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Die Skandinavier können düstere Genrekost. Das beweist auch die neue Netflix-Serie „Equinox“, die eine unheilvolle Stimmung erzeugt und von diversen Horrorklassikern beeinflusst scheint.

Equinox (Miniserie, 2020)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Schwester, wo bist du?

Mystery-Stoffe erfreuen sich im Portfolio von Netflix großer Beliebtheit. Bestes Beispiel ist der Erfolg der drei Staffeln umfassenden deutschen Serienproduktion „Dark“, die im Sommer 2020 zum Bedauern vieler Fans ihr Ende fand. Dem nach geheimnisvollen Geschichten lechzenden Publikum steht auf der Streaming-Plattform mit der sechsteiligen dänischen Rätselmär „Equinox“ nun neues Futter zur Verfügung. Die schon vor der Veröffentlichung bemühten Vergleiche mit Dark sind sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Immerhin drehen sich beide Serien um eigenartige Vermisstenfälle und Sprünge zwischen unterschiedlichen Zeitebenen. Der skandinavischen Gruselerzählung, die auf der Podcast-Reihe Equinox 1985 basiert, sollte man aber nicht mit zu hohen Erwartungen begegnen, da sie weniger komplex gerät und letztlich andere Pfade beschreitet.

Die im Jahr 1999 spielende Auftaktsequenz gibt mit ihrer seltsam unheilvollen Stimmung gleich die Marschroute für das kommende Geschehen vor. Obwohl Ida (Karoline Hamm) gerade ihr Abitur erfolgreich bestanden hat und mit ihren Mitschüler*innen traditionell in einem Planwagen durch die Straßen zieht, wirkt sie seltsam bedrückt, als sie und der feiernde Trupp vor ihrem Elternhaus ankommen. Kryptische Warnungen ihrer Mutter Lene (Hanne Hedelund), die ihre Tochter nicht mit den anderen weiterfahren lassen will, sorgen für erste Irritationen. Und nur wenig später wird Idas kleine Schwester Astrid (Viola Martinsen) von verstörenden Visionen geplagt. Visionen, die sich erschreckenderweise bewahrheiten. Auf ihrer Tour sind Ida und 20 ihrer Klassenkamerad*innen plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Einzig ihre drei engen Freunde Jakob (August Carter), Amelia (Fanny Bornedal) und Falke (Ask Truelsen) bleiben verschont und geraten anschließend ins Zentrum der Ermittlungen.

Der zweite Zeitstrang der Serie führt uns in das Jahr 2020, wo aus der traumatisierten Astrid (nun verkörpert von Danica Curcic) eine Radiomoderatorin und Mutter eines kleinen Mädchens geworden ist, die von ihrem Ehemann (Zaki Nobel Mehabil) getrennt lebt. Das spurlose Verschwinden Idas macht der stets etwas angespannten jungen Frau nach wie vor zu schaffen. Eines Tages behauptet ein Anrufer in ihrer Sendung, Jakob zu sein und zu wissen, was damals passiert sei. Das kurze Gespräch bringt Astrid zunächst völlig aus der Fassung, ist dann aber Antriebsfeder, die grauenvollen Ereignisse endlich aufzuklären. Ihre Nachforschungen führen sie nach Kopenhagen, wo sie ihren Vater Dennis (Lars Brygmann) trifft, der inzwischen eine andere Partnerin hat und sich wenig begeistert zeigt über Astrids Bestrebungen. 

Serienschöpferin Tea Lindeburg, die auch den zugrundliegende Podcast entwarf, bindet die Aufmerksamkeit mit einem griffigen Geheimnis, das Freunde des Horrorkinos an Peter Weirs flirrend-undurchschaubaren Klassiker Picknick am Valentinstag erinnern könnte. Auch andere Genrewerke drängen sich beim Anblick von Equinox auf. Etwa Robin Hardys Gruselkuriosität The Wicker Man, in der ein strenggläubiger Polizist auf eine einsame Insel kommt und mit den dort herrschenden heidnischen Bräuchen konfrontiert wird. In der neuen Netflix-Eigenproduktion spielen ein sagenumwobenes Eiland und okkulte Rituale ebenfalls prominente Rollen. Die dritte und die vierte Folge rufen eine bizarre, beklemmend-hysterische Atmosphäre hervor. Ähnlich, wie sie US-Filmemacher Ari Aster in seinem von Hardys Kultstreifen inspirierten Folkloreschocker Midsommar kreiert. Explizit erwähnt wird in der Serie an einer Stelle zudem Sam Raimis Splatter-Feuerwerk Tanz der Teufel, da hier wie dort ein mysteriöses altes Buch auftaucht. 

Equinox lässt diverse Einflüsse erahnen, fühlt sich aber trotzdem nicht wie ein seelenloses Potpourri an. Obschon die ins Übernatürliche ausgreifende Erzählung nicht allzu originell ist, lässt sie die Spannung geschickt ansteigen und nimmt sich noch dazu Zeit für die menschlichen Schicksale. Die unbegreiflichen Vorfälle aus dem Jahr 1999 haben viele Figuren verständlicherweise schwer erschüttert. Astrids ausgemergelte, noch immer im alten Haus der Familie lebende Mutter Lene hält Idas Zimmer in perfekter Ordnung, da sie auf eine unerwartete Rückkehr ihrer Tochter hofft. Ihr Ex-Mann hingegen will das Ganze ein für alle Mal hinter sich lassen und ist aufrichtig betroffen, als er sieht, wie sich Astrid in ihren Recherchen aufzureiben droht. Am eindringlichsten schildern Showrunnerin Lindeburg und ihre Mitautor*innen den Leidensweg der Radiomoderatorin, den zahlreiche Rückblenden Schritt für Schritt entblättern. Als Kind scheint Astrid über ihre wiederkehrenden Visionen mit ihrer verschwundenen Schwester in Kontakt treten zu können, was die dem Esoterischen zugeneigte Lene gezielt ausnutzen will, während Daniel die Halluzinationen für Hinweise auf eine psychische Erkrankung hält und auf eine therapeutische Betreuung drängt. Verhandelt wird hier neben übergriffigem elterlichen Verhalten auch die Frage, wie die Gesellschaft mit normabweichenden Erfahrungen umgeht.

Dass Vergangenheit und Gegenwart sich nicht trennen lassen, dass der Schrecken des Gestern mit aller Macht ins Heute hineindrängt, drückt sich nicht zuletzt in der Darstellung der Zeitsprünge aus. Mehrmals sind die Übergänge ganz bewusst fließend gestaltet. Ohne einen Schnitt befinden wir uns plötzlich auf der anderen Erzählebene. In den Flashbackpassagen beschränkt sich Equinox übrigens nicht nur auf die Perspektive Astrids, sondern lässt uns auch am konkreten Erleben Idas vor ihrem Verschwinden teilhaben. 

Lange schlägt die Serie ein wohltuend unaufgeregtes Tempo an. Gegen Ende schleicht sich aber leider etwas Hektik ein, sodass manch erschütternde Offenbarung im Vorbeigehen zu Tage tritt und einige wichtige Handlungsaspekte in der Luft hängen bleiben. Vor allem die letzte Viertelstunde wirkt seltsam gehetzt – und wird dem Vorangegangenen nicht gerecht. Der Weg zum Finale ist, wie bei nicht wenigen Mystery-Geschichten, dann doch reizvoller als der Schlusspunkt selbst.

Equinox (Miniserie, 2020)

20 Jahre nach dem mysteriösen Verschwinden eines Busses voller Schüler erkennt Astrid eines der Opfer wieder und beginnt, Nachforschungen anzustellen.

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Meinungen

Claudia · 26.02.2021

Der Anfang des Films fand ich lähmend, dann kamen einige Szenen die ich wirklich spannend fand und hab deshalb weiter geschaut. Es wird immer wieder zwischen Vergangenheit und Gegenwart geswitched. Das hat mich ein wenig gestört, aber hätte ich noch toleriert. Aber der Schluss ist so blöd, es wird meiner Meinung nach nicht aufgeklärt wo die Vermissten wirklich sind, wer Astrid ist und wer ihre Eltern, ist Ida nun die Schwester? Was soll dieses Ende bringen? Schade um die Zeit, den ich damit verschwendet habe. Staffel 2 schau ich mir sicher nicht an, was soll da jetzt noch kommen?