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Nele liebt Kolya, das Schicksal reißt sie auseinander, in der Unterwelt muss sie ihn wiederfinden: Axel Ranisch überhöht die Liebesdramatik mit starken Opernelementen zu einem fulminanten Filmerlebnis.

Orphea in Love (2023)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Kinooper/Opernkino

Axel Ranisch war als Meister gestartet, als Erneuerer des deutschen Kinos: „Dicke Mädchen von 2011 setzte den German Mumblecore aufs Tablett, mit Ich fühl mich Disco“ und „Alki Alki“ führte er 2013 und 2015 seinen Lauf fort, da war er gerade mal 30 Jahre alt: Geschichten, in denen das Queere selbstverständlich ist und konsequenter in der Entwicklung der Figuren, in denen die Improvisation von Dialogen und teils auch von Handlung selbstverständlicher Teil des Konzepts ist, Filme, die liebenswert-absurden Humor mit Authentizität verbanden. Mit ein paar Fernsehfilmen – zwei missglückte Ludwigshafen-Tatort-Experimente und die unsäglich unlustige Komödie „Familie Lotzmann auf den Barrikaden“ verbrannten seinen Ruf als Filmemacher.

Zu diesem Zeitpunkt aber hatte sich Ranisch schon ein zweites Standbein als Opernregisseur geschaffen, recht erfolgreich und vornehmlich an der Bayrischen Staatsoper. Die nun als Koproduzent fungiert bei Ranischs fulminantem Kino-Comeback Orphea in Love.

Nele (Mirjam Mesak) ist die Hauptfigur, eine junge Frau, aus Estland stammend, die jedoch in Deutschland im Callcenter versauert und nur abends Freude empfindet, wenn sie in die Oper geht – als Garderobiere. Da kann sie immerhin dieser Musik lauschen, die ihr Leben ist … Mit großer Chuzpe behauptet Ranisch eine Welt, in der Oper alles ist; nicht nur für Nele, sondern auch für all ihre Mit-Charaktere. Im Callcenter wird schnell mal der große Gesang inklusive Chor und Tanzchoreografie rausgeholt, und nicht einmal die böse Chefin hat was dagegen – naja, bis dies dann ein zweites Mal versucht wird.

Die Mitbewohnerinnen bewundern Neles Gesangskünste – ja, sie hat eine begnadete Stimme, einfach so, gottgegeben –, der zwielichtige Künstleragent Höllbach (Heiko Pinkowski) lauscht (für seine Verhältnisse) hingegeben der Arie seiner Klientin/Geliebten auf der Opernbühne. Im Park steht einer und schmettert sein Lied vor begeistertem Publikum. Und Kolya (Guido Badalamenti) hat sowieso Musik im Blut, im ganzen Körper – er ist begnadeter Tänzer und zudem Taschendieb.

Er und Nele werden sich unsterblich verlieben, ganz ohne Worte – Kolya gibt dem Begriff „Antanzen“ eine ganz neue Facette, er erhebt die Kriminalität zur Tanzkunst, zum Leidwesen seiner Ganovenchefin, die mit Krückstock ihren Interessen Nachdruck zu verleihen versucht; vergebens.

Diese Liebesgeschichte, die sich hier ohne Worte, über Tanz und Musik, anbahnt, sie trägt den Film: Nele, die Einsame, findet neben der Musik einen weiteren Lebenssinn, Kolya, der aus dem Milieu rauswill, findet die Partnerin für die Zukunft. Nur dass die kurz ist, nicht umsonst deutet schon der Filmtitel auf den Orpheus-Mythos an, mit gewechselten Geschlechterrollen: Nun muss Nele, als „Orphea“, in die Unterwelt, sieben Tore muss sie durchschreiten, um ihren männlichen Eurydike wiederzuholen, wenn die Kraft der Liebe reicht.

Ranisch hat nicht einfach einen Film gedreht. Er hat die Elemente von Oper in Film verwandelt, zeigt die ganz großen Gefühle und lässt sie zudem in der Musik überhöhen, lässt den „Mumblecore“-Stil ganz hinter sich für ein nahezu erhabenes filmisches Erlebnis, in dem Farben und Figuren, Bewegungen der Kamera und vor der Kamera, Gesang und Musik zur Einheit werden. Wobei satirische und komische Momente natürlich auch ihren Platz haben – und der Auftritt eines Priesters der Church of Elvis: Christian Steiffen, Schlagermusikidol aus Ich fühl mich Disco, mit einem Gastauftritt; wie in jenem Film liegt auch in diesem die Erlösung in der Musik.Wenn dieser Zaubertricks vorführen, Figuren auftauchen und verschwinden lässt, ohne Filmschnitt, dann ist das Theatermagie pur, gebannt auf die Leinwand: Orphea in Love ist kein gewöhnlicher Film, der seine Figuren von A nach B führt, sondern eine Reise in poetischen Zauber, in dem man sich verlieren kann.

Orphea in Love (2023)

 

Nele (Mirjam Mesak) ist eine Träumerin. Aus einem kleinen Dorf in Estland stammend bestreitet die junge Frau ihren tristen Alltag als Callcenter-Mitarbeiterin und Garderobiere an der Staatsoper. Wie eine Unsichtbare schlägt sie sich durch die lärmende Großstadt und findet immer wieder Zuflucht in der beseelten Welt der Oper und der Musik. Doch Nele wird immer wieder von blutigen Tagträumen heimgesucht, deren Ursprung in einem Geheimnis ihrer Vergangenheit liegt. In dem Streetdancer und Kleinkriminellen Kolya (Guido Badalamenti) lernt sie ihren Seelenverwandten kennen. In einer poetischen Symbiose aus Gesang und Tanz nähern sie sich einander an, misstrauisch beäugt von Koljas gestrenger Ziehmutter (Ursula Werner). Es ist Neles dunkle Vergangenheit, die der aufkeimenden Liebe im Wege steht. Talentmanager Höllbach (Heiko Pinkowski), dämonischer Herrscher über die Unterwelt des Kulturbetriebs, ist mit der Starsopranistin Adela (Ursula Lardi) liiert. Als deren Stimme versagt, wird Höllbach auf Neles Gesangstalent aufmerksam. Doch Kolja kommt bei einem Autounfall ums Leben und Nele muss sich ihren Dämonen stellen, um ihre große Liebe aus der Unterwelt zu retten.

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Meinungen

Peter u. Gisela Schmädicke · 18.06.2023

Ein wunderschöner Film in Handlung, Bild und Ton.

Elisabeth Amandi · 06.06.2023

Dieser Film ist ein Gesamt-Kunstwerk in sich - sinnlich, zauberhaft, lustig, verschmitzt, packend, wahnsinnig spannend.
Wir waren hin und weg - ich habe keine Worte dafür nur: reingehen - reingehen - reingehen!