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Im Biopic „Maria Montessori“ zeigt Léa Todorov den beruflichen und privaten Weg der bekannten italienischen Reformpädagogin.

Maria Montessori (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

„Ich werde die Schule revolutionieren!“

Wie kann sich ein Film einem Menschen nähern, der längst zur Ikone geworden ist? Diese Frage stellt sich nicht nur bei Kinostars wie Marilyn Monroe (deren Leben etwa in „My Week with Marilyn“ und „Blond“ erfasst wurde) oder bei Musiklegenden wie Elvis Presley (dem zum Beispiel Baz Luhrmann in „Elvis“ ein Denkmal setzte), sondern auch bei einflussreichen zeitgeschichtlichen Persönlichkeiten. Ähnlich wie Frauke Finsterwalder in „Sisi & Ich“ (2023) die Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn, betrachten die Drehbuchautorin Julie Dupeux-Harlé und die Regisseurin Léa Todorov in „Maria Montessori“ nun die titelgebende Ärztin und Pädagogin aus der Sicht einer fiktiven Figur.

So lernen wir nach einer kurzen Einleitung, in der Maria (Jasmine Trinca) via Voice-over wehmütig zu ihrem unehelichen Sohn Mario spricht, zunächst die Pariser Kurtisane Lili d’Alengy (Leïla Bekhti) kennen. Diese lebt zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den Zuwendungen ihrer Verehrer, hütet jedoch ein Geheimnis: Sie hat eine Tochter mit Behinderung. Die kleine Tina (Rafaelle Sonneville-Caby) wuchs bei ihrer Großmutter auf, die jetzt aber verstorben ist. Da sich Lili nicht imstande sieht, sich selbst um das Mädchen zu kümmern, reist sie nach Rom, wo Maria mit ihrem Kollegen und Geliebten Giuseppe Montesano (Raffaele Esposito) ein Institut für Kinder mit Behinderung leitet. Lili hofft, alsbald nach Paris zurückkehren zu können; Tina kann indes nur tagsüber in der Einrichtung aufgenommen werden. Deshalb bleibt die junge Frau eher widerwillig in Italien – und kommt dabei nicht nur langsam ihrer Tochter näher, sondern freundet sich auch mit Maria an.

Der Film erzählt von Mutterschaft und stellt die Schicksale seiner beiden Protagonistinnen gegenüber. Während Maria ihren Sohn, den sie mit Giuseppe bekam, schweren Herzens von einer Amme auf dem Land großziehen lassen muss, da ein uneheliches Kind in ihren Kreisen für einen Skandal sorgen würde, scheint Lili ihre Tochter anfangs einfach nur loswerden zu wollen. Dass beide Frauen auf unterschiedliche Weise vom Patriarchat unterdrückt werden, bringt das Skript nachvollziehbar zum Ausdruck. Immer wieder muss sich Maria mit einer männlichen Wissenschaftselite auseinandersetzen, die stets ihren Partner Giuseppe bevorteilt. Ebenso glaubhaft wird die weibliche Solidarität geschildert, die sich zwischen Maria und Lili entwickelt: Die beiden streben nach Unabhängigkeit und unterstützen einander dabei.

Die pädagogischen Überzeugungen und Methoden von Maria Montessori werden durch die dramaturgische Rahmung recht stimmig vermittelt. Wir erhalten Einblick in die Arbeit mit den Kindern, etwa durch Musik. Zudem weist die titelgebende Heldin an einer Stelle in einer spontanen Rede darauf hin, dass „eine von Liebe getragene Erziehung“ der entscheidende Faktor ihres Vorgehens sei.

Zuweilen driften die Dialoge und die Inszenierung etwas zu sehr ins Melodramatische ab. Der Film neigt dazu, Maria als Galionsfigur zu idealisieren – obwohl deren Weltanschauung und Lehre durchaus auch kritisch gesehen werden kann. Das wurde zum Beispiel im kürzlich erschienenen Buch Der lange Schatten Maria Montessoris: Der Traum vom perfekten Kind von der Erziehungswissenschaftlerin Sabine Seichter ausgeführt. Etwas mehr Ambivalenzen und Zwischentöne hätten dem Werk gewiss mehr Spannung verliehen. Die akkurate Ausstattung, die das Leben zur damaligen Zeit detailreich einfängt, und vor allem das engagierte Spiel der zwei Hauptdarstellerinnen Jasmine Trinca und Leïla Bekhti machen Maria Montessori letztlich aber zu einer soliden Mischung aus Biopic und historischem Drama.

Maria Montessori (2023)

1898 entscheidet sich die unverheiratete Maria Montessori, ihren Sohn Mario nach der Geburt auf unbestimmte Zeit zu verlassen, um als moderne und freie Frau eine neue Vision von Bildung zu entwickeln. Sie ahnt, dass sie eine Revolution entfachen kann. Als eine der ersten Frauen Italiens wurde sie Ärztin und gründete ein Institut, an dem Lehrer für die Arbeit mit behinderten Kindern ausgebildet werden. Hier entwickelt sie Methoden, die von einem Gedanken getrieben sind: solange man die Kinder liebt, können sie alles lernen. Nicht Disziplinierung, sondern ihre Freiheit wird zeigen, welche Schätze in den Kindern verborgen sind. Doch bezahlt wird sie für ihre Arbeit nicht, die Lorbeeren heimst ihr Partner Montesano ein und die männliche Wissenschaftselite hält nichts von einer Pädagogik für behinderte Kinder. Ihren Sohn kann Maria in dieser Welt nicht zu sich nehmen, ohne ihre Arbeit aufgeben zu müssen. Mit der Prostituierten Lili d‘Alengy schmiedet Maria ein Netzwerk weiblicher Solidarität, das nicht nur endlich Unabhängigkeit ermöglicht, sondern vor allem eine Pädagogik, die an die Autonomie des Geistes glaubt.

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