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Derzeit erzählen einige Kinderfilme vom Sterben. Marys magische Reise tut dies auf besonders sanfte und berührende Weise, mit viel Raum für Identifikation für das junge Publikum.

Marys magische Reise (2023)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Abschied nehmen

Es ist vor allem das Kochen, das die elfjährige Mary mit ihrer Großmutter Emer verbindet. Die beiden können sich stundenlang über alte Rezepte, gute Zutaten und die richtige Zubereitung unterhalten. Das Fertigessen, das Marys Mutter auf den Tisch bringt, wenn es mal wieder schnell gehen muss, finden beide schrecklich. „Koch mit dem Herzen, ganz traditionell“, rät ihr die Oma und gibt dem Kind ein altes Kochbuch, kurz bevor sie schwer krank in die Klinik kommt. Man ahnt, dass es kein kurzer Abschied wird, auch wenn Mary lange davon überzeugt ist, dass die Großmutter bald wieder nach Hause kommt. In kleinen Schritten muss sich das Mädchen an den Gedanken gewöhnen, dass die geliebte Bezugsperson sterben wird.

Marys magische Reise nach dem Kinderbuch des bekannten irischen Autors Roddy Doyle erzählt auf sanfte Weise vom Sterben und Abschiednehmen. Er nimmt sein Publikum behutsam an die Hand und macht deutlich, dass Veränderungen zum Leben dazu gehören. Denn Mary muss sich nicht nur mit dem nahen Tod von Emer, sondern auch mit dem Verlust der besten Freundin beschäftigen, die mit ihrer Familie von Irland nach England zieht. Von einem Tag auf den nächsten ist Mary allein, der Alltag ist nicht mehr der, der er noch vor kurzem war.

 

Der Animationsfilm von Enzo d’Alò erzählt seine Geschichte in satten Farben und flächig gemalten Bildern, die äußerst detailliert sind: Die Zimmer sind liebevoll ausgestattet, durch den Blick in die Räume, aber auch auf die Landschaften Irlands erhalten die jungen Zuschauer:innen einen guten Eindruck vom alltäglichen Leben eines irischen Mädchens. Darüber hinaus verweist auch die Filmmusik immer wieder auf die musikalische Tradition des Landes.

 

Als Marys Gefühl von Einsamkeit ganz groß ist, taucht eine geheimnisvolle Fremde auf. Sie nennt sich Anastasia, trägt altmodische Kleidung und gibt sich auch sonst recht sonderbar: Sie hat offensichtlich noch nie einen Kühlschrank gesehen, dafür aber kennt sie die geheimen Zutaten aus Emers traditioneller Küche. Mary und Anastasia freunden sich an, kochen zusammen ein altes Familienrezept nach, um es Emer ins Krankenhaus zu schmuggeln und ihr eine wohltuende Alternative zum Klinikessen zu geben, und nehmen schließlich Emer mit auf eine Reise ins Haus ihrer Kindheit.

Der Film erzählt ein modernes Märchen, das in der irischen Kultur verwurzelt ist, aber auch Kindern von heute viel Identifikationsfläche anbietet. Mary ist als offenes, ehrliches und selbstbewusstes Mädchen konzipiert, das sagt, worüber sie nachdenkt, was sie fühlt und welche Sorgen sie sich macht, sodass es einem leichtfällt, mitzufühlen und ihr Erleben nachzuempfinden. Dadurch wird auch die doch traurige und ausweglose Situation nicht nur erträglich gemacht. Die Geschichte des Mädchens berührt einen auch ganz tief im Innern.

Wenn Mary von ihren Träumen spricht oder die Großmutter von ihren Erinnerungen erzählt, wechselt der Film seine Ästhetik: Die intradiegetischen Erzählungen sind mal skizzenartig, mal schraffiert gezeichnet, nicht koloriert, sondern bewusst im Zeichenmodus gehalten. Die Bilder, die Emers Erinnerungen darstellen, laufen zusätzlich in einer verminderten Geschwindigkeit über die Leinwand, sodass der stockende Fluss der Bilder an die Anfänge des Kinos erinnert, aber auch bildlich überträgt, wie unscharf Erinnerungen sein können. Auch hier haben die Macher wunderbare Bilder für ihre Geschichte gefunden, die man sich unbedingt im Kino, aber nicht mit ganz kleinen Kindern ansehen sollte. 

 

Marys magische Reise (2023)

Oma ist die Beste. Während bei Mary zu Hause die großen Brüder, Fußball und Fertiggerichte den Alltag bestimmen, teilt sie mit ihrer Großmutter die Liebe fürs Selbstgekochte und den Hang zum Aus-der-Reihe-Tanzen. Aber die Tage, die Mary mit ihrer Oma gut gelaunt und fidel in der Küche verbringt, neigen sich dem Ende zu. Zugleich erscheint eine rätselhafte Frau. Sie begleitet Mary, ihre Mutter und die Großmutter auf eine Reise durch die Familiengeschichte, die untermalt ist von den satten Farben, Klängen und Aromen ihrer irischen Heimat.

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