Mein Kampf

Eine Filmkritik von Claire Horst

Die Katastrophe als Witz

„Humor ist, wie man mit Katastrophen, persönlichen oder geschichtlichen, großen oder kleinen, umgehen kann.“ George Tabori, der bis zu seinem Tod im Jahr 2007 „dienstälteste Theatermann“, musste einen Weg finden, Katastrophen zu verarbeiten. Sein Vater wurde in Auschwitz ermordet, das Entkommen seiner Mutter hat er in seinem Stück Mutters Courage thematisiert. „Der kürzeste deutsche Witz ist Auschwitz“, das ist einer seiner bekanntesten Aussprüche.
Und auch seine Farce Mein Kampf (1987) arbeitet sich mit humoristischen Mitteln an dem finstersten Kapitel der deutschen Geschichte ab. Humor ermöglicht für Tabori eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Grauen – denn „ein guter Witz ist nie komisch — wenn man den Inhalt betrachtet. Der Inhalt ist immer eine Katastrophe. Und das ist die perfekte literarische Form.“ Aus Versatzstücken von Adolf Hitlers programmatischem Machwerk Mein Kampf und fantastischen Elementen baute er seinen Text zusammen, in dem Hitler vom Bewohner eines Männerwohnheims und erfolglosen Kunstmaler zum Führer der Nationalsozialisten wird. Ironie der Geschichte ist bei Tabori, dass ein Jude Hitler zum Aufstieg verhilft. Der alte Schlomo Herzl wird getrieben von seinem Mitleid mit dem jüngeren Mitbewohner. Er treibt ihn dazu an, Postkarten zu malen und verhilft ihm zu einem gesellschaftsfähigeren Aussehen – samt historisch verbürgter Bartfrisur. Dass sein Schützling dem Antisemiten Himmlischst verfällt und schließlich an die mystische „Frau Tod“ gerät, hat Herzl nicht vorausgesehen. Den Wandel des bedauernswerten Hitler zum Monster kann er nicht mehr verhindern.

Ein perfekter Stoff für einen Film, fand der Schweizer Regisseur Urs Odermatt, der 1988 immerhin einen Werner Herzog für die Hauptrolle in seinem Film Gekauftes Glück gewinnen konnte. Seine schweizerische Herkunft hält der Regisseur für eine ausreichende Qualifikation, um das Thema angemessen umzusetzen. Denn anders als ein Österreicher oder Deutscher sei er nicht vorbelastet. Zu wenig „Vorbelastung“ führt leider häufig zur mangelnden Auseinandersetzung mit einem brisanten Thema – das beweist diese Verfilmung aufs Neue. Fünfzig Prozent des Originaltextes hat Odermatt übernommen, der Rest wurde dazugedichtet.

Was Odermatt an der Vorlage interessiert hat, ist nicht nachzuvollziehen. Denn sämtliche spannenden Aspekte – Herzls Mitleid mit dem verwirrten jungen Mann, die Verlorenheit der alten Männer im Wohnheim, von denen sich einer für Gott hält, die Absurdität des unaufhaltsamen Aufstiegs eines gesellschaftlichen Außenseiters – all das spielt in diesem Film überhaupt keine Rolle. Stattdessen manövrieren sich Einzelfiguren ohne jeden Bezug zueinander oder zu einem Ganzen durch eine Staffage, die ebenso sinnlos in der Gegend herumsteht.

Und so wird Mein Kampf zu einer weiteren Steilvorlage für einen ambitionierten Hitlerdarsteller, spätestens seit Der Untergang eine höchst beliebte Rolle im deutschen Kino. An Tom Schilling, bislang eher als Jugendschwarm aus Filmen wie Crazy bekannt, geht jeglicher Sinn für Ironie vorbei. Seine Vorbereitung auf die Rolle bestand aus der Einübung eines österreichischen Fantasiedialekts und der Lektüre von Joachim Fests Hitlerbiografie. Schillings hilflose Versuche, Hitlers Gestik und Sprachduktus nachzuahmen, führen zu unfreiwilliger Komik und einem ausgeprägten Gefühl des Fremdschämens. Dass er am sächsischen Drehort Zittau täglich mit „Guten Morgen, Herr Hitler!“ begrüßt wurde, hat Schilling nach eigener Aussage nicht irritiert, sondern gefreut. Und in Bezug auf diesen Hauptdarsteller wie auf die gesamte Verfilmung wird die Zuschauerin das Gefühl nicht los, dass hier die klare Zielsetzung gefehlt hat. Was will dieser Film sein? Ein Heimatfilm? Eine Persiflage auf Hitlerfilme? Ein Märchenfilm? Oder doch ein Versuch, die Psyche des „privaten“ Adolf Hitler zu durchleuchten? Für eine Komödie ist Mein Kampf nicht komisch genug – sämtliche absurden Effekte der Vorlage sind vollkommen verschwunden. Viel zu ernst nehmen sich Regisseur und Besetzung, und seinen Ehrgeiz scheint Odermatt vor allem in die Ausstattung des Films gesteckt zu haben.

Mit einer drögen Langsamkeit führt die Kamera liebevoll überdekorierte Kulissen vor, filmt Kostümierung über Kostümierung, breitkrempige Hüte und wallende Gewänder ab. Qualvoll träge zieht sich der Film dahin, werden stuckverzierte Hauswände, Zimmereinrichtungen und nichts sagende Gesichter gezeigt. Wir sind in Wien, das hat auch der Letzte im Zuschauerraum nach der fünfminütigen Kamerafahrt am Anfang verstanden. Hier landet der junge Hitler im Männerwohnheim der Frau Merschmeyer, hier trifft er auf den Bibelverkäufer Schlomo Herzl. Götz George als Herzl macht zumindest nichts falsch. Mit aller Kraft spielt er gegen die ideenlose Inszenierung an und versucht seinem Charakter wider bessere Vernunft etwas Leben einzuhauchen.

In diesem Film kann er jedoch überhaupt nichts ausrichten. Steht bei Tabori Schlomo Herzl im Mittelpunkt, interessiert sich Odermatt nur für seine Hitlerfigur, die von Tom Schilling überhaupt nicht verstanden wird. Schilling rudert heillos überfordert mit den Armen, kämpft mit Dialekt und rollendem R. Sein Hitler ist nicht einmal eine Witzfigur, sondern kommt nicht über das hinaus, was gerade nicht zu sehen sein soll in einem Kinofilm: ein Jungschauspieler, der sich müht, eine Figur zu verkörpern. Kraftloses Gekeife und unmotiviert geballte Fäuste – diese Hitlerdarstellung ist eine ebensolche Zumutung wie das ganze Filmprojekt.

Wenn es irgendeinen Sinn ergäbe, könnte man die artifizielle Wirkung des Films als gewollt verstehen – so wirkt es nur wie der misslungene Versuch, eine künstlerische Illusion zu erzeugen. Eine Mischung aus Fernsehfilmästhetik und Zimmertheater entsteht so, die dem Aufwand der Produktion überhaupt nicht angemessen ist. Denn neben der Filmförderungsanstalt (FFA), der Mitteldeutschen Medienförderung, HessenInvestFilm, dem Beauftragten für Kultur und Medien und dem Deutschen Filmförderfonds haben sich fünf weitere Institutionen der EU, aus Österreich und der Schweiz mit vier Millionen Franken eingebracht. Am Geld kann es also nicht liegen, dass die Inszenierung derart hölzern wirkt.

Vielleicht liegt es ein wenig daran, dass Odermatt sich nicht auf Taboris Patentrezept verlassen hat: „Die meisten Sachen, die da zu sehen sind, kommen von den Schauspielern. Ich habe auf ihre Einfälle nur reagiert.“ Insofern verstand Tabori sich nicht als Regisseur, sondern als Spielmacher. Wenn weder Regisseur noch Darsteller Ideen haben, kommt eben ein farbloses Etwas heraus. Was bei Tabori als Farce funktioniert hat, wird bei Odermatt zu einer albernen, unentschiedenen Geschichte. Und Taboris persönliche Genugtuung, mit dem er dem Massenmörder ein vernichtendes Denkmal gesetzt hat, geht hier völlig unter.

Odermatts Mein Kampf soll ein „Psychogramm des jungen Hitler“ sein, „zumindest, wie es sein könnte“. Leider ist dem Regisseur überhaupt kein Psychogramm gelungen, weder ein fiktives noch ein realistisches. Der Schriftsteller Peter Esterhazy sagte voll Verehrung über Tabori, er sei „etwas zu viel. Wenn sich jemand in der Schule verspätet und dann sagt, die Straßenbahn sei entgleist, ist das in Ordnung. Aber dass die arme entgleiste Straßenbahn von einer Tigerhorde überfallen wurde, das ist etwas zu viel.“ Dieser Film ist leider viel zu wenig.

Mein Kampf

„Humor ist, wie man mit Katastrophen, persönlichen oder geschichtlichen, großen oder kleinen, umgehen kann.“ George Tabori, der bis zu seinem Tod im Jahr 2007 „dienstälteste Theatermann“, musste einen Weg finden, Katastrophen zu verarbeiten.
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Meinungen

Alexander · 08.03.2011

Ich gebe dieser Kritik in allen Punkten Recht.
"Mein Kampf" ist einer der schlechtesten Filme und die Darbietung von Tom Schilling die schlechteste, die ich je gesehen habe.
Die Einstufung der Filmbewertungsstelle Wiesbaden mit dem Prädikat "Besonders wertvoll" läßt die Wertigkeit dieser Auszeichnung in einem neuen Licht erscheinen.
"Mein Kampf" ist nur als Lehrstück, wie ein Film nicht gemacht werden sollte, zu empfehlen.