Alki Alki

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Leben mit der Flasche

James Stewart ist glücklich mit dem großen weißen Hasen, den nur er sehen kann. Mel Gibson trägt einen Biber am Arm, um seine inneren Blockaden zu überwinden. Mark Wahlbergs Kuscheltier Ted ist rotzfrech. Verlockend und verführerisch erscheint der Geist, der stets verneint; das bucklige Männlein fängt zu nießen an, und David Hasselhoff versucht, einen Burger zu verspeisen. Wenn man solcherartiges im Kopf hat, ahnt man, in welche Richtung Alki Alki geht — aber das alles in der unnachahmlichen Axel-Ranisch-Art, der auf merkwürdig geerdete Weise versponnene Filme macht, bei dem Fantasie Realität ist.
Die Ranisch-Methode fängt schon bei den Beteiligten an, er hat eine Film-Familie, in der sich jeder kennt, in der einander zugearbeitet wird; seine „Sehr gute Filme“-Mitproduzenten wie auch seine echte Familie, befreundete Regisseure in kleinen Cameos, und wir freuen uns, dass die Oma Ruth Bickelhaupt auch wieder dabei ist, mit weit über 90 Jahren. Und natürlich: Peter Trabner und Heiko Pinkowski, die Hauptdarsteller, die zudem auch als Drehbuchautoren fungieren. Denn das ist der zweite Schritt des Ranisch-Filmemachens: Das Miteinander im Konzipieren der Handlung, die dann mit viel Improvisationslust vor der Kamera performt wird. Eine Handlung — dritte Ebene des Ranisch-Touches -, die von einem ernsten Thema ausgeht. In seinem Kindermärchen Reuber etwa, dass dem jungen Protagonisten seine Schwester abhandenkommt; in Ich fühl mich Disco der Tod von Ehefrau und Mutter. In Alki Alki die Suchtkrankheit. Eine Ernsthaftigkeit des Themas, die sich freilich in exaltiertem Spaß niederschlägt, den der Film dem Zuschauer bereitet — Gags, die nie aufgesetzt wirken; Traum- und Fantasiesequenzen, die nicht einfach nur metaphorisch sind, sondern unabdingbar zu dieser wunderbaren filmischen Welt gehören.

Und natürlich gehört zu einem Ranisch-Film auch die unbedingte Körperlichkeit seiner Darsteller, die vor der Kamera alles geben — Ranisch weiß genau, wen er wie einsetzen muss, das zeigt er auch, wenn die Vorspanntitel mit den Trabner- und Pinkowksi-Bäuchen mitwippen. Die beiden machen groß Party im Musikklub, Feiern und Suff. Zuvor hatten wir sie gesehen zusammen mit Christina Große, die Pinkowskis Ehefrau spielt, in einem ausladenden Himmelbett, wie sie in Retrokleidung stilisiert ein Liebesspiel spielen — oder vielleicht auch nur den Kampf um eine Flasche Bier. Danach tritt Käptn Peng — alias Robert Gwisdek — als Troubadour auf, der in seinem Bänkelgesang von der innigen Freundschaft zwischen Tobias und Flasche schwärmt.

Tobias, das ist Pinkowski. Verheiratet mit Anika, drei Kinder (gespielt von Pinkowskis echten Kindern). Peter Trabner ist Flasche, die verkörperte Sucht, der Verführer, der Trickser, der immer dabei ist beim Familienleben, bei der Arbeit, und der beim Feiern, beim Alkoholexzess, so richtig aufblüht. Der beste Kumpel und der schlimmste Feind. Urgrund für allen Spaß, den Tobias in seinem Leben hat (und den auch der Zuschauer beim Ansehen des Films empfindet), und Wurzel des Übels, wenn Tobias mal mit den Konsequenzen konfrontiert wird. Ein Autounfall zum Beispiel. Oder das Luftschloss, das er seinem Freund und Kompagnon im Architekturbüro vorsetzt — ein Großprojekt, das es nicht gibt, das ihm die Deliriumsfantasie Galina Ivanowa Schnurkinowa eingeflüstert hat — Iris Berben in einem Kurzauftritt, der zeigt, wie gut man mit ihr auf russisch herumtändeln kann.

In Alki Alki huldigt Axel Ranisch dem Exzess, der Fantasie seiner Factory ist keine Grenze gesetzt. Der Film versetzt sich voll rein in die volle Lebenswelt des vollen Tobias, wir geraten direkt in Tobias‘ Geisteszustand. Und die Kunst des Herrn Ranisch besteht darin, gleichzeitig die Tragik durchscheinen zu lassen. Nichts zu beschönigen in all dem alkoholischen Fun, der Tobias durchs Leben trägt. Thomas, der Kompagnon, holt sich beim Nüchternheitsgespräch ein Gläschen aus dem Kühlschrank; beim Dinner im Nobelrestaurant ist der Wein (Marke: „Vin d’alcohol“) selbstverständlich. Wodka Alkinow gibt’s an der Trinkhalle mit 30% Rabatt. Anika, die leidtragende Ehefrau, beschönigt, schon aus Bequemlichkeit. Das Elend liegt ganz nah am Himmelhochjauchzenden, und das Verständnis für das ständige Zusammenleben mit der Sucht, mit Peter Trabner, ist nicht sehr ausgeprägt. Therapie? Irgend so eine Modeerscheinung. Und das Loslassen ist sowieso viel schöner. „Wenn ich das überlebe, hör ich auf!“

Ranisch gelingt ein Einblick in die selbstzerstörerischen Bedürfnisse des Kranken — er war vor seiner Zeit als Regisseur als Sozialarbeiter tätig, das dürfte seine Sensibilität fürs Thema geschärft haben. Und so gelingen ihm unglaublich treffende und dabei überaus witzige Szenen. Still und leise wanzt sich Flasche an Tobias‘ ältesten Sohn ran, die alkoholische Fackel wird weitergetragen; im Sanatorium sehen wir die verschiedenen Ausformungen von Süchten, Tablette, Glücksspiel, Hyper-Sex. Während die Patienten sich über ihre ständigen Begleiter austauschen: Was, deine ist ein Mann? Bärtig, dick, Kumpel? Meine ist die schönste aller Frauen, die lässt alles mit sich machen… — währenddessen sitzen auf der Parkbank die Süchte. Als Schatten sind sie immer dabei, und sie geben sich gegenseitig Ratschläge: Wichtig ist auch, die Kinder zu zerstören… Da schluckt man dann schon mal als Zuschauer. Und hoffentlich keinen Schnaps.

Alki Alki

James Stewart ist glücklich mit dem großen weißen Hasen, den nur er sehen kann. Mel Gibson trägt einen Biber am Arm, um seine inneren Blockaden zu überwinden. Mark Wahlbergs Kuscheltier Ted ist rotzfrech. Verlockend und verführerisch erscheint der Geist, der stets verneint; das bucklige Männlein fängt zu niesen an, und David Hasselhoff versucht, einen Burger zu verspeisen. Wenn man solcherartiges im Kopf hat, ahnt man, in welche Richtung „Alki Alki“ geht.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Filmliebhaber2 · 13.11.2015

@Filmliebhaber: Sie haben ja so Recht. Toter Trash wird als Kunst verkauft. (Das geschmacklose Plakat sagt schon alles;)

Filmliebhaber · 11.11.2015

Tut mir Leid. Deutsches Kino ist gestorben.