet, ist für seine Mitfahrer*innen nur so lange ein Problem, wie es für ein kurzes Streitgespräch im Fahrzeug notwendig ist. So hat jede Figur genau einen zunächst versteckten Charakterzug, der im Laufe der Handlung aufgedeckt wird und das Verhalten der jeweiligen Person rückwirkend rechtfertigen soll.

Thematisch ist 791 KM daher besonders in der ersten Hälfte wie eine Ansammlung aus Twitter-Diskussionen: Emotional aufgeladen und ohne inhaltliches Fundament. Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Dialoge selbst wie der halbherzige Versuch einer Karikatur eben solcher Internet-Unterhaltungen geschrieben und gespielt sind. Einzig Lena Urzendowsky kann mit ihrem Spiel überzeugen. Aber leider ist die Rolle der von ihr verkörperten Susi ebenso nicht frei von Problemen. Da sie durch ihre Entwicklungsstörung die Denkmuster eines Kindes zu haben scheint, wird ihre Figur durchweg als Unschuldslamm eingesetzt, dessen einzige Aufgabe es ist die anderen Fahrgäste emotional zusammenzuhalten. Sie wird nur so lange als störend und aufdringlich inszeniert, wie es für die – sehr spärliche – Charakterentwicklung aller anderen notwendig ist. Danach schlägt das Verhalten ihr gegenüber schlagartig in mitleidige Freundlichkeit um, die sich mindestens genauso konstruiert und teils herablassend anfühlt.

Zum Ende hin verbleibt 791 KM dann mit einer Botschaft, die sich irgendwo zwischen realitätsfernem Wunschdenken und Hufeisentheorie ansiedeln lässt: Alle Menschen sind gut, egal ob rechts oder links, alt oder jung, „normal“ oder „besonders“. 791 KM ist ein sich an den vermeintlichen Zeitgeist anbiederndes Fließbandprodukt, und ein ideologisch fragwürdiges noch dazu.

791 km (2023)

791 Kilometer, das ist die Fahrtstrecke zwischen München und Hamburg. Die man schnell und bequem per Zug oder Flugzeug hinter sich bringt – es sei denn, ein Sturm legt alle Verbindungen lahm. So wie an diesem Abend. An dem Marianne (Iris Berben), Tiana (Nilam Farooq), Susi (Lena Urzendowsky) und Philipp (Ben Münchow) im heiß umkämpften Taxi von Josef (Joachim Król) landen. Sie kennen sich nicht, sie alle müssen aber nach Hamburg – und gehen auf gemeinsame nächtliche Reise. Auf engstem Raum prallen in Josefs Taxi die unterschiedlichsten Persönlichkeiten, Lebensgeschichten und Ansichten aufeinander. Hier wird gestritten, gelacht, geweint, sich versöhnt, gelogen und die bittere Wahrheit gesagt – und mit jedem der 791 Kilometer, die die kleine Schicksalsgemeinschaft ihrem Ziel näherkommt, wird klarer, dass es die eine, eigene Wahrheit nicht gibt, und dass die Dinge manchmal anders liegen, als es auf den ersten Blick scheint.

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Meinungen

Lars Hinder · 20.12.2023

Stereotypes, langweilig erzähltes, typisch deutsches Pseudokino in GZSZ Qualität. Das können andere Länder einfach besser.