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Nach „Aufbruch zum Mond kehrt Damien Chazelle mit einer Netflix-Serie zur Musik, genauer gesagt, zum Jazz zurück: Der titelgebende Pariser Jazzclub The Eddy ist das Zentrum einer Reihe von Lebenswegen, die sich gemeinsam aus der Musik entfalten – ganz wie die Serie selbst.

The Eddy (Miniserie, 2020)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Musik-Leben

Mit „Whiplash“ (2014) und „La La Land“ (2016) erkundete Damien Chazelle gänzlich verschiedene Facetten der Filmwerdung von Musik: die schmerz- und leiderfüllte Körperlichkeit eines Jazz-Schlagzeugers in der Intensität filmischer Rhythmen und das luftige Schweben der sanften Melodien großer Hollywood-Musicals in den wunderhaften Möglichkeiten filmischer Welten. Mit der Netflix-Miniserie „The Eddy“ wechselt Chazelle nun mit Autor Jack Thorne den Kontinent und taucht tief ein in die ganz und gar von Musik durchdrungenen Lebenswege, die sich im titelgebenden Pariser Jazzclub The Eddy über acht Episoden hinweg kreuzen.

Geschäftlich läuft es nicht sonderlich gut im The Eddy; musikalisch hofft der Bandleader und ehemals weltbekannte New Yorker Pianist Elliot Udo (André Holland), der Inhaber des Clubs, darauf, dass Produzent Franck Lévy (Benjamin Biolay) mit der Band desselben ein Album produzieren wird. Elliots Partner Farid (Tahar Rahim) kümmert sich um die Geschäfte und als plötzlich Schläger auftauchen, die Geld zurückverlangen, wird Elliot bewusst, dass die beiden in größeren Schwierigkeiten stecken als Farid durchblicken lässt. Einige Tage später wird Farid vor dem Club ermordet; gleichzeitig kommt Elliots Tochter Julie (Amandla Stenberg) aus New York angereist, um bei ihrem Vater zu wohnen, nachdem ihre Mutter und deren neuer Partner sie verstoßen haben. Immer tiefer ziehen sich die Kreise krimineller Verstrickungen, aus denen Elliot im verzweifelten Versuch, den Club und die Band zu retten, kaum noch auftauchen kann.

Mit nüchtern-weißen Titeln blendet jede Episode unter der Überschrift The Eddy den Namen eines/r Protagonisten/in ein. Wie Strophen und Improvisationen organisieren sich sieben verschiedene Perspektiven bis zum Finale der achten Episode, die den Serientitel allein trägt und alle Stränge verwebt, zu einem Eindruck jenes Ortes in einer Pariser Seitenstraße, der zum Motiv all der unterschiedlichen Situationen seiner Bewohner*innen wird. The Eddy ist das Zuhause auf der Bühne, an der Bar und im Büro über dem Zuschauerraum, es ist die Heimat, die in der trotz aller Widrigkeiten allabendlich gespielten Musik gemeinsam immer wieder aufs Neue kreiert und erhalten wird. Ein Überleben ohne das Spielen, ohne Publikum und ohne die sich immer neu aufeinander einlassenden Dynamiken der anderen Musiker*innen ist unmöglich, so bedrückend eng auch das Manövrieren zwischen den Drohungen einer Verbrecherorganisation einerseits und den Ermittlungen der Polizei andererseits wird.

Je zwei der Episoden wurden von Damien Chazelle, Houda Benyamina, Laïla Marrakchi und Alan Poul inszeniert und weben in die Erzählfäden, die immer wieder Elliot und den Club umspinnen, auch die Stimmen von Elliots Tochter, von seiner Geliebten und Sängerin der Band Maja (Joanna Kulig), von Farids Witwe Amira (Leïla Bekhti) und den Bandmitgliedern (Randy Kerber, der auch Komponist der Serie ist, Lada Obradovic, Damian Nueva, Ludovic Louis und Jowee Omicil) ein. Eine Vielfalt von Blicken und Orten gestaltet neben dem Club als Zentrum aller Geschichten die dichte Lebenswelt eines zur Gänze jazzdurchdrungenen Paris, ohne dabei Elliot je aus den Augen zu verlieren. Alles umkreist das strahlende Charisma des begnadeten Musikers und verzweifelten Vaters, des sorgenvollen Freundes und unzuverlässigen Liebhabers; und zugleich löst sich jeder Strang von ihm, verfolgt eigene Melodien, die sich wieder zusammenfügen und voneinander entfernen, um schließlich in aller Verschiedenartigkeit zu verschmelzen.

Jede Episode fokussiert so auch eine Dimension von Musik, die mit eigenen Bildern erkundet wird: Musik als harte Arbeit und als schmerzhafter Prozess der Perfektion, von Chazelle in Whiplash bereits filmisch selbst zur Perfektion getrieben und hier noch einmal von einer anderen Seite ins Auge gefasst; Musik als einzige Hoffnung auf ein gemeinsames und kraftvolles Überleben in tiefster Einsamkeit; Musik auch als Industrie, die jederzeit die Lebendigkeit des Spielens zu ersticken droht; Musik als Körperlichkeit, als haptische Oberfläche aus Klängen und Stimmungen; jederzeit vor allem aber Musik als zutiefst menschliche Existenzgrundlage, als einzige Möglichkeit überhaupt zu leben.

Die Bilder dieser von Musik durchdrungenen Welt, die The Eddy entwirft, sind in ihrer Unmittelbarkeit bisweilen nur schwer zugänglich, in anderen Momenten aber öffnen sie sich ganz dem Eintauchen in eine filmisch erkundete Klangwelt. Musik ist in der Serie nie beiläufig oder im Hintergrund, die wahren Protagonisten sind jene Songs, die von der Band immer wieder geprobt und in Variationen gespielt werden und dabei gänzlich im Vordergrund stehen. Die dynamische Handkamera, die raue Beleuchtung und der zwischen langen, beweglichen Einstellungen und kurzen Schnitten wechselnde Rhythmus der Serie entstehen nur in und mit den Songs, durch die Musik, die unlösbar in den Bildern eingewoben ist.

Darüber jedoch gerät in The Eddy gelegentlich aus den Augen, dass neben aller zur Fülle ausgelebten Begeisterung für musikalische Bilder auch die Wege der Protagonist*innen in das dichte audiovisuelle Gefüge eingewebt werden wollen. Die durchweg herausragend gespielten Figuren erscheinen mitunter wie Beiwerk in einer höchst formalen Anordnung, was etwa zu einer unfreiwillig komischen Coming-of-Age-Erzählung in den Erzählfäden von Elliots Tochter Julie führt, deren Verhalten nicht so sehr Ausdruck der Verzweiflung einer verstoßenen und von der Welt überforderten Teenagerin ist, als eher eine schematische Abfolge recht klassischer Stationen spätpubertärer Revolte. The Eddy scheint zu Julie nur in wenigen Momenten einen empathischen Zugang zu finden und gerade darin geht viel Potenzial der von Bitterkeit durchzogenen Vater-Tochter-Beziehung zugunsten der inneren Zerrissenheit Elliots verloren, für die The Eddy stets mehr Verständnis und Zuneigung entwickelt als für die von Elliot vor den Kopf gestoßenen weiblichen Figuren.

Die Bewunderung und bedingungslose Liebe zu Sängerin Maja, die Elliot nach dem Jahre zurückliegenden Tod seines Sohnes am Leben hält, ist auch sein einziger Zugang zu musikalischer Kreativität: Seither ist der einstige Starpianist nicht mehr in der Lage, selbst aufzutreten, nur für Maja zu komponieren beflügelt ihn und lässt ihn eine Welt außerhalb seiner Trauer spüren. Der Serie geht es scheinbar ganz ähnlich: Nur wenn Elliot im Bild ist, nur wenn sich die Serie an seinem Leiden und seiner Unfähigkeit, die Liebe zu seiner Tochter und die Sorge um seine Band auszudrücken, abarbeitet, entfaltet sie ihre volle Kraft. Für alles andere scheint sich The Eddy nur mit Mühe interessieren zu können, was sich in einigen Episoden umso mehr bemerkbar macht, als die Serie gerade in ihren stärksten Momenten auch gänzlich befreite und entfesselte Sequenzen tief empfundener Wärme und Liebe in der Musik findet. So liegt ihre größte Faszinationskraft nicht allein in den wundervollen Kompositionen von Randy Kerber und Glen Ballard, sondern vor allem in den atemlos fesselnden Bildern, die in diese Kompositionen abtauchen, über Finger auf Saiten, Klaviaturen, über Drumsticks und von Musik erfüllte Gesichter.

Ganz so wie Jazz als Musikrichtung vielen Menschen weniger Entzücken als Unverständnis entlockt, läuft auch The Eddy Gefahr, in jenen filmischen Formspielen einem gewissen Snobismus zu verfallen, sich allzu sehr abzuschotten und in verträumter Ekstase allein der eigenen Musik zu lauschen. Doch so sehr Elliots persönliches Drama auch den anderen Figuren immer wieder den Raum zu nehmen droht, so gut funktioniert die Verwebung von Kriminalgeschichte, Familienmelodram und Musiker-Pathos in ihrem gleichzeitigen Ausdruck einer tiefen Trauer über das Verlorene und einer tiefen Geborgenheit im Weiterspielen.

Darin erkundet The Eddy letztlich nicht nur, wohin es führen kann, die Verschiedenartigkeit möglicher Bilder zu erproben, die sich an Musik in all ihren Facetten abarbeiten und aus diesen heraus konstruiert werden. Es gelingt der Serie vielmehr auch, in den entscheidenden Momenten berührende Eindrücke von der unausweichlichen Vielstimmigkeit eines ebenso schmerzhaften wie freudvollen Lebens zu entwerfen und die darin notwendigen Spannungen zwischen Angst und Hoffnung, Trauer und Freude, Schmerz und Liebe auszuhalten, anstatt sie zugunsten einer heilsamen Geschichte aufzulösen. Gerade in ihrer zutiefst musikalischen Struktur ermöglicht The Eddy ein Nebeneinander von Tönen und Stimmungen, die zusammen eine bewegende Dynamik gestalten: Gerade weil sich die Serie nicht um eine Auflösung aller Dissonanz bemüht, kann sie ein bewegliches Bild von Menschen entwickeln, die in einer Leidenschaft und an einem Ort verbunden sind, ohne darüber ihre Eigenheit und widerstrebenden Gefühle und Eindrücke zu verlieren. Das große Glück, gemeinsam lebendig zu sein, heißt in The Eddy gerade auch, den großen Schmerz unüberbrückbarer Unterschiede auszuhalten und daraus kreative Kraft zu schöpfen.

The Eddy (Miniserie, 2020)

In dieser Musical-Dramaserie vom Regisseur Damien Chazelle („La La Land“) gerät ein Jazzklub im Herzen von Paris in Gefahr. Bandleader Elliot improvisiert sich durch eine komplexe Partitur von Problemen: sein Pariser Jazzclub „The Eddy“ läuft nur mäßig. Brutale Geldeintreiber sitzen ihm im Nacken. Und dann zieht auch noch seine jugendliche Tochter Julie aus New York zu ihm.

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Meinungen

Eberhard Färber · 14.05.2020

Ich interessiere mich für alle Filme.
Da ich auf Grund meiner Behinderung viel zuhause
bin schau ich gerne Filme an.
LG
Eberhard

Wolfgang Heilein · 12.05.2020

Musik fantastisch
Hauptdarsteller/ in öden gewaltig an und nehmen der Serie die ganze Wucht!!!