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Dass auch die Rache keine Befreiung ist, sondern nur ein weiterer Schritt in Richtung Eskalation, zeigt Park Hoon-jung mit seinem atmosphärisch-dichten Thriller „Night in Paradise“.

Night in Paradise (2020)

Eine Filmkritik von Matthias Pfeiffer

Der eiskalte Engel

Blut, Mord, Folter – das alles ist für Tae-Gu (Tae-go Eom) der tägliche Broterwerb. Sein Arbeitgeber ist ein Mafia-Clan in Seoul, seine Aufgaben erledigt er ohne störende Emotion. Das Bild des gefühlskalten Killers ist an sich kein neues. Trotzdem hat Park Hoon-jung (New World – Zwischen den Fronten) mit seinem Neo-Noir „Night in Paradise“ einen gelungenen Beitrag zum Gangstergenre geschaffen. Auch wenn man sich fragt, wo hier das titelgebende Paradies sein soll.

Die südkoreanische Hauptstadt ist hier alles andere als ein Garten Eden. Die urbane Atmosphäre ist kalt und trist, so etwas wie Gangster-Romantik kommt gar nicht erst auf. Zwischen den toten Hochhäusern wandelt Tae-Gu umher, ein verschlossener Diener des Verbrechens. Solange aber das Geschäft lukrativ ist, sind Fragen von Moral und Legalität unwichtig. Bis er selbst zum Opfer wird: Seine Halbschwester und seine geliebte Nichte werden Opfer eines feindlichen Clans. Tae-Gu trauert jedoch wie er tötet — ohne Regung. Nicht einmal in der Rache scheint er Befriedigung zu finden. Das Blutbad, das er daraufhin anrichtet, erledigt er gefühlsarm und routiniert. Die anschließende Flucht auf die Insel Jeju ist nur eine weitere sinnlose Etappe für einen Menschen, der sowieso nichts mehr hat.

Night in Paradise lebt von einem mitunter klinischen Realismus. Seine Hauptfigur ist kein cooler Verbrecher, die Gewaltorgien sind drastisch, die Atmosphäre lebensfeindlich. Das Wechselspiel zwischen Sympathie und Abscheu, das man von Martin Scorseses Filmen kennt, fehlt in Park Hoon-jungs Welt völlig. Das ist keinesfalls ein Minuspunkt. Vielmehr wird der Zuschauer noch mehr in den Bann des Geschehens gezogen. Man wartet darauf, dass Tae-Gu auftaut, dass sich – egal auf welche Art – der Mensch hinter dem Schutzpanzer der Apathie zeigt. Und wirklich beginnt dieser in seinem Exil zu bröckeln. 

Obwohl der Schauplatz von der Stadt in die Natur wechselt, bleibt die triste Stimmung erhalten. Jedoch tritt hier Jae-Yeon (Yeo-bin Yeon) in sein Leben, die Nichte des Waffenschiebers, bei dem er unterkommt. Sie behandelt ihn von Anfang an herablassend, gibt ihm zu verstehen, dass es für alle besser wäre, wenn er sich gleich wieder an die Abreise machen würde. Von da an wird die Situation noch komplizierter. Tae-Gu findet heraus, dass Jae-Yeon todkrank und ihr Ableben nur noch eine Frage der Zeit ist. Für ihn eine Wunde, die wieder aufgerissen wird, schließlich war seine ermordete Schwester ebenfalls unheilbar erkrankt. Zwischen beiden beginnt eine wechselhafte Hassfreundschaft. Dabei lässt Park Hoon-jung einige Details im Dunklen. Fühlt sein Antiheld so etwas wie Verantwortung? Sieht er die Chance, Wiedergutmachung zu leisten? Beide sind Individuen, die durch die Welt des Verbrechens gebrandmarkt wurden. Sucht sie in ihm nur vorübergehende Zuwendung oder einen Weg, mit ihren Traumata fertig zu werden? Die Zeichnung der Hauptfiguren lässt viel Spielraum für Interpretationen und macht den Film außerhalb von seiner Thriller-Handlung interessant. Unterdessen eskaliert auf dem Festland der Mafiazwist und schlägt schon bald auf den vermeintlich sicheren Hafen Tae-Gus über. Letzten Endes muss auch er erkennen, dass Treueversprechen in diesem Milieu nicht viel zählen.

Man kann getrost sagen, dass Night in Paradise auf allen Ebenen gelungen ist. Mitunter fallen die Szenen extrem blutig aus, was aber nie in reinen Schauwert mündet. Viel eher verdeutlicht Park Hoon-jung die verheerende Wirkung von Gewaltspiralen, aus denen keiner der Beteiligten am Ende ausbrechen kann. Und doch blitzen hier und da kurze Augenblicke auf, in denen man die Ansätze eines Paradieses zu sehen glaubt.

Night in Paradise (2020)

Ein unglückseliger Mafioso versteckt sich nach zwei tragischen Gewalttaten auf Jeju Island. Dort lernt er eine Frau kennen, die selbst mit Dämonen zu kämpfen hat.

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