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Helena Wittmanns Film erkundet und erzählt eine Geschichte aus Landschaften, in denen Vergangenheiten und Gegenwarten gleichzeitig Fluchtlinien in die Zukunft führen.

Human Flowers of Flesh (2022)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Ein Relief der Gleichheit

„Menschliche Blumen aus Fleisch“ — der Titel ist bereits paradox und in gewisser Weise ein Schlüssel für dieses Poem aus Landschaften, Reliefs und organischen Verwebungen. Helena Wittmann entledigt sich der klassischen filmischen Erzählung. Sie interessiert sich für Körper. Wobei damit weniger die der Menschen gemeint sind, als Materialität insgesamt. Die Natur wird in diesem Film zu einer körperlichen Erscheinung, zu einem alllebendigen Organismus, in dem die Menschen eben nur eine Möglichkeiten unter vielen sind. Anders formuliert: Es handelt sich bei „Human Flowers of Flesh“ um einen posthumanistischen Film, dessen Flüstern sich nicht sofort in eine Eindeutigkeit auflösen lassen will, sondern unseren Blick auf die Welt infrage stellt, um eine utopische Sensualität einzuführen.

Nun kommt man nicht umhin, die narrativen Partikel dieses filmischen Materialismus zumindest zu umreißen, wenngleich dieser Film eigentlich eine andere Art des Schreibens, eine poetische Weise der Filmkritik erfordern würde. Aber nun gut: Ida (Angeliki Papoulia) lebt mit ihrer männlichen Crew auf einem Boot. Gemeinsam fährt die Gruppe die französische Küste entlang. Auf dem Festland spricht man bereits von der mysteriösen Frau und beneidet ihre Freiheit. An Bord wird kaum gesprochen. Manchmal werden Gedichte oder Auszüge aus Romanen vorgelesen. Man isst gemeinsam, geht schwimmen und bildet eine Gemeinschaft, in der die Unterschiede keine Rolle mehr spielen.

Nach und nach drängen sich Bilder des französischen Militärs in den Film. Ida beginnt sich für die Kolonialgeschichte und die Legionäre in Algerien zu interessieren. Dort, in diesem so eng und tragisch mit Frankreich verbundenen Land, wird die Reise des Films enden: in Sidi-Bel-Abbes, wo sich der Hauptstützpunkt der französischen Armee befand.

Den langen Einstellung des Meeres, das sich als Fläche sich ineinander verkreuzenden Linien immer zwischen Beruhigung und Stille bewegt, setzt Helena Wittmann als letztes Bild den heißen Sand der Wüste entgegen, als sei ein neuer Zustand erreicht: die Wüste als Gedächtnis des Meeres. Auf eben diese Art und Weise funktioniert der gesamte Film; eine visuelle Aufkündigung kausaler Verhältnisse und hierarchischer Strukturen führt zu überraschenden Verknüpfungen. Man fragt beim Sehen dieser filmischen Zeit nicht mehr nach Geschlecht. Herkunft spielt kaum eine Rolle. Nein, Flächen aus Verbindungen beginnen ihr Spiel, wie als würde man mit einem Chemiebaukasten experimentieren. 

Der Verwobenheit der Dinge ein Bild zu eröffnen, das scheint das Anliegen dieses wunderschönen Films zu sein. Ohne Kitsch entsteht eine Poesie aus Wellen, Bakterien und menschlichen Bewegungen. Auffällig, wie die ehemaligen Soldaten auch lange nach ihrer aktiven Dienstzeit ihr Bett in einer absoluten Stränge glatt ziehen, auf Linie bringen. Überall ist ein Nachhall, der im Echo immer auch die Möglichkeit birgt, sich in etwas anderes zu verwandeln. 

Alle Körper sind ein Gedächtnis. Aus diesem Material webt Wittmann eine leise ökologische Utopie der Gleichheit und zieht Fluchtlinien, die sich nicht innerhalb der vermessenen Welt ergeben, sondern die in spielerischer Notwendigkeit alle Grenzen schneiden. Menschliche Blumen aus Fleisch. Gibt es auch andere Mischungen? Möglich. Es kommt eben darauf an, wie wir auf die Welt blicken. Der Nabel der Welt ist der Mensch in diesem Film zumindest nicht mehr.

Human Flowers of Flesh (2022)

Ida lebt mit einer fünfköpfigen Besatzung auf einer Segelyacht. Als sie Station in Marseille machen, erregt die Französische Fremdenlegion Idas Aufmerksamkeit und sie setzt sich ein neues Ziel.

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