Log Line

In seiner Romanverfilmung „Sharaf“ schildert Samir Nasr das Schicksal eines jungen Mannes in einem ägyptischen Gefängnis.

Sharaf (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ein Mikrokosmos der Gesellschaft

„Dies ist eine erfundene Geschichte, die in einer fiktiven Welt spielt. Wir können glücklich sein, dass die Realität besser und schöner ist.“ Mit diesen Worten beginnt der Film „Sharaf“ des deutsch-ägyptischen Regisseurs Samir Nasr, der hier einen Roman des 1937 in Kairo geborenen Schriftstellers Sonallah Ibrahim auf die Leinwand bringt. Rasch merken wir aber, dass dieser Aussage ganz und gar nicht zu trauen ist. Denn was wir im Folgenden zu sehen bekommen, ist keineswegs eine ferne Dystopie, sondern vielmehr schmerzhaft nah an der harten Wirklichkeit.

Ibrahim zählt zu den bedeutendsten Autoren der arabischen Welt. Im Jahre 1959 wurde er wegen seiner politischen Aktivitäten inhaftiert und musste eine fünfjährige Haftstrafe verbüßen. Seine Werke zeichnen sich durch einen eher kühlen Ton aus und lassen an Pressereportagen denken. Nasr übersetzt Ibrahims sprachlichen Stil gekonnt in farbentsättigte Bilder, in denen die Beklemmungsgefühle hinter Gefängnistüren glaubhaft erfasst werden.

Zunächst erleben wir mit, wie versucht wird, dem titelgebenden Protagonisten (einnehmend verkörpert von Ahmed Al Munirawi) beim Verhör auf einem Polizeirevier ein falsches Geständnis zu entlocken. Sharaf hat sich, wie er sagt, in Notwehr gegen einen ausländischen Mann verteidigt. Die Polizisten wollen indes, dass er sich zu einem Mord bekennt – und greifen auf Foltermethoden und Manipulation zurück, bis Sharaf schließlich nachgibt. Und so landet der junge Mann hinter Gittern.

Wie schon in anderen Filmen und Serien, die das Gefängnis als Schauplatz wählen, von Papillon (1973) und Flucht von Alcatraz (1979) über Die Verurteilten (1994) und The Green Mile (1999) bis hin zum Netflix-Hit Orange Is the New Black (2013-2019), fungiert der Ort, an dem ein Großteil des Geschehens stattfindet, als Spiegel der Gesellschaft. Strukturen der diktatorischen Herrschaft werden durch die Betrachtung des Mikrokosmos klar erkennbar. In der Aufteilung der Gefangenen in „die Staatlichen“ und „die Königlichen“ wird die gesellschaftliche Ungleichbehandlung verdeutlicht: Während die einen auf engstem Raum zusammengepfercht sind, Gefängniskleidung tragen müssen und nur minderwertiges Essen erhalten, können sich die anderen diverse Privilegien erkaufen und über ihre Angehörigen stets gute Mahlzeiten genießen.

Der Film lebt von seinen genauen Beobachtungen. Etwa wenn er die Gespräche der Insassen auf dem Gefängnishof einfängt oder wenn er zeigt, wie der Handel mit Kippen oder Pillen über das Schicksal bestimmen kann. Die Solidarität unter den Gefangenen wird ebenso nachvollziehbar vermittelt wie die Gefahr des Verrats, im Verbund mit den oft extrem rabiaten Wärtern.

Der Titelheld wird uns als Mensch mit Träumen und Zielen vorgestellt – etwa wenn er mit seiner Freundin, die ihn besucht, über die Zukunft spricht. So verwundert es nicht, dass sich Sharaf alsbald darum bemüht, aus dem staatlichen Trakt herauszukommen und im sozialen Gefüge des Gefängnisses aufzusteigen, zu „den Königlichen“. „Dieser Film gibt denen eine Stimme, die sonst keine Stimme haben“, sagt Nasr. Es gelingt dem Regisseur, Spannung zu erzeugen, ohne den ernsten Hintergrund für billige Dramatisierungen auszubeuten.

Sharaf (2021)

Als Sharaf in Notwehr einen Mann tötet und ins Gefängnis kommt, werden seine Träume von Wohlstand und Reichtum unweigerlich zerstört.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen